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Für die Seuchenbekämpfung ein ernsthaftes Problem: Man sieht es einem Tierbestand nicht an, ob er von H7N9 befallen ist oder nicht.

Foto: AP/Vincent Yu

Er tauchte praktisch aus dem Nichts auf. Im März 2013 wurde im Osten Chinas ein neuer humanpathogener Virenstamm entdeckt. Die Erreger vom Typ H7N9 befielen innerhalb kürzester Zeit dutzende Menschen. Die Betroffenen hatten sich über den Kontakt mit lebendigem Geflügel angesteckt und hatten schwere Lungenentzündungen.

Im Sommer flaute die Infektionswelle ab, aber gegen Jahresende meldeten die chinesischen Gesundheitsbehörden erneut steigende Fallzahlen. Die Gefahr ist noch nicht gebannt. Im Januar erkrankten wöchentlich bis zu 39 Personen. Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO beträgt die Sterblichkeit bislang 22 Prozent.

Nicht das erste Vogelgrippevirus

H7N9 ist nicht das erste Vogelgrippevirus, das Medizinern Sorgen bereitet. Vor rund acht Jahren hielt H5N1 die Welt in Atem. Einige Experten befürchteten damals sogar den Ausbruch einer Pandemie mit vielen Tausend Opfern. Doch diesmal ist etwas anders. Der Erreger hält sich sehr bedeckt und tötet selektiv.

H5N1 raffte unzählige Enten, Gänse und Vögel dahin. "Das ist eine der schlimmsten Krankheiten im Tierreich" , sagt der Virologe Thorsten Wolff vom Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. Eine H7N9-Infektion indes scheint das Geflügel nicht ernsthaft zu beeinträchtigen. "Jetzt haben wir ein Virus, welches Vögel nicht krank macht, aber Menschen schon."

Für die Seuchenbekämpfung ist dies ein ernsthaftes Problem. Man sieht es einem Tierbestand nicht an, ob er von H7N9 befallen ist oder nicht. Das lässt sich nur über Bluttests feststellen. Ein systematisches Screening aller Geflügelzuchtbetriebe ist aber nicht praktikabel, von Wildvögeln ganz zu schweigen. Niemand weiß somit, wo der Erreger als Nächstes auftaucht.

Schlüssel-Schloss-Prinzip

Die Infektionsfähigkeit von Grippeviren hängt zu einem wesentlichen Teil von den Eiweißmolekülen in ihrer Hülle ab - in erster Linie Hämagglutinin und Neuraminidase. Hämagglutinin ist ein virales Protein, mit dessen Hilfe sich die Virenpartikel, auch Virionen genannt, an die Oberfläche ihrer Wirtszellen anheften und sie anschließend infizieren.

Neuraminidase hingegen hat eine enzymatische Funktion. Ihre Aktivität zersetzt Bestandteile der äußeren Membran infizierter Zellen, um die neu gebildeten Virionen freizusetzen, und verhindert, dass diese zusammenklumpen. Der Aufbau der beiden viralen Hüllenproteine ist für ihre Wirksamkeit entscheidend.

Sie müssen so genau wie ein Schlüssel zu ihren Zielmolekülen passen, sonst kommt die Bindung nicht zustande. Dementsprechend sind die Proteine unterschiedlicher Grippeerreger an die Eiweißstrukturen ihrer Wirte angepasst. Fachleuten dienen die Molekültypen zudem als Klassifizierungsmerkmal. Bislang sind vom viralen Hämagglutinin 18 verschiedene Varianten bekannt, von Neuraminidase zehn. H7N9 trägt somit Hämagglutinin Typ 7 und Neuraminidase Typ 9.

Unangenehme Entdeckung

Bei dem nun auffällig gewordenen Virenstamm kommt noch ein weiterer Faktor ins Spiel. Wolff hat die Eigenschaften des Erregers untersucht und dabei eine unangenehme Entdeckung gemacht. Die Wissenschafter testeten das Infektionsverhalten von H7N9-Viren aus einem verstorbenen chinesischen Patienten in einer Kultur aus menschlichem Lungengewebe und verglichen dieses mit dem Agieren zweier für Menschen ungefährlicher H7-Virentypen (H7N1 und H7N7) im selben System.

Es zeigte sich, dass die H7N9-Erreger in der Lage sind, die Produktion von Beta-Interferon stark zu bremsen. Beta-Interferon ist ein wichtiger Bestandteil der Immunreaktion gegen Viren. Die beiden anderen Virenstämme konnten die Synthese des Abwehrstoffes nicht wesentlich beeinflussen und waren auch nicht in der Lage, sich effektiv in den kultivierten Lungenzellen zu vermehren - die Studienergebnisse wurden im Online-Fachmagazin mBio (Bd. 5, e00601-13) veröffentlicht.

Die neue H7N9-Variante ist offensichtlich auf natürlichem Wege an den menschlichen Organismus als Wirt angepasst. Die genetische Analyse des viralen Erbguts zeigt eine kleine Veränderung im Segment NS1. Diese Sequenz trägt den Code für ein gleichnamiges Protein mit offensichtlich starker Auswirkung auf das Immunsystem. Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass dieser neue Gentyp durch evolutionäre Selektion begünstigt wurde, betont Wolff. "Vermutlich ist es eine Art Zufall."

Virus hat sein potenzielles Wirtsspektrum erweitert

Die Interferonsysteme von Homo sapiens und Vögeln ähneln sich durchaus, so der Experte. Die geringfügige genetische Abweichung im für uns gefährlichen Stamm müsse deshalb nicht dessen Fähigkeit zur Beeinflussung der Immunreaktion bei Vögeln herabsetzen. Das Virus hat nur sein potenzielles Wirtsspektrum erweitert.

Für eine Verbreitung von Mensch zu Mensch fehlt dem Erreger aber noch die notwendige biochemische Ausstattung - zum Glück. Um mittels Tröpfcheninfektionen über die Luft übertragbar zu sein, wären wohl nicht nur Veränderungen der Hämagglutininrezeptoren erforderlich, die Proteine müssten auch stabiler werden.

Die Eiweißmoleküle sind schließlich wärme- und UV-Licht-empfindlich. Kleine Modifikationen in der Struktur der viralen RNA-Polymerase würden die Produktion neuer Virionen erheblich beschleunigen. Eine solche Neuerung wurde sogar schon bei einzelnen an H7N9 erkrankten Personen gefunden. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 11.2.2014)