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Der Zoo in Kopenhagen machte die Obduktion der jungen Giraffe öffentlich.

Foto: REUTERS/Kasper Palsnov/Scanpix Denmark

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Die Überreste des Jungtiers wurden unter anderem den Löwern verfüttert.

Foto: AP Photo/POLFOTO, Rasmus Flindt Pedersen

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Auf den Färöern findet jährlich eine Waljagd statt, bei der Amateure die Tiere schlachten.

Foto: REUTERS/Andrija Ilic

Am Sonntag wurde vom Kopenhagener Zoo bestätigt, dass die eineinhalb Jahre alte Giraffe Marius per Bolzenschuss getötet wurde. Nach einer Autopsie wurde das Giraffenfleisch an Löwen im Zoo verfüttert, Teile des Körpers wurden auch an die Universität Wien zu Forschungszwecken geschickt. Das Jungtier wurde getötet, da Inzuchtgefahr bestand. Aufgrund eines strengen Zuchtprogramms dürfen sich nur Giraffen paaren, die nicht miteinander verwandt sind. Deshalb konnte kein anderer Zoo die junge Giraffe nehmen. Die Obduktion wurde schließlich öffentlich durchgeführt.

Die Tötung löste eine große öffentliche Empörung aus. Auch die Schließung des Kopenhagener Zoos wurde gefordert. Tierethikerin Judith Benz-Schwarzburg spricht im Interview mit derStandard.at über die Gründe der Aufregung, warum Jungtiere in Zoos sterben müssen und die moralische Schizophrenie der Menschen.

derStandard.at: Jährlich sterben weltweit hunderte Tiere in den Zoos. Wieso gibt es wegen eines Giraffenbabys in Dänemark so große Empörung?

Benz-Schwarzburg: Es ist klar, dass die Öffentlichkeit auf ein Jungtier stark reagiert. Das liegt aber auch daran, dass uns Zoos darauf trimmen, da sie viel Öffentlichkeitsarbeit mit ikonischen Jungtieren machen. Sie locken Besucher mit süßen kleinen Babytieren an. Es ist ein gesellschaftliches Phänomen, dass wir Tiere, die das Kindchenschema erfüllen, beschützen wollen. Das kann positiv oder negativ sein. Negativ dann, wenn man Tiere, die kein Fell oder Kulleraugen haben und uns nicht ähnlich schauen, nicht beschützt.

derStandard.at: Also sind vor allem äußere Kriterien ausschlaggebend für das Mitleid?

Benz-Schwarzburg: Haben Tiere ein Fell oder haben wir in der Kultur viel mit ihnen zu tun, dann fühlen wir uns ihnen näher. Manchmal kann es aber auch sein, dass wir Tiere, die in unserer Kultur vorkommen, nicht sehen wollen, weil wir sie nutzen. Das wird in der Ethik und Psychologie etwa als kognitive Dissonanz oder moralische Schizophrenie beschrieben. Für manche Tiere reservieren wir einen bestimmten Umgang, verhätscheln sie zum Beispiel. Das gilt aber nicht für die sogenannten Nutztiere. Ein Mensch, der Fleisch essen will, kann sich gar nicht alle Bedingungen der Nutztierhaltung bewusst machen. Dann würde man nämlich womöglich keinen Bissen mehr hinunterbekommen.

Ausschlaggebend dafür, wie wir ein Tier wahrnehmen oder behandeln ist aber auch die Verwandtschaft: So fühlen wir uns etwa Menschenaffen verbundener als Insekten. Und schließlich wissen wir bei manchen Tieren nicht so genau, ob sie überhaupt leidensfähig sind. Meine Haltung als Ethikerin dazu ist, dass wir im Zweifel für den Angeklagten sein sollten. Also sollten wir prinzipiell von einer Leidensfähigkeit ausgehen.

derStandard.at: Wie bewerten Sie die öffentliche Empörung aufgrund der Tötung der Giraffe?

