Trettl über die Zukunft der heimischen Küche: "Statt auf Trends zu schielen, sollten die Österreicher sich ihres kostbaren Erbes besinnen!"

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Er kennt sie alle. Von den angeblich besten Köchen der Welt wie Joan Roca oder René Redzepi über die Drei-Sterne-Cuisiniers der Gourmet-Welthauptstadt Paris bis zu den Avantgarde-Chefs Australiens, der USA oder Japans: Roland Trettl hat sie als Küchenchef des Red-Bull-Ablegers Ikarus in Salzburg allesamt als Gäste in seiner Küche gehabt. Nach zehn Jahren, in denen er jeden Monat das Menü eines anderen internationalen Starkochs nachkochen musste, zieht der gebürtige Südtiroler sich Anfang Dezember zurück, um künftig wieder der eigenen Kreativität nachzuspüren. Im Interview macht Trettl sich massive Sorgen um den Stellenwert der österreichischen Küche - und sieht nicht zuletzt den Einfluss des Restaurantführers Gault Millau als Mitgrund für deren immer deutlicheren Verlust an internationalem Renommee.

STANDARD: Warum gibt man so einen Job auf?

Roland Trettl: Jeden Monat ein neuer Koch, da sind mit der Zeit natürlich welche dabei, die einen in letzter Konsequenz nicht so wirklich überzeugen können. Ist ja auch kein Wunder, so viele ganz große Kaliber wie einen Sergio Herman, Heinz Reitbauer oder Joan Roca gibt's eben nicht! Und dann wird' s schwierig: Etwas nachzukochen, von dem man eigentlich überzeugt ist, dass man das selber viel besser könnte - da ist es auf die Dauer nicht leicht, sich jedes Mal neu zu motivieren. Ein Grund ist aber, dass ich nach diesen unglaublich spannenden und intensiven zehn Jahren einmal Zeit für mich brauche, um draufzukommen, wo meine Reise hingehen soll - weil das weiß ich derweil wirklich noch nicht.

STANDARD: Wie bitte - Sie haben kein Angebot?

Trettl: Das ist nicht der Punkt, Angebote habe ich genug. Aber die interessieren mich einstweilen nicht. Ich hab ja bis jetzt nie Zeit gehabt, die ganzen Eindrücke zu verarbeiten, die mir dieser Job verschafft hat. Seit zehn Jahren jeden Monat bei zwei richtig großen Köchen die Linie studieren, Menüplan schmieden, Produktlogistik prüfen, dann gleich nach Hause, das Team auf den neuen Gastkoch einstellen, gleichzeitig schon wieder an den nächsten Koch denken - da blieb nie Gelegenheit zur Reflexion. Darauf freue ich mich jetzt am meisten: Zeit haben, die Eindrücke Revue passieren, wirken lassen. Ob ich danach etwas in Österreich mache, in Deutschland, Singapur oder sonst wo auf der Welt - mal sehen. Darüber will ich einstweilen gar nicht nachdenken.

STANDARD: Wie hat sich der internationale Stellenwert der österreichischen Küche in diesen zehn Jahren verändert?

Trettl: Ich bin vor elf Jahren aus Tokio gekommen und hatte zuvor nie einen Draht hierher. Aber man hat doch über Österreich gehört, da gab es Namen, die international gefallen sind - und die damals mehr im Fokus waren als jetzt. Natürlich Heinz Reitbauer - aber der ist für mich ohnehin weltweit einer der Größten, weil er wirklich eine unverkennbare Handschrift hat. Oder Simon Taxacher, der ganz großartig kocht, Lisl Wagner-Bacher, Johanna Maier, die Brüder Obauer - die großen Namen, die uns schon lange begleiten. Und seitdem? Ich lege meinen Fokus natürlich sehr stark auf das, was sich international tut, aber helfen Sie mir: Ist da wirklich etwas nachgekommen? Ist jemand mutig? Mir fällt nur das Tian in Wien ein, vegetarisches Fine Dining halte ich wirklich für ein geiles Konzept, da ziehe ich meinen Hut. Aber sonst sehe ich in der Hauptsache Stillstand. Gut, bei manchen Jungen wie dem Burschen in der Sazianistub'n (Harald Irka, drei Hauben, Anm.) oder Konstantin Filippou (drei Hauben, Wien, Anm.) war ich nicht, mein Fehler, aber: Man hört auch international so gar nichts über Österreich. Für den Reichtum, der an kulinarischer Kultur da ist, passiert hier einfach viel zu wenig.

STANDARD: Woran liegt das?

Trettl: Ich hab schon eine Vermutung, aber ich weiß nicht, ob ich mich da ein bissl weit hinauslehne. Ich sag das jetzt zum ersten Mal: Österreich und seine Kulinarik scheint mir viel zu sehr von Gault Millau infiziert zu sein, das wird schon zu einer Krankheit. Jeder hat Angst, jeder kocht irgendwie nur für Gault Millau oder wie er glaubt, dass es denen gefallen könnte.

