In den 1990er-Jahren war Carla Bruni mit Jahresgagen von bis zu 7,5 Millionen Dollar eines der bestbezahlten Models.

Foto: Richard Dumas

Im 16. Arrondissement in Paris steht ein altes Palais mit großen schmiedeeisernen Toren. Über den Kiesweg, an einem prachtvollen Springbrunnen vorbei, gelangt man über Treppen hinauf durch eine schwere Holztür in das Foyer des Hotels, vorbei an Kristalllustern und Zebraköpfen, die sich an den Wänden befinden. Man geht durch einen großen Speiseraum, der eher wie ein Museum anmutet, und erreicht die Bar.

Das Licht ist schummerig, und die alte holzgetäfelte Bibliothek, die bis zur Decke reicht, gibt der Bar eine familiäre Atmosphäre. Der Kellner weist auf einen reservierten Tisch. Nach 20 Minuten Warten kommt sie – Carla Bruni Sarkozy. In Jeans und flachen Schnürschuhen, eingehüllt in eine graue Kaninchenfelljacke. Mit ihren braunen, glatten Haaren, den langen Stirnfransen und scheinbar ungeschminkt, wirkt sie viel zarter und jünger, als man sie aus den Medien kennt. Mit größter Höflichkeit entschuldigt sie sich für ihr Zuspätkommen. Ihre Agentin nimmt am Nebentisch Platz und kehrt uns – aus Diskretion – den Rücken zu.

Der Kellner begrüßt Carla Bruni wie eine alte Bekannte und bringt Tee. Sie streckt die langen Beine aus, legt ihren Schlapphut auf den Lederfauteuil neben sich und schaut konzentriert. Trotz ihrer Zurückhaltung entsteht sofort ein angenehmes, fast vertrautes Gespräch. Vielleicht durch diese brüchige, sanfte Stimme, die fast verstörend wirkt in ihrer Intimität.

STANDARD: Erinnern Sie sich an die ersten Lieder, die Sie hörten?

Carla Bruni: Es waren italienische Lieder, die mein älterer Bruder (Carla Brunis Bruder Virginio Bruni Tedeschi starb 2006 an Aids. Ihm widmete sie das Lied "Salut Marin", Anm.) ständig spielte: Lucio Dalla, Lucio Battisti, Gregori, Ornella Vanoni, Mina. Die "Cantautori" – die Poeten, die singen.

STANDARD: Sehen Sie sich selbst auch als singende Poetin?

Bruni: Ich würde sicher nicht singen, wenn ich nicht schreiben würde. Anfangs schrieb ich Texte für andere Liedermacher, aber als sie immer persönlicher wurden, wollte sie niemand mehr vertonen. Also begann ich, selbst zu singen. Meine Stimme war anfangs klein und schwach. Doch an der Stimme kann man arbeiten wie ein Schauspieler. Man kann sie trainieren, damit sie stärker, tiefer und voller wird. Das Schreiben kann man sich nicht auf diese Weise erarbeiten.

STANDARD: Wann begannen Sie, Liedertexte zu schreiben?

Bruni: Das war lange vor meiner Karriere als Fotomodell. Während meiner Modeljahre reiste ich oft mit meiner Gitarre. Das half sehr gegen die Einsamkeit. In diesem Job hat man sehr viel, wie ich es nenne, "psychologische" Zeit. Ich konnte über viele Dinge nachdenken und meine Gedanken aufschreiben.

STANDARD: Wieso wurden Sie überhaupt Fotomodell?

Bruni: Ich wusste nicht, wie ich mit meinen Liedtexten Geld verdienen sollte, also studierte ich zunächst Architektur. Als es sich ergab, als Fotomodell zu arbeiten, war ich sehr froh darüber, da ich finanziell unabhängig sein wollte.

STANDARD: Sie kommen aus einer sehr wohlhabenden Familie, diese hätte Sie doch sicher unterstützt?

