Aus einem winzigen roten Punkt unter dem Daumennagel wird eine Infektion, die einen chirurgischen Eingriff nach sich zieht.

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Unfallchirurg Gholam Pajenda vom AKH Wien erklärt das folgendermaßen: "Der Organismus versucht, den organischen Fremdkörper durch Abbau zu beseitigen. Das führt zu einer Entzündung. Die mit dem Fremdkörper eingedrungenen Keime vermehren sich und führen zu einer Infektion."

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Ein kleiner roter Punkt unter dem Daumennagel, abends nach der Arbeit im Garten. Vielleicht hat sich Anna M.* an einer Rosendorne gestochen, oder einen Schiefer eingezogen? Nichts Besonderes, denn kleine Schnitte und Schrammen kommen bei Arbeiten im Haus und Garten häufig vor. Und fast ebenso schnell wie sie geschehen, verheilen sie auch wieder.

M. würde nicht weiter an ihren Daumennagel denken, doch zirka zwei Wochen später ist aus dem roten Punkt ein dunkler Strich Richtung Nagelwurzel geworden. Dann erwacht sie eines Nachts von einem pochenden Schmerz. Der Daumen ist rot und angeschwollen. Sie wickelt Eiswürfel in einen Plastikbeutel, diesen in ein Tuch, dieses um den Daumen, und legt sich wieder ins Bett. Nach einer Stunde schluckt sie ein Schmerzmittel, denn der Schmerz ist zum Aus-der-Haut-Fahren.

Drainage für den Eiter-Abfluss

Am nächsten Morgen verschreibt ihr der Hausarzt ein Antibiotikum und ein entzündungshemmendes Schmerzmittel. Die Schmerzen verschwinden tatsächlich rasch, und der Daumen schwillt ab, doch nach acht Tagen, gegen Ende der Therapie, steht fest: Der Strich unter dem Nagel wandert beharrlich weiter Richtung erstes Daumenglied.

Der praktische Arzt ist nicht hier, das Wochenende steht bevor, so begibt sich M. in die Unfallambulanz ins AKH Wien. In den folgenden Stunden wird eine Röntgenaufnahme gemacht, eine lokale Anästhesie gesetzt und ein chirurgischer Eingriff durchgeführt.

Gholam Pajenda, Facharzt für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie sowie Leiter der Ambulanz für posttraumatische Wirbelsäulenbeschwerden der Universitätsklinik für Unfallchirurgie am AKH Wien, spaltet den Daumennagel mit einem Skalpell in Längsrichtung und schneidet am Nagelrand eine kleine dreieckige Öffnung. Dabei wird sämtliches infizierte und nekrotische Gewebe bis ins Gesunde entfernt. Durch diese Drainage kann eine Eiteransammlung - auch in den folgenden Tagen - abfließen.

Ein neuer Nagel

Während des insgesamt etwa halbstündigen Eingriffs spürt M. keine Schmerzen. Danach versorgt Pajenda die Wunde, und der "Gipser" legt einen Streckverband bis zum Ellbogen an, damit der Daumen ruhig gestellt ist.

M. erhält an diesem und am nächsten Tag Antibiotika-Infusionen, danach wird die Therapie oral fortgesetzt, dazu kommen entzündungshemmende Schmerzmittel. Wider Erwarten tritt nicht einmal Wundschmerz auf. Nach einer Woche folgt die erste Kontrolle und der Wechsel auf einen leichteren Verband. Eine Woche später genügt ein Pflaster.

Es könne sein, dass der Daumennagel dauerhaft gespalten bleibt, meint Pajenda, doch Ende Oktober prognostiziert er: "Zu Weihnachten ist er wieder ganz", und tatsächlich: Am 24. Dezember freut sich M. über ihren neuen Daumennagel.

