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Gustl Mollath war erst nach sieben Jahren wieder ein freier Mann.

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Am 6. August 2013 verließ er die Psychiatrie des Krankenhauses Bayreuth.

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Der Fall Gustl Mollath gilt als einer der größten Justizskandale der Bundesrepublik Deutschland. Der 56-Jährige wurde sieben Jahre gegen seinen Willen in der geschlossenen Psychiatrie des Bezirkskrankenhauses Bayreuth festgehalten. Im August 2013 wurde Mollath aufgrund eines Urteils des Oberlandesgerichts Nürnberg entlassen.

Der Fall begann im Jahr 2003, als Mollath von seiner damaligen Frau wegen Körperverletzung angezeigt wurde. Zudem soll er Autoreifen aufgestochen haben. Im Dezember desselben Jahres erstattete Mollath Anzeige gegen seine Frau wegen Geldschieberei. Sie soll Kunden der HypoVereinsbank geholfen haben, Geld ins Ausland zu schaffen. Mollath konfrontierte zudem die Bank selbst mit den Vorwürfen. Vor Gericht wurden ihm durch ein psychiatrisches Gutachten "wahnhafte psychische Störung und paranoide Symptome" attestiert. Es folgte 2006 die Einlieferung in die Psychiatrie.

"Staatsversagen auf höchster Ebene"

Erst 2012 kam Bewegung in den Fall, als Medien zu recherchieren begannen und sich eine Gruppe von Unterstützern für Mollath starkmachte. Ein Revisionsbericht der HypoVereinsbank aus dem Jahr 2003, der die getätigten Vorwürfe Mollaths bestätigte, wurde öffentlich. Doch erst eine "unechte Urkunde" führte zur Freilassung des Mannes.

Für das Buch "Staatsversagen auf höchster Ebene: Was sich nach dem Fall Mollath ändern muss" sammelten der deutsche Soziologe Sascha Pommrenke und der Journalist Marcus Klöckner nun Texte von Experten zum Thema. Im Vorwort erklären die Herausgeber ihre Beweggründe: "Wenn ein Mensch aus der Mitte unserer Gesellschaft aufgrund fragwürdiger Entscheidungen jahrelang weggesperrt und seiner Grundrechte beraubt wird, dann geht es uns alle an." Bianca Blei im Gespräch mit den Autoren.

derStandard.at: Sie haben sich für die Veröffentlichung eines Buches entschieden, da Ihrer Meinung nach wichtige Diskussionsbeiträge, Analysen und Hintergrundinformationen nur im Internet zugänglich sind. Wurde der Fall in der Öffentlichkeit zu wenig diskutiert?

Pommrenke: Der Fall Mollath ist nur deshalb zu einem Fall geworden, weil die Unterstützer sehr viele Dokumente inklusive des Urteils im Internet zugänglich gemacht haben. Auch Verteidiger Gerhard Strate hat rund 80 Dokumente veröffentlicht. Darunter befinden sich vor allem auch die psychiatrischen Gutachten.

Jeder Interessierte sollte sich diese durchlesen. Es ist eine einmalige Gelegenheit, an einem konkreten und gut dokumentierten Beispiel über die Praxis psychiatrischer Begutachtung zu diskutieren. Mithilfe der Gutachten kann in das Leben eines Menschen maximal eingegriffen werden. Entsprechend sollte die Kontrolle und damit einhergehend auch die nötige Transparenz maximal sein.

derStandard.at: Stichwort Kontrolle - der erste kritische Medienbericht über den Fall erschien erst im Jahr 2011 in den "Nürnberger Nachrichten". Zuvor wurde der Fall immer wieder als "Verschwörungstheorie" abgetan, und niemand hat sich der Sache angenommen. Ab wann hätten kritische Journalisten hinschauen müssen?

Klöckner: Kritische Journalisten hätten meiner Ansicht nach bereits 2006 im Gerichtssaal, als Mollath der Prozess gemacht wurde, dabei sein müssen. Was eine Verschwörungstheorie ist und was nicht und ob ich diese ernst nehme oder nicht, das möchte ich für mich selbst entscheiden. Das ist nicht Sache der Journalisten. Der Begriff Verschwörungstheorie ist doch längst zu einem Kampfbegriff geworden - und er scheint oft auch das Denken im Journalismus zu gängeln.

derStandard.at: Können Sie ein Beispiel im konkreten Fall nennen?

Klöckner: In unserem Buch wird in einem Beitrag geschildert, wie ein Redakteur des Magazins "Stern" auf den Fall Mollath reagiert hat: "Wir sind keine Anhänger von Verschwörungstheorien: In diesem Falle konstruieren Sie ja wohl eine Verschwörung der Psychiatrie und der Justiz mit der Bankenwelt, um unschuldige Menschen, die Ihnen auf die Schliche gekommen sind, mundtot zu machen." So sieht meines Erachtens ein Totalausfall des kritischen Journalismus aus.

Pommrenke: Mich kontaktieren zahlreiche Menschen, die verzweifelt nach jemandem suchen, der zuhört, der sich ihre Geschichte anschaut. Dabei handelt es sich häufig auch um Erfahrungen mit Psychiatrien, mit Gutachtern, mit Gerichten und Politikern. Vieles klingt verworren.