Bruni: Mit achtzehn Jahren wäre es mir peinlich gewesen, meine Eltern um Geld zu bitten. Ich wollte von niemandem abhängig sein. Ich liebe meine Familie, aber ich wollte reisen und die Welt sehen. Das Modeln schien mir damals als unkompliziert. Es hat mir Spaß gemacht. Heute, wenn ich daran zurückdenke, analysiere ich es.

STANDARD: Was sind Ihre Überlegungen?

Bruni: Es war eine gute Schule.

STANDARD: Inwiefern?

Bruni: Körperlicher Stress ... hmm ... Grausamkeit, Einsamkeit – man ist sehr jung mit diesen Dingen konfrontiert. Ich mochte den Job sehr gerne. Ich habe in dieser Zeit viel gelernt und viel erfahren. Diese Erfahrungen haben mich stark gemacht, nicht gebrochen.

STANDARD: Derzeit sind Sie in einer Werbekampagne für die Luxusmarke Bulgari zu sehen. Macht Ihnen das Modeln heute noch Spaß?

Bruni: Heute ist es einfach für mich, weil ich einen Namen habe. Ich komme ans Set, und alle sind sehr freundlich und richten sich nach mir. Das war nicht immer so.

Foto: Lukas Friesenbichler
Foto: Lukas Friesenbichler

STANDARD: Ihre Eltern waren prominente Musiker. Waren Sie dadurch ein Leben in der Öffentlichkeit schon seit Kindesbeinen an gewöhnt?

Bruni: Die Bekanntheit meiner Eltern spielte sich in einem sehr kleinen Rahmen ab. Es waren andere Zeiten. Durch das Internet ist heute alles rasend schnell geworden. Da ist es schwierig, etwas zu verbergen. Und jeder ist ein Spion. Ich könnte Sie jetzt filmen, und Sie würden es nicht einmal bemerken. Das öffentliche Leben meiner Eltern war viel zivilisierter. Man hatte Kontrolle darüber und konnte Dinge geheim halten.

STANDARD: In Ihrer Familie gab es Geheimnisse. Wer Ihr genetischer Vater ist, erfuhren Sie erst vor zehn Jahren.

Bruni: Ja. Er war klassischer Gitarrist. Ist das nicht interessant?

STANDARD: Sehr interessant.

Bruni: Ich bin meiner Mutter – in Gestik und Mimik – sehr ähnlich. Aber als sie sah, wie ich Gitarre spielte, sah sie meinen Vater, ihren Geliebten, in mir. Sie war außer sich.

STANDARD: Ihre Mutter, Ihr leiblicher Vater und Ihr vermeintlicher Vater, sie alle lieferten emotionale Hochleistungen, um mit diesem Geheimnis umzugehen. Wie erging es Ihnen, als Sie davon erfuhren?

Bruni: Meine Vater-Situation wurde von sehr liebenden Menschen gehandhabt. Das Einzige, was für mich schwierig war, war die Lüge.

STANDARD: Sie logen, um Sie zu beschützen.

Bruni: Sie logen, um sich selbst zu schützen.

STANDARD: Haben Sie heute Kontakt zu Ihrem leiblichen Vater?

Bruni: Wenn er aus Brasilien zu Besuch da ist, treffen wir uns zum Abendessen immer hier in diesem wunderlichen Hotel.

STANDARD: Ihre Mutter Marisa Borini ist klassische Pianistin. Erinnern Sie sich an Ihre Konzerte?

Bruni: Ja, natürlich. Ich war sehr stolz auf sie, aber ich hatte auch ständig Angst, dass sie einen Fehler machen könnte. Das war ein schreckliches Gefühl. Da meine Mutter immer zu Hau-se übte, kannte ich die Stücke, die sie spielte, sehr gut. Ich wusste auch ganz genau, wo sie ihre Hänger hatte. Entspannt war ich nie, wenn ich bei einem ihrer Konzerte war.

