Wien – "AMS stoppt Sinnlos-Kurse", titelte die "Krone" Ende Jänner. Worum es geht, wird im zugehörigen Artikel so erklärt: ein Steirer, der kurz vor seiner Pensionierung noch "jobfit" gemacht worden sein soll, eine Grazer Fast-Rentnerin, der man einen siebenwöchigen Englischkurs verordnete. "Mit unsinnigen Vorladungen wie diesen hat das AMS zuletzt für viel Ärger gesorgt. Nun will das Arbeitsamt den Imageschaden reparieren", heißt es in der Zeitung.

Solche und ähnliche Geschichten kursieren einige. Die Schulungen, die das Arbeitsmarktservice seinen Klienten bei der Jobvermittlung verordnet oder zugesteht, stehen immer wieder in der Kritik. Wiederholt wurden Fälle kolportiert, wo kurz vor der Pension stehende Menschen in Karriereplanungsschulungen gesetzt wurden. "Einzelfälle", wie Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) konstatiert. "Wer ein halbes Jahr vor der Pension steht, wird ganz bestimmt nicht mehr geschult. Wir wollen ja wirklich kein Geld verschwenden", so der Minister. Das sieht allerdings Volksanwalt Günther Kräuter im derStandard.at-Gespräch nicht ganz so. "Dass es sich hier um Einzelfälle handelt, ist nicht meine Beobachtung", sagt Kräuter.

Wie lange integrieren?

AMS-Chef Johannes Kopf spielt den Ball weiter: "Wenn die Politik uns einen fixen Zeitraum vorgeben will, in dem an einer Integration in den Arbeitsmarkt nicht mehr gearbeitet werden muss, dann soll sie das tun. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass wir damit wohl eine Art 'Frühpension' schaffen würden. Unsere internen Regelungen sehen einen etwa dreimonatigen Zeitraum vor."

Im zuständigen Arbeitsministerium hält man es auf Nachfrage für "keinen Nachteil, Reintegration in den Arbeitsmarkt bis zuletzt anzustreben. Auch das AMS sollte ältere Arbeitssuchende nicht aufgeben." Hinsichtlich Älterer auf dem Arbeitsmarkt sieht AMS-Chef Kopf ohnedies Anpassungsbedarf. Angesichts der Veränderungen bei der Invaliditätspension und zunehmend mehr gesundheitsbeeinträchtigter Arbeitsloser müsse man auch über einen auf Dauer finanzierten "zweiten Arbeitsmarkt" nachdenken, sagt er. Die Anregung stößt im Ministerium nicht auf taube Ohren: "Es gibt bereits erste Projekte, die in diese Richtung arbeiten", lässt Hundstorfer ausrichten.

Noch nie in der Zweiten Republik waren so viele Menschen auf Jobsuche wie Ende Jänner dieses Jahres. 369.837 Menschen waren nach Angaben des AMS als arbeitslos registriert. Ältere Arbeitslose sind ein Teil des Problems, weil sie laut AMS-Chef Kopf zwar nicht häufiger arbeitslos werden als Junge, dann allerdings schwer bis kaum zu vermitteln sind. Sie gelten als teuer, unflexibel und weniger leistungsfähig. Solchen "Vorurteilen in den Betrieben" will das Arbeitsmarktservice gezielt zuleibe rücken. Notgedrungen. Und im Auftrag der Politik, denn immer noch gilt: Im internationalen Vergleich treten die Österreicher früh in den Ruhestand. Rezepte, wie man dem Zuwachs auf dem Arbeitsmarkt begegnen soll, wenn sich das künftig sachte, aber doch ändert, werden gesucht.

Weiterbilden

Andere Rezepte sind nach einhelliger Meinung von Politik und AMS bewährt. Weiterbilden: Niedrigqualifizierte, Migranten, die nicht Deutsch können, Ältere mit Gesundheitseinschränkungen. Arbeitslose aktivieren und Langzeitarbeitslosigkeit bekämpfen ist das erklärte Ziel. "Aus langen Evaluierungen weiß man, dass die Leute, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, selbst bei gut laufender Konjunktur kaum einen Job finden", sagt AMS-Chef Kopf und ergänzt: "Uns ist es lieber, vier Leute sind drei Monate arbeitslos, als einer ein Jahr." Kopf hat zur Untermauerung seines Arguments auch eine US-Studie aus dem Vorjahr parat. 60.000 "erfundene" qualifizierte Personen bewarben sich gleichermaßen um Stellen. Der einzige Unterschied lag in den Angaben zur Dauer der Arbeitslosigkeit. Die Wiedereinstiegschancen nach sechs Monaten ohne Job sackten rapide ab.

Die Unbeirrbarkeit in dieser Strategie ist eine Sache, die manch Betroffene geradezu persönlich schmerzt. So sehr, dass sie sich sogar formieren: Aktive Arbeitslose nennen sich jene, denen die Aktivierung zu weit geht. Nicht viel als interessensgeleitete Zahlenspiele seien die Weiterbildungsmaßnahmen, ein Mittel zur "Behübschung" der Statistik, sagt ihr Obmann Martin Mair. Dazu zählt er die 79.831 Schulungsteilnehmer, jene also, die zwar ohne Job sind, in der offiziellen Statistik aber nicht aufscheinen. 90 Prozent der Langzeitarbeitslosen würden dadurch versteckt. "Heute sitzt der Langzeitarbeitslose statistisch gesehen ein Viertel seiner Zeit in einem Kurs, vor zehn, zwanzig Jahren lag der Wert bei fünf Prozent", so Mair auf Anfrage von derStandard.at.

