Ein christlicher Missionar wird vom Stamm der Logiker gefangen genommen. Die Logiker hassen alle Religionen. Auf Missionierung steht die Todesstrafe. Nach einer alten Sitte des Stammes hat der Gefangene jedoch das Recht, zwischen zwei Todesarten zu wählen. Der Missionar wird der Stammesversammlung vorgeführt. Der Häuptling erklärt ihm: "Du hast das Recht, einen einzigen Satz zu sagen. Wenn dieser Satz wahr ist, wirst du verbrannt. Wenn er falsch ist, wirst du mit giftigen Pfeilen getötet."

Der Missionar bricht in schallendes Gelächter aus: "Aber das weiß doch bei uns zu Hause jedes Schulkind: Ihr werdet mich mit giftigen Pfeilen töten."

Betretenes Schweigen unter den Logikern. Sie haben sofort verstanden, dass sie den Missionar nicht mit giftigen Pfeilen töten können, weil er dann ja die Wahrheit gesagt hätte und sie ihn hätten verbrennen müssen. Sie können ihn aber auch nicht verbrennen, weil er dann die Unwahrheit gesagt hätte und sie ihn mit Giftpfeilen hätten töten müssen. Ein Stammesältester namens Nec-Nec bringt es auf den Punkt: "Wenn wir ihn weder verbrennen noch mit Giftpfeilen töten können, müssen wir ihn laufen lassen."

Da springt der junge Krieger Aut-Aut auf: "He Leute, lasst euch doch nicht von diesem christlichen Klugscheißer verwirren. Wenn wir ihn verbrennen und dabei gleichzeitig mit giftigen Pfeilen beschießen, dann hat er sowohl die Wahrheit gesagt als auch gelogen, also hat er beide Todesarten gewählt, und die kriegt er auch."

Es meldet sich Tertium-Nondatur, ein bedächtiger Stammesältester: "Nicht so schnell! Der Sinn unserer Regel ist es, eine Entscheidung zwischen zwei Alternativen herbeizuführen. Die Einführung einer dritten Alternative ist also unzulässig. Daraus folgt: Wir dürfen ihn nicht laufen lassen, und wir dürfen auch nicht beide Todesarten gleichzeitig anwenden."

In der Versammlung kommt Unruhe auf. Endlich ergreift Recursivus, der angesehenste Philosoph unter den Logikern, das Wort: "Unser Stamm existiert nur, weil wir die Regeln, die wir uns selbst gegeben haben, strikt befolgen. Nach der Antwort des Missionars können wir ihn jedenfalls nicht entweder mit Pfeilen töten oder verbrennen, ohne unsere Entscheidungsregel für die Wahl der Todesarten zu verletzen. Tertium-Nondatur hat aber unrecht, wenn er meint, dass wir ihn nicht laufen lassen oder auf beide Arten gleichzeitig hinrichten können. Er hat deshalb unrecht, weil wir jetzt keine dritte Alternative suchen, sondern vor einer neuen Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten stehen.

Entweder wir lassen ihn laufen, wie Nec-Nec vorschlägt, oder wir töten ihn gleichzeitig mit Giftpfeilen und auf dem Scheiterhaufen, wie Aut-Aut verlangt. Schließlich möchte ich noch anmerken, dass wir bei dieser Entscheidung die Argumente von Aut-Aut und Tertium-Nondatur nicht neuerlich bedenken müssen. Wir können den Missionar nicht sowohl laufen lassen als auch durch beide Todesarten hinrichten. Wir stehen daher nun vor einer letzten und diesmal endgültigen Entscheidung zwischen zwei klaren Alternativen. Damit wir uns selbst treu bleiben, schlage ich vor, dass wir unsere altbewährte Entscheidungsregel auch diesmal anwenden. Die einzige Person, der es zusteht, eine so gewichtige Entscheidung zu treffen, ist unser Häuptling Reductio-Adabsurdum. Ich ersuche ihn daher, einen Satz zu sagen. Wenn dieser falsch ist, wird der Missionar auf dem Scheiterhaufen mit giftigen Pfeilen erschossen, wenn er wahr ist, wird er freigelassen."

Beifälliges Gemurmel in der Menge. Der Häuptling der Logiker genießt hohes Ansehen aufgrund einer Charaktereigenschaft, die unter den Stammesmitgliedern wenig verbreitet ist, seiner Willensstärke, von der einige böse Zungen behaupten, dass sie seinen Verstand bei weitem übertrifft. Reductio-Adabsurdum räuspert sich und spricht mit fester Stimme: "Dieser Missionar ist in unser Stammesgebiet eingedrungen in der Absicht, die Grundfesten der Logik durch Verbreitung absurden Aberglaubens zu zerstören. Mein Urteil lautet daher: Wir werden ihn auf dem Scheiterhaufen verbrennen und dabei mit giftigen Pfeilen erschießen."

Ich verdanke diese Anekdote den Aufzeichnungen des Missionars, dem es gelang, in dem an dieser Stelle ausbrechenden Tohuwabohu die Flucht zu ergreifen. (Rainer Bauböck, Album, DER STANDARD, 11./12.1.2014)