STANDARD: Sind Sie nervös, wenn Sie selbst auftreten?

Bruni: Diese Liveauftritte sind Teil meines Berufs und sind noch immer eine große Herausforderung. Angst bekämpft man am besten mit Mut. Heute, mit 46 Jahren, überwiegt die Freude. Sobald ich auf der Bühne stehe und mich konzentriere, ist die Angst weg. Für ein Publikum live zu spielen hat etwas Magisches.

STANDARD: Nach einer fünfjährigen Pause sind Sie im November bei Ihrem ersten Konzert in Paris mit Standing Ovations und weißen Rosen bejubelt worden. Genossen Sie das nicht sehr nach Ihrer langen Pause?

Bruni: Ja, es war sehr schön, dass mir so viel Wärme vom Publikum entgegenkam. Es berührt mich einfach zu wissen, dass Menschen sich die Mühe machen, sich ein Ticket zu kaufen und zu meinem Konzert gehen.

STANDARD: Am 14. März werden Sie in Wien spielen. Kennen Sie die Stadt?

Bruni: Es gibt ein wunderbares Lied von "Barbara" über Wien. Ich liebe Wien. Es ist schön und bürgerlich, so wie Turin – ich habe dort meine ersten Lebensjahre verbracht.

STANDARD: In Italien, Ihrem Geburtsland, werden Sie nicht touren. Gibt es einen bestimmten Grund dafür?

Bruni: Ich toure dort, wo meine Alben am besten verkauft werden.

STANDARD: Eines der Lieder auf Ihrer neuen CD, die im März 2013 erschien, ist ein Lied von Charles Trenet: "Douce France". Gibt es einen bestimmten Grund, warum Sie gerade dieses Lied auf Italienisch singen?

Bruni: Es ist ein sehr spezielles Lied. Trenet hat es mit großer Zwiespältigkeit gesungen. Seine Lieder klingen so fröhlich und leicht, aber Douce France ist ein sehr bitteres Lied über Frankreich. Ich übersetzte es zum Spaß ins Italienische, und als ich es sang, fühlte es sich einfach richtig an. Die Lyrik erinnert mich an Lieder meiner Kindheit. Trenet schrieb es nach dem Zweiten Weltkrieg, nach der Kollaboration, nach dem Widerstand (fängt an zu singen): "Moi je t'aime, moi je t'aime ... dans la joie ou la douleur ... ich liebe dich, ich liebe dich ... in Freude und im Schmerz." Es ist ein patriotisches Lied, mit zerrissenen Gefühlen.

STANDARD: Entspricht das auch Ihrem eigenen inneren Zwiespalt?

Bruni: Vielleicht. Mein Zwiespalt äußert sich anders. Ich bin sehr gerne allein. Vielleicht ist das noch ein Überrest aus meinen Model-Tagen. Man ist unter so vielen Menschen, das würde für zehn Leben ausreichen. Trotzdem kann es mir manchmal passieren, dass ich mich alleingelassen fühle. Aber das sind Gefühle aus meiner Kindheit, die ich heute zuordnen kann.

STANDARD: Sie schreiben Ihre Lieder vorwiegend in Französisch, nicht wahr?

Bruni: Ich wurde zu einem großen Teil von meiner französischen Großmutter mütterlicherseits erzogen und lebe auch seit meinem fünften Lebensjahr in Frankreich. Meine Schulerziehung ist eine französische. Dostojewski, Thomas Mann, James Joyce habe ich auf Französisch gelesen. Ich habe viele Ideen für englische Lieder, aber im Englischen würde ich mir schwertun, da ich es nicht gut genug beherrsche. Ich würde einen Koautor brauchen. Meine "Gefühlssprache" ist Italienisch. Mit meiner zweijährigen Tochter spreche ich ausschließlich Italienisch. Das habe ich leider bei meinem Sohn verabsäumt.

