Tripolis | Ostlibyen | Westlibyen

Lange leitete nur ein Mann die Geschicke Libyens, doch nach dem Sturz Muammar Gaddafis vor zwei Jahren ist die Lage unübersichtlicher denn je. Rund 1.700 verschiedene bewaffnete Gruppierungen operieren in dem nordafrikanischen Land. Trotz zahlreicher Versuche brachte sie die Regierung bisher nicht unter ihre Kontrolle.

Erst am Wochenende brachen in Tripolis die heftigsten Straßengefechten seit dem Sturz Gaddafis aus. Mehr als 40 Menschen wurden getötet, als Milizionäre aus dem östlich von Tripolis gelegenen Misrata auf Demonstranten schossen, die auf das Hauptquartier der Brigade in Tripolis marschierten. Am Samstag hatten Milizionäre aus Misrata versucht, ihren Kampfgefährten in der Hauptstadt zur Hilfe zu kommen, was neue Kämpfe zwischen bewaffneten Milizen auslöste. Am Sonntag wurde der Vizechef des Geheimdienstes, Mustafa Nuh, aus der westlichen Stadt Al-Zintan entführt, kam aber am selben Tag noch frei. Al-Zintan war im Bürgerkrieg 2011 eine der Hochburgen der Milizen.

Sie hatten entscheidend zum Sieg über die Gaddafi-Truppen beigetragen, heute machen sie das Land unregierbar - ein Überblick:

Tripolis

Nuri Abu Sahmayn (Foto: EPA / Sabri ElMhedwi)

"Operationsraum" der libyschen Revolutionäre

Eine von zahlreichen bewaffneten nichtstaatlichen Gruppen in Libyen. Zwar wurde die Miliz in der Vergangenheit von Nuri Abu Sahmayn, Sprecher des libyschen Parlaments, unterstützt, doch gilt der "Operationsraum" der libyschen Revolutionäre als mitverantwortlich für die Entführung von Premierminister Zaidan im Oktober 2013.

Das Ziel der Gruppe ist es nach eigenen Angaben, jene zu verhaften, die für finanzielle Unregelmäßigkeiten verantwortlich sind. Auch Personen mit Verbindungen zum ehemaligen Gaddafi-Regime geraten ins Fadenkreuz der Milizionäre.

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In einem Versuch, die zahlreichen Milizen des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen, versuchte die libysche Übergangsregierung 2011 die verschiedenen Kämpfer in der "Allianz der Bataillone der Revolutionäre" zu vereinen. Doch einige der wichtigsten und stärksten Milizen Ostlibyens waren von Anfang an nicht dabei:

Das Abu-Salim-Gefängnis in Tripolis - Namensgeber für die Abu-Salim-Märtyrerbrigaden (Foto: EPA / Sabri ElMhedwi)

Brigaden der Märtyrer des 17. Februar

Mit 1.500 bis 3.500 Kämpfern sind die Brigaden der Märtyrer des 17. Februar die größte und am besten bewaffnete Miliz im Osten Libyens. Die Einheit, die vom libyschen Verteidigungsministerium mitfinanziert wird, besteht aus zwölf Brigaden mit leichten und schweren Waffen sowie eigenen Ausbildungslagern.

Die Brigaden üben Polizeitätigkeiten im Osten des Landes sowie der Oase Kufra aus. Einige Mitglieder kämpfen jedoch auch im syrischen Bürgerkrieg an der Seite der oppositionellen Rebellen.

Brigade der Abu-Salim-Märtyrer

Eine Gruppe von Jihadisten, die bereits frühzeitig an der Revolution gegen das Gaddafi-Regime mitgewirkt hat. Mehr als zwei Jahre später betreuen die Kämpfer unter anderem zivile Infrastrukturprojekte. In der Hafenstadt Derna, östlich von Benghazi, sind sie aber auch für die Aufrechterhaltung der Sicherheit zuständig.

Wo die Brigade ideologisch steht, verrät der Name der Kämpfer: Das Abu-Salim-Gefängnis war in der Ära Gaddafi bekannt für seine islamistischen Insassen.

Libysche Schutzschildkräfte

Die Libyschen Schutzschildkräfte sind vermutlich das, was im heutigen Libyen einer normalen Armee am ähnlichsten ist. Die Kämpfer der Miliz stehen unter dem Kommando von Wisam Bin Hamid, der in Benghazi die "Freien Libyschen Märtyrer" kommandierte. Die Einheit besteht aus Milizen aus dem ganzen Land und ist in drei Brigaden unterteilt, die die drei großen Regionen - Osten, Zentrum und Westen - widerspiegeln sollen.

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Saif al-Islam wurde von Kämpfern des Militärrats der Al-Zintan-Revolutionäre verhaftet (Foto: AP/ElDarwish)

Militärrat der Al-Zintan-Revolutionäre

Im Mai 2011 aus 23 Milizen in Al-Zintan gegründet, besteht der Militärrat der Al-Zintan-Revolutionäre heute aus fünf Brigaden. Der Anführer der Gruppe ist Mukhtar Kalifah Shahub al-Akhdar, ein ehemaliger Marineoffizier Gaddafis. Sein Vorgänger, Osama al-Juwaili, ist heute Verteidigungsminister Libyens. Zu internationaler Bekanntheit brachten es die Kämpfer, nachdem sie im November 2011 Saif al-Islam, den Sohn von Ex-Staatschef Muammar al-Gaddafi, verhaftet haben. Neben bewaffneten Kämpfern leistet sich der Militärrat auch den Satellitenkanal Libya al-Watan und zahlreiche Webseiten.

Sadun-al-Suwayli-Brigade

Obwohl die Sadun-al-Suwayli-Brigade relativ unabhängig von der Regierung agiert, wurde sie vor kurzem in die libyschen Sicherheitskräfte integriert. Während der Revolution waren die von Faraj al-Suwayli angeführten Kämpfer für die Befreiung von Tripolis mitverantwortlich, wo sich bis heute Truppenteile befinden.

Al-Sawaiq-Brigade

In Zintan und dem Nafusa-Gebirge gegründet, waren die Kämpfer der Al-Sawaiq-Brigade führend an der Befreiung von Tripolis im September 2011 beteiligt. Nach dem Fall des Gaddafi-Regimes beschützten sie wichtige Mitglieder der Übergangsregierung, bis sie schließlich im Oktober 2012 unter die Obhut des Verteidigungsministeriums kamen.

Al-Qaqaa-Brigade

2011 in Zintan gegründet, hatte die Al-Qaqaa-Brigade nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes die Aufgabe, wichtige Vertreter der Übergangsregierung zu beschützen. Mittlerweile sind die Kämpfer offiziell dem Verteidigungsministerium unterstellt - ihre Loyalität liegt jedoch weiterhin bei ihrem Anführer Uthman Miliqta. (stb, derStandard.at, 19.11.2013)