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Die Rennen hält Skirennläufer Hannes Reichelt nur mit Schmerzmitteln durch, aber nicht nur Profi- sondern auch Laiensportler nehmen Medikamente und trainieren weiter.

Foto: APA/ROBERT JAEGER

Vom Siegerstockerl auf den Operationstisch: Skirennläufer Hannes Reichelt schaffte die Streif trotz Bandscheibenvorfalls, landete nach dem Rennen aber im Spital. Auch den deutschen Rennläufer Felix Neureuther begleiten seit Jahren Rückenschmerzen. Dennoch holt er wie Reichelt Medaillen. Die Rennen halten sie nur mit Schmerzmitteln durch, sagen beide Sportler.

"Mutige und alarmierende Outings" nennt das der dreifache Olympiasieger Felix Gottwald. Der Eindruck, Schmerzmittel gehörten zum Alltag der Leistungssportler, habe - wie Doping - eine unerwünschte Vorbildwirkung für Amateur- und Hobbysportler. "Solche Schmerzbotschaften sind eine Anleitung zum Unglücklichsein", schreibt der gefragte Seminarleiter auf seiner Website, "weil sie zur Symptombetäubung anstatt zur ehrlichen Auseinandersetzung mit den Ursachen der Beschwerden führen."

Schmerzmittel auf der Dopingliste

Nun wurden Stimmen laut, Schmerzmittel auf die Dopingliste zu nehmen. Manche sind bereits gelistet, sagt David Müller von der österreichischen Antidopingagentur Nada. Opioidhaltige Schmerzmittel (Narkotika) sind gänzlich verboten, Glucocorticoide oder Glucocorticosteroide (entzündungshemmende Kortisonpräparate) sind je nach Verabreichungsform untersagt.

Die klassischen Schmerzmittel, in fast allen Hausapotheken gegen Kopfweh, Fieber, Regelschmerzen vorrätig, könnten nun auf die Monitoringlist der Dopingwächter kommen. Der Einsatz nichtsteroidaler Antirheumatika (NSAR) wird über einige Jahre beobachtet, dann entscheidet die internationale Antidopingagentur Wada über ein Verbot. Zu den NSAR gehören die vermeintlich harmlosen kleinen Helfer von A wie Aspirin bis V wie Voltaren.

Für David Müller, bei der Nada für Öffentlichkeitsarbeit zuständig, ist der unreflektierte Umgang mit Schmerz und Schmerzmitteln "ein erster Schritt auf der Treppe der Versuchung". Die Nada versuche durch Vermittlungsarbeit bei Jugendlichen den Einstieg in die Dopingmentalität zu verhindern, alltäglicher Schmerzmittelkonsum im Spitzensport sei da kontraproduktiv.

Risiko von Spätfolgen

Nicht die Spitzensportler sieht Josef Niebauer, der Leiter des Universitätsinstituts für präventive und rehabilitative Sportmedizin in Salzburg, als vorrangiges Problem. "Es ist Otto Normalverbraucher, der um Milliardensummen pro Jahr irgendwelche Mittelchen kauft, weil er glaubt, dadurch Vorteile zu haben." Es sei zwar "typisch Mensch", aber sehr unvernünftig, sich "vor dem Volkslauf schnell was einzuwerfen, weil das Knie wehtut, nur um schneller das Ziel zu erreichen als der Nachbar."

"Wer ohne Beratung durch den Arzt Schmerzmittel einnimmt, geht das Risiko von Spätfolgen ein," warnt Niebauer. Schließlich habe Schmerz eine klare Botschaft, und diese lautet: "Junge es reicht, jetzt brems dich mal ein." Wer diese Warnung aus sportlichem Ehrgeiz ignoriere, laufe Gefahr, ein Leben lang Schmerzen ertragen zu müssen.

Allzu gern schiebt man die Verantwortung den Sportmedizinern zu, ärgert sich der Arzt. "Der Schuldige ist der Einzelne selbst, der für sein Ego bereit ist, völlig unsinnige Dinge zu tun." Aber sind es nicht Ärzte, die Freizeitsportlern vor dem Sport zur prophylaktischen Einnahme von Schmerzmitteln raten? Niebauer: "Der Patient hat das Zeug im Schrank liegen. Bevor ich das erste Mal meine Meinung dazu äußern kann, sind schon einige Schachteln draufgegangen." Viele dieser Patienten leiden unter Magenschmerzen, beobachtet Niebauer: "Das sind Nebenwirkungen der Medikamente."

Schmerz weg, Magen hin

Vor Magenproblemen durch nichtsteroidale Antirheumatika warnt auch die deutsche Gastro-Liga. Acetylsalicylsäure (ASS), der Wirkstoff von Aspirin, aber auch Diclofenac, Grundlage von Voltaren und weiteren 80 in Österreich erhältlichen Präparaten, können den Magen und den Vertauungstrakt schädigen.

Die Entzündungshemmer bringen im Magen das bestehende Gleichgewicht zwischen aggressiven Faktoren (Säure, Pepsin) und schützenden Faktoren (Durchblutung, Schleimproduktion, Regeneration) durcheinander, heißt es im Ratgeber der Gastro-Liga. Als gravierende Folgen können Blutungen und Geschwüre im Magen-Darm-Trakt entstehen.

Raubbau am Körper

Die EMA, die oberste Arzneimittelbehörde der EU, warnt vor weiteren Nebenwirkungen von Diclofenac, einem der meistverordneten NSAR. Der Wirkstoff kann das Risiko eines Herzinfarkts erhöhen. Obwohl der Nutzen von Diclofenac überwiege, soll es wie andere NSAR in der niedrigstmöglichen Dosis und kürzestmöglichen Zeit verordnet werden, empfiehlt die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin.

Freizeitsportler sollten die Betäubung mit Schmerzmitteln bei ihrem liebsten Hobby sein lassen, rät Josef Niebauer: "Sport mit Schmerzmitteln macht man nicht, das ist ein Raubbau am Körper." Auch Spitzensportler sollten sich des Risikos bewusst werden. Von der Sportmedizin dürfe man sich keine Kumpanei erwarten: "Unser Job besteht nicht darin, dafür zu sorgen, dass einer seine Goldmedaille holt, sondern ihm zu helfen, seinen Sport auf gesunde Art und Weise zu betreiben, damit er ihn ein Leben lang ausüben kann." (Jutta Berger, DER STANDARD, 11.2.2014)