"Sehr geehrte Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen!

Ich darf Sie darüber informieren, dass der Stiftungsrat in seiner heutigen Sitzung mit großer Mehrheit dem Antrag der Geschäftsführung zugestimmt hat, die Wiener Standorte des ORF im ORF-Zentrum Küniglberg zusammenzuführen. Diese Weichenstellung – wohl eine der wichtigsten strategischen Entscheidungen, die der ORF in den vergangenen Jahrzehnten zu treffen hatte – ist das Ergebnis eines eingehenden mehrjährigen Untersuchungs- und Planungsprozesses. Am Ende dieses Prozesses steht heute nichts anderes als der Entschluss, die bestmöglichen organisatorischen, technologischen und strukturellen Rahmenbedingungen für die Produktion unserer Programme in Radio, Fernsehen und Online für die kommenden 20 bis 30 Jahre zu schaffen.

Strategisch und finanziell die beste Lösung

Die Geschäftsführung hat in intensiven Diskussionen und in enger Zusammenarbeit mit dem Stiftungsrat 2009 begonnen, alle Alternativen für einen zukünftigen Medienstandort des ORF – sowohl in strategischer wie auch in kaufmännischer Hinsicht – gewissenhaft zu prüfen. Aufbauend auf ein „Raum- und Funktionsprogramm" wurde eine Studie zur Machbarkeit durchgeführt, deren Ergebnisse dem Stiftungsrat präsentiert wurden. Diese Machbarkeitsstudie belegte im Wesentlichen, dass ein gemeinsamer Medienstandort am Küniglberg umsetzbar ist und insbesondere auch mit Widmung und Denkmalschutz kompatibel ist.

Hand in Hand mit den Standortüberlegungen ging der Strategieprozess „ORF 2020". Der ORF hat – ausgelöst durch neue Medientechnologien, neues Konsumverhalten und neue Mitbewerber – nachhaltige Umbrüche zu bewältigen. Der ORF braucht daher neue Ziel- und Messsysteme, neue Produktionsmethoden und ein erweitertes Produktportfolio um im Zeitalter der Medienkonvergenz Marktführer bleiben und seine gesetzlichen Aufträge als „Rundfunk der Gesellschaft" erfüllen zu können. Diese organisatorischen und unternehmerischen Anforderungen, die sich aus der Strategie ableiten, sind an einem gemeinsamen Standort besser und effizienter zu erfüllen, als an getrennten. Konvergenter Medienkonsum erfordert konvergente Medienproduktion. Im Mittelpunkt steht dabei ein zentraler multimedialer Newsroom, wie ihn auch andere öffentlich-rechtliche Medienunternehmen bereits realisiert haben.  So hat die BBC ihr bestehendes Newscenter um einen entsprechenden Zubau erweitert, der finnische Rundfunk YLE und der Dänische Rundfunk DR haben einen multimedialen Newsroom errichtet, wie auch der norwegische Rundfunk NRK.

In den letzten Monaten wurde intensiv an den Kosten- und Folgenabschätzungen gearbeitet. Das Ergebnis ist, dass eine Konsolidierung der Standorte auf dem Küniglberg nicht nur organisatorische und strategische Vorteile hat, sondern auch aus kaufmännischen Überlegungen heraus die einzig sinnvolle Variante ist. Nach dem Abschluss der Standortzusammenführung im Jahr 2020 ergibt sich ein Kostenvorteil von 10 Millionen Euro pro Jahr zu Gunsten des konsolidierten Standortes. In einer Zeit in der die konvergente Medienwelt von uns verlangt, unsere Produktpalette ständig zu erweitern und in der von Seiten der Politik eine Erweiterung des finanziellen Handlungsspielraums nicht zu erwarten ist, ist es notwendig, eine solche Entscheidung auch mit der nötigen finanziellen Sorgfalt zu treffen. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass auch dieser Faktor klar für die Zusammenführung spricht. Ich bedanke mich beim Kaufmännischen Direktor und seinem Team, der diese komplexen ökonomischen Analysen mit größter Sorgfalt durchgeführt hat und somit wesentliche Parameter für die Entscheidung geschaffen hat.

