[...] Nie mehr wird der Autor später eine Figur in ihrem homoerotischen Begehren so anerkennen wie Ottonikar, die Hauptfigur der Erzählung "Zwei Freunde", und nie mehr wird ein Bernhard-Held bei der Veröffentlichung seiner Texte ein so entgrenzendes Glück erleben wie Ottonikar mit den von ihm geschriebenen Texten auf den kommunistischen Transparenten über den Straßen von Wien.

Wenn man weiß, dass Thomas Bernhard bei der Fertigstellung der Erzählung Anfang November 1962 bereits die Zusicherung des Insel-Verlags für das Erscheinen seines ersten Romans, "Frost", hatte, wird man in der Zuversicht Ottonikars den Autor selbst mitdenken, wenn es von Ottonikars politischer Studie über die "Machtverhältnisse in unserem Land" heißt, dass er "darin" "zu gehen an[fing]" und "ungeheuer aus[schritt]" und dabei an "einen, auf sein Land zugeschnittenen Kommunismus dachte" (Bl. 12 u. 13); mit seinem Denken und Schreiben stand er "einer ganzen Welt aus Schweigen und Schwachsinn" gegenüber, und doch war er nicht bereit, von seinen "ihm über alles würdig erscheinenden Idealen[n]" abzulassen, und neben seiner politischen Lektüre findet man die Erzählliteratur, die der Autor selber gern hatte: Ottonikar setzte sich mit dem "Bolschewismus" auseinander, und er las "'Witiko', 'Tristram Shandy' und 'Marx' und 'Engels' und 'Rosa Luxemburg'" (Bl. 16).

Ottonikar ist "Linkssozialist", wie ihn sein Vater verächtlich nennt, er ist in der KPÖ organisiert, ein Künstler als Kommunist, offen für den "anderen Zustand" (Robert Musil), durchlässig für Stimmungen und für Erinnerungen an die Kindheit. Von einer dieser ihn augenblicklich verwandelnden Kindheitserinnerungen heißt es zum Beispiel: "Da war er dann plötzlich ein Knäuel Mensch, von Wind und Wetter auf einer Wiese erfasst, unter Obstbäumen herunterkollernd und von der Höhe eines Abhangs, ein kleiner unmündiger Bestandteil der Schwerkraft. Hing an einem Arm, der in eine Richtung zog" (Bl. 9). An einer anderen Stelle heißt es, in der für den Text charakteristischen Bejahung des Menschseins, dass er "sich auch oft" "fragte": "kann ein Mensch sein in jeder Beziehung? Und er bejate. Und er bejate das immer wieder damals", und er gab sich auch "der düstersten aller Empfindungen preis: dem Tod. Doch zerging das alles immer so rasch und war wieder vergessen" (Bl. 15).

Zwei Freunde, das sind "Ottonikar" und "Hof", Schulfreunde, von denen jeder, mit dem Wort aus der autobiografischen Erzählung "Der Keller", in die "entgegengesetzte Richtung" seiner Herkunft ging. "Ottonikar stammte aus großen Verhältnissen", während Hof als ein mittelloses Arbeiterkind aus den ärmlichen Verhältnissen des Wiener Arbeiterbezirks Floridsdorf kam. "Aber nicht Hof war es, der schliesslich [...] in der extremen Linkspolitik seinen Platz und seine Erfüllung zu finden glaubte [...], sondern Ottonikar" (Bl. 1). Dessen Hoffnung richtet sich auf eine grundlegende, plötzliche Veränderung der Welt, er ist Spontaneist, wie Muraus Freund Gambetti in Auslöschung, mit seiner "hellhörig geschlagenen Intelligenz" überrascht er die gleichaltrigen Genossen der Partei und wird sogar mit der Wahlkampfleitung in seinem Bezirk beauftragt.

In der Euphorie der Zeit vor der Wahl, als er die "Transparente" mit den politischen Texten "über die wichtigsten Straßen Wiens gespannt hatte, verließ ihn auf einmal seine anonyme politische Denkweise". In dieser Verlassenheit stellte sich ein "anderer Zusammenhang" mit der Welt her, der über die Erfahrung der Sprache und der Bilder lief, "und in diesem Gefühl, dass plötzlich [...] ein Bild mit dem andern zusammenhing, traf er im Prater unten auf Hof, mitten in dem schönsten und traurigsten Vergnügungsareal der Welt" (Bl. 20). Hier folgt dann die Passage der Prater-Utopie, in der die Welt wie aus den Angeln gehoben und nur mehr glücklich erscheint. Als wäre die Schwerkraft der Verhältnisse aufgehoben, wird die Sprache selber leicht, alles Niederziehende und Lastende verliert sich im Schweben unter dem elektrischen Himmel des Autodroms und auf der Hochschaubahn:

"Es war ein Wiedersehen, nicht, als ob nichts gewesen wäre, sondern als ob zwar etwas geschehen war, aber doch nichts gewesen war und doch da war und doch wieder nicht da war, man konnte es drehen, wie man wollte - [...] Die Freunde hängten sich ein und gingen durch die Menschen von einer Bude zur andern, hörend, horchend, sie stiegen in eine Schauckel und schauckelten und setzten sich in eines der, so schien es, an einem elektrischen Himmel hängenden Automobile und schwangen sich auf die Hochschaubahn und bestiegen das Riesenrad und sie waren nicht allein und doch allein und aus der Tiefe der Baumkronen hob sich mit einem beinahe lautlosen melancholischen Ziehen die Kabine und sie schauten und sahen, dass alles finster war und sie hätten jetzt fragen können "Was ist das, Moskau? Was ist das, Rom?" Und "Was ist das?", aber sie fragten sich nicht und sie beobachteten wie die Stadt, die von Norden bis Süden und von Osten bis Westen wie von einem Unerklärlichen zu anderen Unerklärlichen reichte, wie sie sich langsam und sicher aus der Dämmerung zu geheimen Lichtern und immer mehr und mehr Lichtern aufschwang, wie sie sich als die von allen immer wieder auf ihre würdige Weise Verabschiedende gab, als das, was sie war: das Vermächtnis einer Welt, die nur noch tausende und abertausende Halluzinationen war, geliebt und millionenfältig von ihren Bewohnern erfahren, und, wie Träume, so unzugänglich [...]" (Bl. 21f.). (Album, DER STANDARD, 8./9.2.2014)