Beharrt darauf, dass es kein Verbot für das Übernachten im Freien gibt, sondern eine Einschränkung für bestimmte Plätze: der ungarische Botschafter Vince Szalay-Bobrovniczky in seinem Büro.

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STANDARD: Sie haben in einer E-Mail an uns geschrieben, "auf Ungarn einzudreschen wird langsam ein Volkssport in Österreich" - wie kommen Sie darauf?

Szalay-Bobrovniczky: Ich bin seit drei Jahren hier, und meine Erfahrung ist, dass die Berichterstattung gegenüber Ungarn überaus kritisch ausfällt.

STANDARD: Zum Beispiel in Bezug auf das neue Obdachlosengesetz?

Szalay-Bobrovniczky: Das habe ich nicht gemeint. Aber ja, das auch. Ungarn als schlechtes Beispiel zu nehmen ist nicht begründet. Im Gegensatz zu Wien haben wir die Geldstrafe in Ungarn noch nicht angewendet. Zuerst werden die Obdachlosen gebeten, den Platz zu verlassen. Wenn sie das nicht tun, können sie zu gemeinnütziger Arbeit herangezogen werden.

STANDARD: Sie meinen verpflichtet.

Szalay-Bobrovniczky: Aber sie können es ablehnen. Dann kommt erst als dritte Möglichkeit die Geldstrafe. Und wenn sie das nicht bezahlen wollen, kann Freiheitsentzug verhängt werden.

STANDARD: Eine Gefängnisstrafe fällt für Sie nicht unter Kriminalisierung von Obdachlosen?

Szalay-Bobrovniczky: Wenn ich mir die Wiener Kampierverordnung anschaue, soll mir niemand sagen – besonders der Herr Hacker nicht (Anm.: Chef des Fonds Soziales Wien) –, dass in Ungarn Zynismus staatlich verordnet wurde. Obdachlosigkeit ist nicht verboten.

STANDARD: Im Gesetz steht, dass "im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dauerhaftes Wohnen im Freien als gesetzwidrig eingestuft werden kann". Wenn das kein Verbot ist, was dann?

Szalay-Bobrovniczky: Es gibt kein allgemeines Verbot, die Kommunen haben die Möglichkeit, den Aufenthalt in bestimmten Gebieten einzuschränken. Die andere Seite der Geschichte ist, dass die Verfassung dem Staat jetzt verordnet, Unterkunft für alle zu bieten.

STANDARD: Ungarn ist von diesem Ziel noch weit entfernt.

Szalay-Bobrovniczky: Wir stehen nicht so schlecht da.

STANDARD: In Budapest gibt es für geschätzte 10.000 Obdachlose nur 6000 Schlafplätze – das ist noch ein langer Weg zum Verfassungsziel.

Szalay-Bobrovniczky: Richtig. Aber in Wien ist das nicht anders. (Anm.: etwa 5000 Plätze für 9000 Obdachlose).

STANDARD: Wien beteuert, es wird niemand weggeschickt.

Szalay-Bobrovniczky: Wir schicken auch niemanden weg. Es steht Aussage gegen Aussage.

STANDARD: Sehen Sie den Zynismus nicht in dieser Diskrepanz, dass es zu wenige Plätze gibt, das Leben im Freien aber verboten wurde?

Szalay-Bobrovniczky: Nein. Es ist zu früh, um Bilanz zu ziehen. Wir wissen noch nicht, ob es zu wenig Quartiere gibt.

STANDARD: Wo sollen die Menschen hin, die keinen Platz bekommen?

Szalay-Bobrovniczky: Budapest überlegt, die U-Bahn-Stationen und Messehalle in der Nacht zu öffnen. Die Schlafplätze werden ausgebaut. Wir haben in diesem Jahr 30 Millionen Euro dafür ausgegeben.

STANDARD: Laut Caritas kommen heuer nachweislich mehr Obdachlose aus Ungarn nach Österreich. Wie erklären Sie sich das?

Szalay-Bobrovniczky: Warum beschäftigt man sich ständig mit uns? Ich würde erst über Ungarn herziehen, wenn in meinem Hause alles in Ordnung ist.

STANDARD: Glauben Sie nicht, dass viele Ungarn vor dem Gesetz flüchten, das seit September in Kraft ist?

Szalay-Bobrovniczky: Die Verordnung wurde noch nicht angewendet. Ich kann den Zusammenhang nicht sehen. Wir versuchen,
menschenwürdiges Übernachten zu ermöglichen. Gerade wurde
ein neues Heim in Budapest er­öffnet.

STANDARD: Das hat 157 Plätze, ein Tropfen auf den heißen Stein.

Szalay-Bobrovniczky: Ich sage nicht, dass alles das Gelbe vom Ei ist. Aber wir bemühen uns, und das sollte anerkannt werden.

STANDARD: Die Kritik kommt auch von der Opposition. Die Sozialisten bezeichnen das Gesetz als „Kriegserklärung gegen Obdachlose".

Szalay-Bobrovniczky: Die interessante Frage ist doch, wo die Kritik aus dem Ausland herkommt. Die Aussagen der Opposition werden einfach ungeprüft übernommen.

STANDARD: Der Verfassungsgerichtshof wurde entmachtet, um das Gesetz durchzubringen. Ist das in Ihren Augen der richtige Weg?

Szalay-Bobrovniczky: Das stimmt so nicht: Dem Verfassungsgerichtshof war die frühere Regelung zu allgemein formuliert. Jetzt ist sie zweckgebunden und eingeschränkt.

STANDARD: Was ist Ihrer Meinung nach das Ziel des Gesetzes?

Szalay-Bobrovniczky: Erstens, dass ein Rechtsanspruch auf Unterkunft besteht. Und zweitens, die öffentliche Ordnung zu sichern.

STANDARD: Gab es denn Probleme mit der öffentlichen Sicherheit?

Szalay-Bobrovniczky: Ich kann das nicht messen. Offenbar ist das aber nicht nur eine ungarische Erscheinung, einige EU-Staaten schmeißen Roma aus dem Land. Ich sehe dazu aber nicht viele Berichte in den hiesigen Medien, wenn ich das leise bemerken darf. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 29.11.2013)