Manche Einreisewillige wie unser Freund Jorji hier kommen mit selbstgemalten Pässen und viel Dreistigkeit. Andere versuchen mit Hilfe von Liebesbriefen, Bestechungsgeld oder beeindruckenden Ablenkungskünsten einzureisen.

Foto: Papers, Please

Es ist ein grauer Novembertag, an dem wir als Grenzposten zum Grestin Checkpoint bestellt werden. Unser von Korruption und politischen Unruhen gezeichneten Land Arstotzka hat eine sehr restriktive Migrationspolitik. Die Anweisungen sind klar: Wir kontrollieren die Papiere aller einreisewilliger Personen gründlichst – Ablaufdatum, Siegel, Bewilligungen. Allerhand.

Zu Hause wartet die hungrige Familie in einer Substandard-Wohnung auf das bescheidene Gehalt – bezahlt werden wir pro richtig abgefertigter Person und das auch noch gegen die Zeit. Wenn wir einen Fehler machen – jemanden ungerechtfertigt nach Arstotzka einreisen lassen oder das Visum irrtümlich verweigern – müssen wir Strafe zahlen.

Grižnja savjesti

Und so stellt uns die Arbeit am Grenzposten immer wieder vor harte moralische Fragen: Nehmen wir das Bestechungsgeld des gesuchten Mörders an, um Medizin für unseren Sohn besorgen zu können? Gehen wir der Bitte unseres Vorgesetzten nach, bei einer Diplomatin ohne Dokumente beide Augen zuzudrücken? Reißen wir Familien auseinander, wenn nicht alle Mitglieder gültige Papiere haben? Was ist mit dem sympathischen Jorji, der immer wieder für Abwechslung sorgt, freundlich mit uns plaudert und der einzige zu sein scheint, der unsere Arbeit wertschätzt – aber möglicherweise ein Drogendealer ist? Jeden Tag lesen wir am Morgen zähneknirschend in der Zeitung, welche Auswirkungen unsere gestrigen Entscheidungen hatten.

Papers, Please - Trailer

Der "dystopische Dokumententhriller" von Lucas Pope ist ein selten feinfühlig durchkomponiertes Spiel. Zwar erinnern Namen, Sprache, Uniformen und Siegel an die Sowjetunion – wie könnte es bei einer bürokratischen Dystopie anders sein? Doch dieses Mal verzeihen wir ausnahmsweise die klischeehafte Darstellung, weil die einfache, aber attraktive Optik gemeinsam mit atmosphärischem Soundtrack und den stimmigen Effekten hypnotisierend wirkt.

Schade ist lediglich, dass man wie so oft wohl nur einen männlichen Charakter spielen kann, der der einzige Beschäftigte in der Familie zu sein scheint: Unsere Gemahlin ist Hausfrau. Unstimmig, besonders wenn wir uns in einem an die Sowjetunion angelehnten Land befinden sollen.

(Mehr) Wahrheit als Game

Am weitesten kommt man in "Papers, Please" definitiv, wenn man seine Finger überall im Spiel hat: Ein wenig mit der Geheimorganisation kooperieren, aber trotzdem den arstotzkatreuen Kollegen und Vorgesetzten jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Der Spionin gegen Gefallen ein Visum aufdrücken, aber den nächsten Suspekten ohne Nachfragen festnehmen lassen – gibt schließlich Provision! Jeder Mensch hat eben seinen Preis. "It’s okay", sagt Genosse Jorji, als wir ihn schlussendlich doch festnehmen. "You have tough job. I rather sell drugs."

Liebe Migranten, die mit den labyrinthischen Wirren des Visumswesens bekannt sind: Bei der lebenswichtigen Bedeutung, die Papierfetzen realistischerweise in "Papers, Please" tragen sowie der Willkür, die von Behörden ausgeht, werdet ihr einen kathartischen Krampf bekommen. Das Spiel sollte aber als beispiellose Korruptionssaga insbesondere auch österreichischem Publikum zusagen. (Olja Alvir, daStandard.at, 10.1.2014)