Reformbedarf in manchen Bereichen

Dass das vielfach reine Zeitvergeudung ist, glaubt Volksanwalt Kräuter keineswegs. "Bei der Wiedereingliederung werden wertvolle Dienste geleistet, aber bestimmte Bereiche gehören reformiert." Dass hochqualifizierte IT-Leute in Anfängerkurse gesetzt werden, gehört für Kräuter ebenso in diesen Bereich, wie Menschen, die bereits ihren Pensionsbescheid in der Tasche haben und zu Bewerbungsgesprächen geschickt werden. Die Volksanwaltschaft hat vor knapp zwei Wochen ein amtliches Prüfverfahren eingeleitet. "Es geht um das Thema Qualitätssicherung und Vollzugspraxis", sagt Kräuter und verweist auf die Steiermark, wo in den 19 Geschäftsstellen all jene als arbeitslos Vorgemerkten überprüft wurden, die über 55 Jahre alt sind, eine Weiterbildung absolvieren müssen und eventuell bereits über einen Pensionsbescheid verfügen. In Graz-Ost kamen laut Kräuter 15 Personen in Frage.

Martin Mair sieht grundsätzlich ein systemisches Problem: Nicht nur die Vergabepraxis der Kurse (die auch vom Rechnungshof kritisiert wurde, Anm.) sei zu hinterfragen. Die Betroffenen würden auch bedeutend in ihrer Freiheit eingeschränkt. Denn ob sich der Arbeitslose die Art der Schulung, respektive in welche Richtung die Weiterbildung gehen soll, selbst aussuchen könne, würde häufig vom guten Willen des AMS-Beraters beziehungsweise der Geschäftsstelle abhängen. Eine vor vier Jahren präsentierte Umfrage der "Aktiven Arbeitslose" hätte ergeben, dass 29 Prozent physische und psychische Beschwerden infolge von "AMS-Zwangskursen" bekämen. Die vom Arbeitsmarktservice präsentierten Zahlen über die Kurszufriedenheit hält er für reine Makulatur. Aus Angst vor der Bezugssperre würden sich viele Menschen nicht gegen missliebige Kurse wehren, so Mair. Das Arbeitslosenversicherungsgesetz sieht bei Verweigerung eines Kurses den Komplettentzug des Arbeitslosengeldes für sechs, im Wiederholungsfall für acht Wochen vor. Was viele nicht wüssten: Der Bezug der Mindestsicherung sei in dieser Zeit – in reduziertem Ausmaß – möglich.

Fehler passieren

Dass es bei den Kurszuweisungen auch Probleme geben kann, räumt auch AMS-Vorstand Kopf ein. Natürlich könne es vorkommen, dass eine Person wiederholt in denselben Kurs gesteckt werde. "Bei circa 300.000 Personen passieren auch Fehler", so Kopf im Gespräch mit derStandard.at. Er empfehle, sich in solchen Fällen an die Ombudsstelle zu wenden. Von der Aussagekraft der Bewertung will er nicht abrücken: Im Durchschnitt werde die Qualität der Kurse von den Teilnehmern (auf einer Skala von 1 bis 6) mit 1,9 bewertet. Die Note 6 gaben zuletzt 0,9 Prozent der Kunden. Die Qualitätssicherung bei den Maßnahmen sieht er durch unangekündigte Vor-Ort-Kontrollen gewährleistet, wo etwa geprüft werde, ob das entsprechende Trainingspersonal zum Einsatz kommt, der Lehrplan eingehalten wird und die vereinbarte Ausstattung – technisch wie räumlich – tatsächlich vorhanden ist.

Im Schnitt dauern die Kurse 82 Tage – konkret sind es für Weiterbildung 108, für Training 116, für aktive Arbeitssuche 35 und für Orientierung 45 Tage. Dass sich manche über "Sinnlos-Kurse" beklagen, ist Kopf durchaus bewusst: "Die meisten hassen die Bewerbungstrainings. Warum? Ein Bewerbungstraining wird nicht als Wert gesehen, eine echte Weiterbildungsmaßnahme schon." Zwar würden nur 18 Prozent der AMS-Kurse auf dieses Konto gehen, dennoch fühlten sich viele damit zwangsbeglückt und würden vergessen, dass bei ihnen aufgrund ihrer Qualifizierung keinerlei Bedarf an Weiterbildung besteht.

Besser ein Kurs als kein Kurs

Für Vereinsobmann Mair wäre "mehr Selbstbestimmung und nicht eine Kursvergabe, um ein vorhandenes Kontingent zu füllen", der richtige Weg. AMS-Vorstand Kopf kontert: "Jeder Kurs ist besser als gar kein Kurs. Selbst wenn jemand nach drei Monaten wieder arbeitslos ist, stehen für ihn die Chancen am Arbeitsmarkt deutlich besser, als wenn er in dieser Zeit nicht gearbeitet hätte." Er bleibe damit "job-ready". Ob an der Praxis etwas gefeilt werden muss, wird sich in einigen Wochen weisen. Bis dahin hat die Politik Zeit, auf die Eingabe der Volksanwaltschaft zu reagieren. (Text: Regina Bruckner, Sigrid Schamall, Grafik: Florian Gossy, derStandard.at, 6.2.2014)