Benz-Schwarzburg: Es gibt gute Gründe, sich aufzuregen. Der Zoo an sich ist ein problematisches Konzept. Tiere werden unter menschlicher Kontrolle gehalten, damit wir sie anschauen können. Deshalb werden in manchen Zoos immer mehr Jungtiere nachgezüchtet, um Besucher anzulocken. Man kann sich die Frage stellen, ob es ethisch vertretbar ist, das zu tun, wenn man eigentlich keinen Platz mehr hat.

In manchen Fällen kann man mit Erhaltungszucht und Artenschutz argumentieren. Wenn für eine gesunde Population in Gefangenschaft nachgezüchtet wird und die "genetisch gefragten" Jungtiere im Notfall in andere Zoos abgegeben werden können, dann müssen sie nicht eingeschläfert werden. Wenn das aber nicht der Fall ist, dann produziert man offensichtlich überschüssige Tiere.

derStandard.at: Die Bilder der toten Giraffen gingen durch die Medien, Kinder standen in der ersten Reihe vor dem Kadaver. Wichtig oder unnötig grausam?

Benz-Schwarzburg: Zoobesucher wollen oft die Realität nicht sehen. Dass der süße Tiger oder Löwe auch Hasen und Ziegen frisst und halbe Kadaver noch im Gehege liegen, wird oft auch als abstoßend empfunden. Damit macht man sich aber etwas vor. Es kann natürlich eine Strategie des Zoos sein, bewusst zu vermitteln, was mit den Tieren passiert. Auch wenn das nicht schön ist. Das hat einen pädagogischen Wert und zeigt die ethische Problematik, anstatt sie unter den Teppich zu kehren. Es ist mir als Ethikerin lieber, wenn ein Zoo solche Debatten nicht scheut.

derStandard.at: Was könnte man tun, um die Tötung von Jungtieren zu vermeiden?

Benz-Schwarzburg: Tiergärten könnten bewusst sagen, dass sie die Haltung auslaufen lassen, wenn sie in einer Population eine Inzuchtproblematik haben. Dafür nimmt man dann aber in Kauf, dass die verbleibenden Tiere ein Leben ohne eigenen Nachwuchs führen. Man kann die Problematiken nicht alle auflösen, weil sie dem Konzept Zoo eigen sind.

Es gibt aber Beispiele von Zoos, die die Zucht einer Art auslaufen ließen und sich auf die Tiere konzentriert haben, die sie artgerecht halten konnten. Prinzipiell ist die Frage zu stellen, ob man die so genannten "Blockbuster-Tiere", wie Eisbären, Elefanten oder eventuell Giraffen, wirklich braucht. Im Tiergarten Schönbrunn sind auch Heimtiere wie Kaninchen ein Höhepunkt für die Kinder.

derStandard.at: In den sozialen Netzwerken zirkulierte in den vergangenen Wochen ein Video, das die jährliche Walschlachtung auf den Färöer Inseln zeigt. Wie bewerten sie die damit verbundene Empörung?

Benz-Schwarzburg: Wale und Delfine verbinden viele Menschen mit dem Bild vom freundlichen "Flipper" und somit mit positiven Erinnerungen aus der Kindheit. Das ist ein Grund für die Emotionalität des Themas. Ich glaube auch, dass viele Menschen sich über diese Schlachtungen aufregen, aber nicht über die Probleme unserer Nutztierhaltung nachdenken.

Auf der anderen Seite sind die angewandten Methoden bei den traditionellen Waljagden ausgesprochen grausam und nicht vergleichbar mit dem Ideal einer schnellen und schmerzfreien Schlachtung. Diese Männer mit ihren kleinen Messern sind keine ausgebildeten Schlachter, die Tiere müssen oft lange, manchmal stundenlang leiden, bis sie verenden. Das ist auch ein Männlichkeitsritus. Ein wichtiger Ernährungsbestandteil sicher nicht.

Eine starke Ethik hinterfragt unsere guten Gründe, Tiere zu nutzen. Tradition nach dem Motto wir haben es immer so gemacht, kann hier nur bedingt angeführt werden. Nicht nur die Färöer sondern auch wir können uns heute gesund ernähren ohne dass Tiere dafür sterben oder leiden müssen. (Bianca Blei, derStandard.at, 11.2.2014)