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Lange Schlangen vor den Luxusshops: die Canton Road in Hongkong.

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Henry Steiner lebt seit 1961 in Hongkong. Sein Design ist in Asien stilprägend.

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An der Wand hängt ein meterlanges Panoramabild, das jenes Hongkong zeigt, in dem Henry Steiner 1961 ankam. Vier- und fünfgeschoßige Häuser am Victoria Harbour sind zu sehen, ein paar Fähren und sonst nicht viel. Schaut der alte Herr heute aus dem Fenster des Hongkong Club, ragt ein Wolkenkratzer neben dem anderen in den Himmel. In wenigen Metern Entfernung stehen die Konzernzentrale von Hutchison Whampoa, der Bank-of-China-Tower und das Mandarin Oriental Hotel. Es ist die Skyline einer Stadt, in der scheinbar alles geht.

Steiner, heute bald 80 Jahre alt, ist aus den USA hierhergekommen. Er stammt aus Baden bei Wien, musste unter den Nazis emigrieren, hielt sich in Brooklyn über Wasser, schaffte es an die Yale University. In Hongkong wurde er zum renommiertesten Designer Asiens. Das Logo der HSBC stammt von seiner Hand, er hat für Unilever und IBM gearbeitet, für die Standard Chartered Bank entwirft er bis heute Hongkong-Dollar-Banknoten.

Weiß livrierte Kellner bringen Herrn Steiner das Frühstück: Kaffee und eine Papaya. Er erzählt vom Hongkonger "Business-Spirit", von jener besonderen Eigenschaft in dem Ort an der Perlfluss-Mündung, in dem sich britische Lebensart und chinesische Geschäftigkeit zu einem außergewöhnlichen Amalgam verbündet haben; eine Mischung, bei der Geld, Macht und Reichtum zu einer unendlich mehrbaren Größe geworden zu sein scheinen. Sind London und New York City seine Kathedralen, ist Hongkong der Petersdom des Kapitalismus.

Kaum eine Wirtschaft ist so frei wie diejenige hier. Für Handel und Finanzdienstleistungen gibt es kaum Grenzen. Jeder kann binnen eines Tages ein Unternehmen aus dem Boden stampfen. Ein Dollar Kapital genügt. Es gibt weder Einkommens-, Mehrwertsteuer noch andere Geschäftstaxen. "Aber inzwischen haben sie es mit dem Business-Spirit ein wenig übertrieben", sagt Steiner. "Inzwischen wird die Gegend von Bürokraten und Vermietern kontrolliert." Die liberalste Ökonomie der Welt in der ehemaligen britischen Kronkolonie hängt vom Wohlwollen der Administration (vor allem auch jener in Peking) und äußerst knappem Raumressourcen ab.

30 Quadratmeter große Wohnungen können auf 4000 Euro pro Monat kommen, sogenannte "cage people", Käfigmenschen, mieten sich winzige Schlafboxen für 200 Euro im Monat. Dennoch prosperiert die Wirtschaft der südchinesischen Sieben-Millionen-Metropole. Es gibt die größte Rolls- Royce-Dichte weltweit hier, die Geldbäume der Banker wachsen in den Himmel, das Pro-Kopf-Einkommen übertrifft jenes vieler europäischer Länder. Und der Konsum, er durchbricht jede Rekordmarke: In der Canton Road, der Einkaufsmeile in Kowloon, stehen vor allem Festlandchinesen vor den Luxusgeschäften Schlange und decken sich geschlossen bei Prada, Hermes und Louis Vuitton ein - der Designerschick ist der Mao-Anzug dieser Tage, ein Gucci-Täschchen auch auf dem Festland ein probates Mittel, um die Frau des Chefs (und damit den Chef) bei Laune zu halten.

Demokratie hingegen ist ein schwerer verkäufliches Gut in Hongkong. Das Territorium hat einen noch von den Briten ausgehandelten und bis 2047 garantierten Sonderstatus in der Volksrepublik China. 2017 soll es erstmals freie Wahlen geben, Peking will aber die Kandidaten bestimmen. Dagegen tritt Occupy Central auf, eine Graswurzelorganisation, die für echte Mitbestimmung eintritt. Erst zum Jahreswechsel gingen Tausende in Hongkong dafür auf die Straße. Bei einer Art digitalen Referendums sprachen sich 94 Prozent von 62.000 Teilnehmern für eine tatsächlich demokratische Wahl des Regierungschefs aus.

Die dahinterliegende Frage ist, ob Hongkong vom ökonomisch-politischen Magnetismus der Volksrepublik noch stärker angezogen wird oder ein sich stetig öffnendes und möglicherweise auch politisch liberalisierendes China eher in Richtung Hongkonger Sondermodell geht.

Ein Reptil

Zählt das Geld als Maßeinheit für Machtverhältnisse, dann ist die Richtung klar: Es geht stramm in Richtung chinesische Verhältnisse. Das beste Indiz dafür, raunen Beobachter in der Stadt, sei die Geschäftsgebarung Li Ka-shings. Der Eigentümer des Mischkonzerns Hutchison Whampoa Limited (Steiner: "Ein Reptil, das durch die Annäherung an China in den 1990ern groß geworden ist") hat unlängst alle Beteiligungen am von ihm de facto kontrollierten Supermarktbereich in der Stadt verkauft. Wegen geringer Renditeerwartungen, heißt es, oder weil man in Europa günstig Unternehmen kaufen wolle. Als Hauptgrund gilt aber, dass Li dem ökonomischen Frieden der liberalsten Marktordnung der Welt nicht mehr traut.

Am anderen Ende des Interessenspektrums steht Jimi. Er studiert an der Hongkong University of Science and Technology Wirtschaft. Der Campus ist brandneu und von einer amerikanischen Uni kaum zu unterscheiden. Es wird gebüffelt, dass die Köpfe rauchen. In den Bibliotheken ist kein Platz frei. Auch viele Festlandchinesen haben sich hier eingeschrieben. "Ich will meinen Abschluss hier, und dann bin ich weg", sagt Jimi, der schmale Student, noch eher Bub als Mann, mit einem gewinnenden Lächeln. Die politische Freiheit sei auf dem Rückzug, die Polizei gehe hart gegen Demonstranten vor - "aber was für eine Demokratie ist das, wenn man nicht für seine Rechte eintreten darf?"

Gute Frage. Die Antwort darauf muss vor allem in Peking gegeben werden - auch ganz im eigenen Interesse. (DER STANDARD, 4.1.2014)