Die Art der Verletzung entscheidet

Wie eine so kleine, alltägliche Verletzung so große Folgen nach sich ziehen kann? "Entscheidend ist die Art der Verletzung", sagt Pajenda. "Ist ein scharfer, sauberer Gegenstand im Spiel - zum Beispiel ein Stanleymesser - kann die Wunde oft von selbst heilen." Üblicherweise erfolgt der Wundverschluss rasch, und potenzielle Krankheitserreger werden vom Immunsystem erfolgreich bekämpft.

Anders ist die Situation, wenn man sich mit einem kontaminierten Gegenstand, wie etwa einem Fleischmesser schneidet, das mit hoch pathogenen Keimen belastet ist. Oder wenn ein Fremdkörper unter die Haut oder den Fingernagel dringt, wie in besagtem Fall.

Problem: Fremdkörper, die stecken bleiben

Nicht-organische Fremdkörper, wie Metall oder Glas, werden vom Gewebe eingekapselt und verursachen oft erst nach Jahren oder Jahrzehnten erstmals Beschwerden – zum Beispiel wenn der Organismus durch Alter oder Krankheit, wie Diabetes Mellitus, geschwächt ist.

Fremdkörper aus organischen Stoffen, wie Holzspäne, spitze Knochen, Fischgräten oder Dornen, sind da schon problematischer. Pajenda erklärt das so: "Der Organismus versucht, den organischen Fremdkörper, in unserem Fall den Holzschiefer, durch Abbau zu beseitigen. Das führt zu einer Entzündung. Die mit dem Fremdkörper eingedrungenen Keime vermehren sich und führen zu einer Infektion."

Durch die Vermehrung der Bakterien treten die typischen Zeichen einer Entzündung, wie Schmerzen, Schwellungen, Rötungen, Überwärmung, Geruch und Eiter auf. Die Keime können im schlimmsten Fall, bei Ausbleiben einer rechtzeitigen adäquaten Behandlung, über die Lymphbahnen und über die Blutbahn im ganzen Organismus verschleppt werden und eine schwere Infektion auslösen.

Kleine Verletzungen oft unterschätzt

"Holzschieferverletzungen kommen relativ häufig vor und verursachen Probleme - auch in der Behandlung", erklärt Pajenda, und weiter: "Entzündungen sind eine sehr komplexe Materie, und viele Verletzungen werden am Anfang unterschätzt."

Eine der schlimmsten Folgen, die durch eingedrungene Keime ausgelöst werden können, ist der Wundstarrkrampf. Dieser tritt durch die konsequente Impfung der Bevölkerung hierzulande nur mehr äußerst selten auf. "Jeder Patient, der nicht sicher ist, ob sein Impfschutz noch gegeben ist, sollte unbedingt, auch bei kleinen Verletzungen, den Arzt aufsuchen, um sich gegen Tetanus impfen zu lassen", empfiehlt Pajenda.

Ebenso ausschlaggebend für den Verlauf einer Infektion ist der Zeitpunkt der ärztlichen Versorgung. "Ein später Behandlungsbeginn kann zu schwerwiegenden Folgen führen", erklärt der Chirurg. "Das gilt speziell für die Hand mit ihrer komplexen Anatomie, wo die Keime entlang der Sehnenscheide wandern und im schlimmsten Fall zu schweren Entzündungen bis hin zu systemischen Erkrankungen führen können."

Antibiotikatherapie manchmal ausreichend

Deshalb empfiehlt Pajenda, bereits beim geringsten Verdacht auf eine Entzündung einen Arzt aufzusuchen: "Eine frühzeitige Therapie verkürzt die Wundheilung", und zu Beginn einer Infektion könnten die unterschiedlichen Keime im Umfeld der Wunde oft noch erfolgreich mit Antibiotika bekämpft werden.

Ist der Hausarzt nicht greifbar, empfiehlt der Experte in Eigenregie den Weg in die Unfallambulanz: "Viele Patienten kommen mit kleineren Verletzungen in die Ambulanz. Das trägt dazu bei, dass sie meistens glimpflich verlaufen." (Eva Tinsobin, derStandard.at, 6.2.2014)

* Name der Redaktion bekannt