Nahezu ein Viertel aller betreuungsbedürftigen alten Menschen erlebt Gewalt, ein Fünftel Vernachlässigung – diese beängstigenden Zahlen präsentierte der Soziologe und Sozialgerontologe Josef Hörl von der Universität Wien bei einer Fachtagung an der Linzer Fakultät der FH Oberösterreich. Diese Zahlen sind das Ergebnis einer Auswertung von 49 europäischen und internationalen Studien.

Ein Drittel der betreuenden Angehörigen von Demenzkranken berichtet diesen Auswertungen zufolge über von ihnen selbst ausgeübte Gewalt, fünf Prozent deuten diese als körperliche Misshandlungen. "Alle Expertinnen  waren einhellig der Meinung, dass  sich  Gewalthandlungen in erster  Linie durch Überforderung der Pflegepersonen erklären lassen und diese daher dringend Entlastung und Unterstützung bei ihrer herausfordernden Arbeit brauchen" sagt Tagungsleiterin Brigitte Humer vom Department für Soziale Arbeit der FH Oberösterreich in Linz und folgert, dass "Wegschauen und Tabuisieren der falsche Weg" wäre.

Gewalt hat viele Gesichter

Mediziner, Sozialwissenschaftler, Pflegeexperten und Sozialarbeiter fanden bei der in Kooperation mit Pro Senectute Österreich durchgeführten Tagung "Gewalt an alten Menschen" Ende November einen interdisziplinären Zugang zum Thema. Dabei wurden auch die vielen Gesichter thematisiert, welche Gewalt in der Praxis annehmen kann. Neben der körperlichen Ausprägung stehen die emotional-psychische und die finanzielle sowie die Vernachlässigung von Aufsicht und Betreuung.

Gegen das Problem anzugehen ist offenbar schwierig, wobei die Enttabuisierung für Tagungsleiterin Humer einen ersten notwendigen Schritt darstellt. Sie sieht dabei alte Menschen auch einem in deren Physiognomie begründeten Nachteil gegenüber kleinen Kindern ausgesetzt: "Das Kindchenschema, das einem natürlichen Appell an die Beschützerinstinkte des Menschen gleichkommt, greift bei alten Menschen natürlich nicht mehr." (red, derStandard.at, 16.12.2013)