STANDARD: "Little French Song", der Titel Ihrer neuen CD, ist auf Englisch gesungen. Den amerikanischen Markt zu erobern wäre sicher interessant für Sie.

Bruni: Was meine Musik betrifft, habe ich in den USA kein kommerzielles Profil.

STANDARD: Die ganze Welt kennt Sie heute.

Bruni: Ja, das stimmt. Das hilft sicher, ein bisschen zumindest. Ja ja, sicherlich.

STANDARD: Die letzten Jahre repräsentierten Sie Frankreich an der Seite Ihres Mannes. Eine neue Erfahrung?

Bruni: Fünf Jahre in meinem Alter fliegen dahin. Ich bin total verliebt in meinen Mann, also spürte ich nicht, wie die Zeit vergeht. Es war schön, hinter ihm zu stehen, ihn zu begleiten, einfach nur seine Frau zu sein. Ich mochte das sehr. Er ist der Prinz auf dem weißen Pferd (lacht). Ich liebe es. So klassisch. Wirklich, ich liebe es, ich liebe es. Ich dachte, das existiert nicht. Und ich bekam auch unsere Tochter.

STANDARD: Der Titel eines Ihrer neuen Lieder heißt "J'arrive à toi". Haben Sie das Gefühl, dass Sie endlich gelandet sind?

Bruni: Ich bin angekommen, ja. Mein Erwachsenwerden hat aber mehr mit meinen Kindern als mit meinem Mann zu tun. Durch sie bin ich ruhiger geworden.

STANDARD: Andererseits besingen Sie in einem anderen Lied auch die Freiheit. Ist das auch einer Ihrer Zwiespälte? Vermissen Sie denn Ihre Freiheit?

Bruni: Es klingt sehr banal, aber Freiheit ist eine innere Haltung. Es ist die Art zu denken: nicht zu beurteilen. Aber selbst als mein Mann Präsident war, fühlte ich mich nie eingesperrt.

STANDARD: Nein?

Bruni: Nein. Unser Leben war sehr strukturiert, der ganze Tag war durchorganisiert. Das hat mich nicht gestört. Ich fühlte mich beschützt, nicht beengt. Ich konnte viel schreiben und auch meine eigenen Dinge tun ... leider muss ich jetzt gehen. Mein Mann fliegt in zwei Stunden, und ich würde gerne noch Zeit mit ihm verbringen.

STANDARD: Ich habe eine letzte Frage: Finden Sie Monogamie noch immer langweilig?

Bruni: Ich würde jetzt nicht sagen: Monogamie ist fantastisch, aber Ehe ist fantastisch.

STANDARD: Ist das Ihre erste Ehe?

Bruni: Ja. Spät! Es ist die dritte Ehe meines Mannes (lacht). Jede Frau sollte einmal heiraten. Es ist schön.

STANDARD: Was ist so schön daran?

Bruni: Erstens einmal ist es schön, da ich noch nie verheiratet war, und zweitens, weil es ein Versprechen ist. Es ist ein wirkliches Versprechen. Es ist ein Vertrag! Und zwar ein guter Vertrag, der viele wichtige Dinge beinhaltet, zum Schutz der beiden Familien und der Kinder. Es geht um viele praktische und essenzielle Dinge im Leben. Man beschließt: Wir stehen das alles gemeinsam durch, in guten und in schlechten Zeiten. Und man unterschreibt es. Man unterschreibt, dass man einander treu bleibt.

STANDARD: Ist Ihr Mann Ihre Muse?

Bruni: Männer finden das immer ein bisschen seltsam, wenn sie als Muse gesehen werden. Sie sind das nicht gewohnt. Eigentlich ist die Liebe meine Muse. Aber ja, mein Mann – er hat ja nun wirklich nicht das Musen-Profil – ist sogar meine ganz wunderbare Muse. (Cordula Reyer, Rondo, DER STANDARD, 28.2.2014)