Aber ist es nicht Aufgabe von Journalisten und einer demokratischen Öffentlichkeit, auch vermeintlich Verwirrten zuzuhören? Wer sagt denn, dass die Verwirrungen nicht durch das erlebte Unrecht entstehen? Ohne eine Überprüfung des jeweiligen Falles, lässt sich das schlichtweg nicht sagen. Dann würde man einfach nur vorverurteilen. Und genauso ist es Herrn Mollath geschehen.

derStandard.at: Um "Verschwörungstheorien" nachzurecherchieren, braucht es Personal und Zeit. Können sich das künftig nur noch große Medienhäuser leisten?

Klöckner: Machen wir uns doch nichts vor: Die strukturellen Bedingungen innerhalb der Medien sind zum großen Teil eine Katastrophe. Viele Redaktionen sind dünn besetzt, und es fehlt an Geld oder Willen, die vorhandenen Geldmittel für Recherchen zu investieren. Also bleiben noch einige wenige große Medien. Dort ist aber das Problem, dass es stark ausgeprägte Hierarchien gibt.

Ich will damit nicht sagen, dass früher in den Medien alles besser war. Im Gegenteil: Schon immer gab es bestimmte Gesetzlichkeiten, die im journalistischen Feld wirkten und einem kritischen Journalismus im Wege standen, aber die Entwicklungen, wie sie seit Jahren beobachtet werden können, verschärfen die Situation weiter.

Pommrenke: Fakt ist, dass die Medienunternehmen von sich aus daran nichts ändern werden. Durch alternative Angebote im Internet, durch neue Formate, auch Bezahlformate können hier aber durchaus Veränderungen angestoßen werden. Beispielhaft seien hier Flattr und Paypal erwähnt. Wer also gut recherchiert und einen tollen Artikel online stellt, den kann der Leser direkt belohnen. Aber es sind sicherlich noch viele andere Anreizsysteme für besseren und investigativeren Journalismus denkbar.

derStandard.at: Sie haben im November 2012 mit Ihren Recherchen zum Fall Mollath begonnen. Mit welchen Reaktionen von Behörden oder Interviewpartnern waren Sie konfrontiert?

Klöckner: Einfache Anfragen wurden nicht oder nur unzureichend beantwortet. Einer Staatsanwaltschaft musste ich eine Kopie des Bayerischen Pressegesetzes schicken, in dem der Informationsanspruch der Presse gegenüber Behörden geregelt ist. Erst dann wurde mir die Anzahl der Strafanzeigen genannt, die im Fall Mollath vorliegen.

Immer wieder wurde bei den Anfragen ein Tonfall veranschlagt, der für Behörden, die auch auf ihre Außendarstellung bedacht sein sollten, beschämend ist. Wenn ich als Vertreter der Presse bei einer Behörde anrufe und Fragen habe, möchte ich nicht angeschrien werden. Ich habe mich mit Kollegen ausgetauscht, die haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Insgesamt habe ich das so noch bei keiner Recherche erlebt.

derStandard.at: Welche öffentlichen Debatten müssen im Fall Mollath noch geführt, was muss noch recherchiert oder aufgearbeitet werden?

Klöckner: Da gibt es so vieles. Die Rolle von Mollaths Ex-Frau sollte hinterfragt werden, das Verhalten der Bank und die von Mollath angesprochenen Schwarzgeldstrukturen müssten verstärkt in den Fokus kritischer journalistischer Recherchen rücken. Das Verhalten der Psychiater und anderer Funktionsträger, die in dem Fall Mollath agiert haben, müsste dringend beleuchtet werden, auch die Rolle bestimmter Vertreter der Politik sollte näher betrachtet werden. Die Aufzählung lässt sich leicht fortführen.

Pommrenke: Demokratie ist kein Geschenk und kein ewiger Zustand. Demokratie ist ein Prozess, und deshalb müssen der Erhalt und die Verbesserung permanent erkämpft werden. Und damit meine ich auch und vor allem den Kampf um Deutungshoheit, den Kampf um demokratische Kontrolle, um Transparenz und Mitgestaltung.

Es entstehen immer Eigendynamiken, die so zwar niemand gewollt hat, die aber zu schrecklichem Leid führen können, und es gibt selbstverständlich auch Täter, die mit Absicht handeln, um den eigenen Vorteil, den eigenen Profit an Prestige und Reichtum zu maximieren. In beiden Fällen bedarf es einer kritischen und engagierten Öffentlichkeit.

derStandard.at: Wie lässt sich die von Ihnen geforderte Transparenz umsetzen?

Pommrenke: Transparenz ist kein Allheilmittel. Es genügt nicht, im Keller des Rathauses einen Aushang zu machen oder irgendwo im Internet ein Dokument zur Verfügung zu stellen. Vielmehr bedarf es einer Institutionalisierung von Transparenz und Kontrolle. Ein unabhängiges Gremium, ausdrücklich nicht nur mit Experten besetzt, könnte zum Beispiel erstellte Gutachten überprüfen. Wichtig wäre es, diesen Denk- und Meinungsbildungsprozess anzustoßen, um gemeinsam zu sinnvollen Einrichtungen zu gelangen.

Dabei geht es gar nicht darum, alle Fälle öffentlich zu diskutieren. Die meisten Menschen begeben sich freiwillig in psychiatrische Betreuung, und viele andere Fälle sind vermutlich unstrittig. Deshalb geht es vor allem um die Fälle, bei denen die Menschen sich ungerecht behandelt fühlen, bei denen Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden oder werden sollen. Hier muss genau hingeschaut werden, und hier geben die Personen meist ihre Daten selber frei, weshalb es keine datenschutzrechtlichen Bedenken gibt. Aber natürlich muss auch das vernünftig diskutiert werden. (Bianca Blei, derStandard.at, 26.11.2013)