Foto: Elite Dangerous/Artwork
Foto: No Man's Sky/Screenshot
Foto: Skyrim/Artwork

Der Weltraum, unendliche Weiten - und die Spieler mittendrin, um alles frei zu erforschen. Was sich wie reine Fantasie anhört, will Hello Games wahr werden lassen: Mit dem vor kurzem angekündigten "No Man's Sky", das noch 2014 erscheinen soll, versprechen die Briten nichts weniger als ein tatsächlich endloses Spieluniversum mit frei besuchbaren, radikal unterschiedlichen Planeten, das tausende Spieler zugleich entdecken können. Das klingt umso ambitionierter, als das Studio gerade einmal aus vier Köpfen besteht. Wie soll das funktionieren?

Computerwelt

Das Zauberwort heißt prozedurale Generierung. Jeder Planet, jedes Lebewesen, ja die Entwickler betonen, dass sogar jedes Atom in "No Man's Sky" nicht mühsam einzeln von Menschenhand platziert werden soll, sondern durch hochkomplexe Algorithmen entsteht. Durch Herumschrauben an den Parametern dieser Weltformel legen die Entwickler die Grundregeln ihres Universums fest. Statt etwa Bergketten und Höhlensysteme selbst zu gestalten, bringen die Entwickler dem System bei, wie Erosion funktioniert - und lassen den Algorithmus die Arbeit des Weltenbaus erledigen.

Historische Wurzeln

Schon in der Frühzeit des Mediums, als Speicher und Rechenleistung Mangelware waren, ließen geschickte Programmierer auf diese Weise immer neue Inhalte für ihre Games entstehen, weil für von Hand erstellte Level schlicht kein Platz war. Der "Diablo"-Vorfahr "Rogue" (1980) oder der Urahn von "No Man's Sky", das Weltraumspiel "Elite" aus dem Jahr 1984, boten dank dieses Tricks immer neue Herausforderungen für ihre Spieler. Auch in der in Kürze erscheinenden Neuauflage "Elite: Dangerous" wird prozedurale Generierung wieder für eine riesige Spielwelt sorgen. Die Indie-Megaseller Minecraft und Starbound erfreuen ihre Fans mit immer neuen, grenzenlosen Landschaften, während der Shooter Borderlands, die Diablo-Reihe oder deren Free2Play-Konkurrent "Path of Exile" mit einer fast unendlichen Variation an immer neuen Waffen und Gegenständen durch prozedurale Generierung für Abwechslung sorgen.

Ökonomische Automatismen

Waren es früher technische Beschränkungen, so sind es heute oft finanzielle Gründe, die die Entwickler auf Automatismen setzen lassen: Buchstäblich jedes Blatt auf jedem Baum von Hand ins Spiel einbauen zu lassen, können sich auch bei großen Titeln nur mehr wenige Hersteller leisten. So berechnete selbst in Blockbustern wie dem Rollenspiel "Skyrim" oder dem Inselshooter "Far Cry 3" im Hintergrund ein spezieller Algorithmus die ungefähren Verläufe von Vegetation und Landschaft - nur der Feinschliff erfolgte danach von Hand.

Die Inhaltserstellung per Software ermöglicht im Idealfall für die Spieler immer neue, abwechslungsreiche Aufgaben und somit zumindest theoretisch fast unbegrenzten Spielspaß. Im Jump'n'Run "Spelunky" etwa entstehen mit jedem Spielstart jedes Mal unterirdische Tempelanlagen und Höhlen, die man als Westentaschen-Indiana-Jones immer wieder aufs Neue erforschen kann. Auch die knuddeligen 2-D-Planeten von "Starbound" bieten so endlosen Nachschub an Abenteuern.

Feintuning entscheidend

Das Erfolgsgeheimnis liegt allerdings im Feintuning der Parameter, denn wenn hier nicht geschickt vorgegangen wird, liefert die Spielgenerierung per Weltformel nicht immer wieder Spannendes, sondern im Gegenteil immer wieder denselben Einheitsbrei mit letztlich willkürlichen Variationen. Und auch wer Games hauptsächlich wegen ihrer filmreifen Spannungsbögen und ausgefeilten Handlung schätzt, wird mit den Werken aus dem Zufallsgenerator bislang nur bedingt glücklich.

Geschichten aus dem Rechner

Für die Visionäre der Branche sind aber auch in diesem Bereich die Möglichkeiten fast unbegrenzt: Denn während heute meist "nur" Kulissen, Gegenstände oder Level-Architekturen von Algorithmen berechnet werden, tüfteln Forscher wie David Benqué oder das Industrie-Urgestein Chris Crawford daran, irgendwann tatsächlich auch das Erzählen selbst an schlaue Formeln auszulagern - prozedurale Narrative heißt die Zukunftshoffnung. Benqués Experiment Infinite Adventure Machine oder Crawfords Storytron-Projekt zeigen aber durch ihre Beschränkungen bisher hauptsächlich auf, dass sich sinnvolle Handlungen und Geschichten nicht ganz so einfach berechnen lassen wie physikalische Phänomene.

Zukunftsvisionen

Es wird also noch einige Zeit dauern, bis die raffinierten Formeln ganz ohne Menschenhand nicht nur glaubwürdige Umgebungen, sondern auch spannende Geschichten schreiben, um ihre Universen mit Leben zu füllen. Nur wenige Titel verlassen sich bislang deshalb ausschließlich auf prozedurale Generierung, oder sie verwenden die Welten aus dem Prozessor hauptsächlich als riesenhafte Sandkisten, in denen sich die Spieler frei und mit minimalen Story-Vorgaben austoben können. Die menschliche Kreativität übertrifft eben auch die ausgefeiltesten Algorithmen - zumindest im Moment noch. (Rainer Sigl, derStandard.at, 26.1.2014)