STANDARD: Für viele Köche ist es aber wichtig, einmal im Jahr etwas über ihre Arbeit zu lesen, eine Auszeichnung zu erhalten. Manche verstehen "Gault Millau" mehr als Guide für Köche und gar nicht mehr so sehr für das Publikum.

Trettl: Das ist ja noch absurder! Dann hab ich doch recht: Dieses Hoffen und Bangen um die nächste Haube kann's doch nicht sein. Wofür lebe ich als Koch? Damit ich glückliche Gäste hab, damit ich mich nach der Arbeit in den Spiegel schauen und stolz auf das sein kann, was ich mache - und nicht auf das, was ein Gault Millau über mich schreibt. Ich würde den Kollegen mehr Mut wünschen, die Konventionen infrage zu stellen, sonst kann sich an unserem Status quo nie etwas ändern. Überraschung ist doch ein ganz wichtiges Element bei dem, was wir machen!

STANDARD: Was sind die Ingredienzien, die uns im Vergleich zu jenen fehlen, die derzeit mehr im Rampenlicht stehen?

Trettl: Mut! Und nochmals Mut. Und mehr Zusammenarbeit unter den Köchen! Die Basken oder die Katalanen machen das seit Jahrzehnten, und in Schweden oder Dänemark ist es nicht anders. Wer eine gemeinsame Geschichte erzählen kann, steht gleich ganz anders da.

STANDARD: Und in der Ausbildung?

Trettl: Auweia, da sieht es bei uns dramatisch aus. Einerseits macht mir die Einstellung vieler Junger Sorgen, die alle sehr viel schneller über ihre Überstunden und Urlaubstage Bescheid wissen, als darüber, wie man eine Remouladensauce hinkriegt. Anderseits habe ich aber auch bei Besuchen in Berufsschulen Dinge erlebt, die jeder Beschreibung spotten. Da hat mich doch tatsächlich ein Lehrer vor versammelter Klasse gefragt, ob in einem "modernen Restaurant" wie dem Ikarus die Saucen noch alle selbst angesetzt werden. Ich hab gedacht, der macht einen Witz, aber nix. Bitte: Was soll man sich von jungen Menschen erwarten, die von so jemandem unterrichtet werden? Andererseits muss man als Chef schon auch selbst Verantwortung für die Ausbildung übernehmen. Deswegen haben wir im Ikarus fünf Lehrlinge. Wenn sich ein Kollege über den Nachwuchs beklagt, frage ich ihn immer als Erstes, wie viele Lehrlinge er hat - und sehr oft kommt da "keine"' als Antwort. Also bitte: Von nix kommt nix. Wo sollen es die Jungen denn lernen?

STANDARD: Thema Auslandserfahrung - ist das wichtig für die Jungen, oder lernt man anderswo auch nicht mehr als hier?

Trettl: Das ist enorm wichtig, auch abgesehen vom Kochen! Da wird einem der Kopf ganz anders zurechtgerückt, allein wenn man mal selbst die Wäsche wäscht und nicht mehr die Mama. Wenn man lernt, selbst Verantwortung für sein Dasein zu übernehmen. Es gibt so viele Sachen, die dich stark machen, nicht nur die Küche. Ich sag allen, die bei mir arbeiten: Machts den Schritt, zurückkommen könnt ihr immer noch. Das war auch das, was ich mir bei jeder Entscheidung gesagt habe: Ich kann den Schritt nach vorn machen, weil den Schritt nach hinten, den kann ich immer noch machen, wenn wirklich was schiefgeht.

STANDARD: Sie sind da in einer Ausnahmeposition, um Fäden für den Nachwuchs zu knüpfen, Verbindungen spielen zu lassen. Hat sich je wer an Sie gewandt, um da etwas voranzubringen? Das Landwirtschaftsministerium, der Wirtschaftsminister, sonst eine Institution?

Trettl: Niemand, in zehn Jahren null. Ich wäre sofort dafür zu haben, aber die schlafen offenbar alle. Dabei würde das unseren Jungen so guttun. Aber es kommen ja nicht einmal Anfragen von Berufsschulen. Ich bin überzeugt, dass allein ein Nachmittag mit einem großen Chef für einen jungen Menschen viel bewirken kann. Da wär' ich sofort dafür zu haben!

STANDARD: Wie geht es jetzt im Ikarus weiter? Ist es symptomatisch, dass mit dem Elsässer Martin Klein nach dem Südtiroler Roland Trettl wieder kein Österreicher diesen aufregenden Job macht?

