Zwei Prinzessinnen in einem nordischen Reich müssen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten ihren Frieden schließen: "Die Eiskönigin" bietet Romanze, Drama und Musical in einem.

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Wien - Die Wahrheit über die Liebe kennt ein grauer Troll. Bis in die von Steinwesen bewohnte Waldarena haben sie sich geflüchtet, der blonde Naturbursche mit seinem eigensinnigen Rentier und die am Herzen unsichtbar verwundete Prinzessin. Dass sie als kleines Mädchen bereits mit ihrem Vater an diesem Ort war, daran kann sich die junge Prinzessin nicht mehr erinnern. Doch diesmal kann ihr nicht geholfen werden. Im Gegensatz zum Kopf, so der oberste Troll, könne man das Herz nicht beeinflussen.

Was als Motiv an Saint-Exupérys Erzählung vom kleinen Prinzen erinnert, stammt aus Hans Christian Andersens Märchen Die Schneekönigin, in dem ein kleiner Bub ein von einem Trollspiegel abgesprungenes Glaskorn "gerade ins Herz hinein" bekommt, auf dass dieses Stück für Stück gefriert. Und auch wenn der Bub mit dem eisigen Herzen und das ihn suchende Mädchen am Ende einem gesegneten Sommer entgegensehen, breitet sich über dieses Märchen wie ein Schatten das Gefühl bitterer Traurigkeit.

In einem vorweihnachtlichen Familienfilm muss ein solcher Anflug von Dunkelheit restlos überstrahlt werden, weshalb Die Eiskönigin (Regie: Chris Buck, Jennifer Lee) auch keine Adaption des Andersen-Märchens sein will, sondern sich auf wenige Motive daraus beschränkt. Und nachdem es ohnehin nur eine Frage der Zeit war, bis Disney nach Rapunzel - Neu verföhnt eine weitere Quelle aus dem Märchenland erschließt, funktioniert Die Eiskönigin in doppelter Hinsicht als Bearbeitung eines vertrauten Territoriums.

Macht der Vereisung

Aus Andersens Nachbarkinder aus der großen Stadt sind also die üblichen großäugigen, stupsnasigen Prinzessinnen geworden, die als Waisen in einem kleinen, nordischen Königreich aufwachsen. Tatsächlich erinnert die rothaarige Anna in ihrer Überdrehtheit an das neu verföhnte Rapunzel, während die ruhige ältere Schwester Elsa an ihrer heimlichen Gabe zu zerbrechen droht: Sie besitzt die Macht, ihre Umgebung zu Eis erstarren zu lassen; doch wie bei den modernen Superhelden wird die Fähigkeit für sie zum Fluch - ausgerechnet beim Krönungsakt versetzt sie die Untertanen in Angst sowie das Reich in scheinbar ewige Kälte. Sie flieht auch vor der eigenen unkontrollierbaren Kraft.

Wie in einem Musical bewegen sich in diesem ersten Kapitel die Figuren durch die Räume und eignen sich diese an, etwa die quirlige Prinzessin, die sich mit dem zur Krönung angereisten Prinzen ein schmissiges Duett (Love is an Open Door) liefert. Überhaupt findet Die Eiskönigin zu Bildern, die mit den gut platzierten Songs buchstäblich in Einklang stehen. Verlorene Kindheit, Entzweiung und selbstbefohlener Rückzug münden für die Vertriebenen in neue Stärke: Die Kälte sei nun Teil von ihr, schmettert die Eiskönigin - in der durchaus passabel synchronisierten Fassung - und errichtet sich ihr eigenes Reich auf dem höchsten weißen Gipfel.

Wie schon Rapunzel möchte auch Die Eiskönigin viele Tonlagen treffen, wechselt deshalb zwischen herzzerreißendem Selbstbehauptungsdrama, kindlicher Romanze, lustigen Sidekicks in der Gestalt von Rentier und Schneemann sowie abenteuerlicher Schlittenverfolgungsjagd. Die Farbdramaturgie kann sich sehen lassen: Dem Weiß wirken Dunkelgrün und Weinrot entgegen und sorgen für charakteristische Gegensätze der Figuren.

Doch in einem der schönsten Momente dieses Films herrscht absolute Stille, und dann stehen selbst die Schneeflocken starr in der fast spürbar kalten Luft. Es ist jener Augenblick, den es zu überdauern gilt, ehe beide Prinzessinnen, wie bei Andersen, endlich "erwachsen und doch Kinder im Herzen" sein können. (Michael Pekler, DER STANDARD, 28.11.2013)