Trettl: Da muss ich jetzt sehr lachen - das ist so eine österreichische Denke! Nach dem Motto " Ja hamma denn keinen Österreicher, der das mindestens so gut kann?". Aber es ist schon was dran. Ich habe nie auf die Nationalität geschaut, aber wenn ich mir Martin Klein anschaue, der seit acht Jahren im Ikarus ist, oder meine vier wichtigsten Mitarbeiter, zwei Küchenchefs und zwei Sous-Chefs: Von denen ist keiner Österreicher - obwohl wir ein Restaurant mitten in Österreich sind, das, denke ich mal, mehr als anständige Arbeitsbedingungen liefert. Das ist schon sehr schräg.

STANDARD: Woran liegt das?

Trettl: Tja, das frage ich mich auch. Die fünf, von denen ich rede, sind alle seit acht, neun Jahren bei mir und waren halt die, die am meisten Einsatz gezeigt haben, die Geduld hatten. Eines fällt aber schon auf: Das Leuchten in den Augen eines deutschen Kochs, wenn ich dem beim Vorstellungsgespräch sagen kann, dass er bei uns ein 13. und 14. Gehalt bekommt - das ist schon beeindruckend. Für einen Österreicher hingegen ist das natürlich nicht weiter besonders.

STANDARD: Zur Zukunft unserer Küche: Was muss geschehen, damit sie international wieder begehrenswert wird?

Trettl: Nehmen wir das Beispiel Mexiko, wo kulinarisch ganz aufregende, spannende Dinge passieren: Jeder Mexikaner ist total überzeugt, und mit Recht, dass es nichts auf der Welt gibt, was nur annähernd so gut ist wie die mexikanische Küche. Aus diesem Stolz und dieser Leidenschaft entsteht eine unheimliche Energie!

STANDARD: Aber bei uns ist doch auch jeder überzeugt, dass es auf der Welt nichts Besseres gibt als Schnitzel und Kaiserschmarren?

Trettl: Ja, die österreichische Küche hat ja auch eine unbezahlbare Vielfalt und Raffinesse, ein Talent, aus ganz wenigem etwas Außerordentliches entstehen zu lassen. Nur: Wo bekomme ich diese Küche in einer Qualität, die mich überzeugt? So gut wie nirgends mehr, leider. In Italien oder eben in Mexiko, da wird die Tradition halt hochgehalten. Das erlebe ich hier überhaupt nicht - oder viel zu selten. Wo bekomme ich ein wirklich perfektes Fleischlaberl, wer macht einen wirklich geilen Knödel, sagen Sie es mir! Da ist erschreckend viel verschüttgegangen.

STANDARD: Also geht es uns in Wahrheit nicht viel anders als den Skandinaviern vor ein paar Jahren? Die sind auch vor den Trümmern ihrer Küche gestanden und gelten heute als weltweite Vorbilder.

Trettl: Ich weiß nicht, ob bei denen nicht eine große nationale Anstrengung im Hintergrund entscheidend war. Klar haben die richtig gescheite, toll ausgebildete Leute, die auf der Welt unterwegs waren. Aber es ist auch so, dass da das ganze Land hinter diesen Burschen steht. Dass eben der Herr Minister selbst am Stand ist, wenn ein Däne beim Bocuse d'Or antritt. Das ist denen auf ganz andere Art wichtig als den Österreichern, auch was die Investionen betrifft.

STANDARD: Muss die heimische Küche also erst noch tiefer sinken, damit sie danach besser werden kann - wie es Dänemark vorgemacht hat?

Trettl: Ich hab leider meine Zweifel, ob wir das den Dänen nachmachen können. Das beginnt schon beim nationalen Stellenwert, den Essen mittlerweile dort hat - bei der Strategie der nationalen Selbstdarstellung, aber auch bei den Subventionen. Bei uns hat ja nicht einmal wer gemerkt, dass Michelin sich zurückziehen will - dabei wäre es für uns als Tourismusnation essenziell gewesen, das zu verhindern.

STANDARD: Wie bauen wir also eine Geschichte, an der sich unsere Küche wieder hochranken kann? Nur Tafelspitz und Kaiserschmarren zu verkaufen wird ja wohl nicht reichen, oder?

Trettl: Doch! Wenn der Tafelspitz nicht zerkocht ist und wenn der Kaiserschmarren perfekt ist, dann reicht das sehr wohl!

STANDARD: So wie das in Italien vorgemacht wird?

Trettl: Genau. Aber dafür müssen es halt auch Nudeln und Knödel und Gulasch und Schmarren sein, bei denen ich als Gast sage: So was hab ich noch nie gegessen. Die österreichische Küche ist so gut! Wenn die wieder in einer gewissen Breite ernst genommen und mit Ehrgefühl gekocht wird, dann wären wir auf einem wirklich guten Weg. Das wäre viel wichtiger, als dauernd nur zu schauen, was anderswo als Trend vorgehüpft wird! (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 8.11.2013)