Geschäftsführung und Stiftungsrat tragen Bedenken Rechnung

Die Vorteile des gemeinsamen Newsrooms liegen auf der Hand und ich denke, sie sind Ihnen auch bekannt. Durch die Konsolidierung wird außerdem ermöglicht, dass alle Sender in die Nähe des Newsrooms rücken bzw. in der Nähe des Newsrooms bleiben. Durch die Gewährleistung der räumlichen und inhaltlichen Nähe von Redaktionen, die sich mit ähnlichen Themen befassen, wird das neue ORF-Zentrum zu einer der größten medienübergreifenden Kompetenzzentren von Know-How, Kreativität und Innovation. Ich verstehe allerdings, dass eine derartig langfristige Entscheidung bei Ihnen auch auf Bedenken stoßen kann.

Ich bin aber überzeugt, dass diese in weiten Teilen entkräftet und gemeinsam aufgearbeitet werden können. Wir werden auf die Herausforderungen der neuen Medienwelt auch weiterhin durch die Nutzung von Synergieeffekten und durch intelligente Ressourcenverlagerung in neue Produktfelder reagieren müssen. Dies ist aber kein Unikum des trimedialen Newsrooms, sondern seit Jahren gelebte Praxis des ORF. Wir haben bereits seit 2008 mit der TV-Thek, den ORF-APPs, ORF III, ORF Sport+ und vielen anderen neuen Produkten auf die neuen Herausforderungen reagiert und heute sind in diesen Bereichen fast 60 Personen Vollzeit beschäftigt. Ich darf Ihnen daher versichern, dass es durch die Zusammenlegung der Standorte zu keinen betriebsbedingten Kündigungen kommen wird. Dies wurde auch im Beschluss des Stiftungsrates auf Anregung von Herrn Stiftungsrat und Zentralbetriebsrat Berti so festgehalten.

Auch der Befürchtung, dass die Meinungsvielfalt innerhalb des ORF, die Pluralität einzelner Sender und Sendungen verloren gehen könnte, wurde im heutigen Stiftungsratsbeschluss Rechnung getragen. Ich erkenne die Besorgnisse von einigen Kolleginnen und Kollegen an, wonach eine Konsolidierung an einem Standort den Binnenpluralismus schwächen und Senderidentitäten einebnen könnte. Deshalb wurde im heutigen Antrag festgestellt, dass der Erhalt und die Weiterentwicklung der höchst erfolgreichen Senderidentitäten und Marken –  der Radios, des TV, von ORF.On aber auch des Landesstudios Wien – nicht nur erwünschter Nebeneffekt, sondern Kernauftrag für die Weiterentwicklung des ORF in die trimediale Zukunft darstellt.

Darüber hinaus erlaube ich mir, in Erinnerung zu rufen, dass ich es war, der aus persönlicher Überzeugung von der Wichtigkeit eines „Binnen-Pluralismus" im ORF, den „zentralen Chefredakteur" im Fernsehen 2007 abgeschafft und eine dezentrale Entscheidungsstruktur eingeführt hat. Nicht zuletzt deshalb können Sie mir vertrauen, dass ich keinesfalls Schritte in Richtung Reduzierung der Meinungs- und Informationsvielfalt im ORF setzen werde.

Weiters hat die Geschäftsführung in dem vom Stiftungsrat angenommenen Antrag festgehalten, dass der Kulturstandort Argentinierstraße mit Sendesaal und Hörspielstudio auch in Zukunft vom ORF erhalten und betrieben wird. Dieser Teil der ORF-Identität wird durch die Modernisierung und Konsolidierung des Unternehmens nicht aufgegeben.

Mit dem heutigen Beschluss können wir gut gerüstet in die Zukunft des konvergenten Medienzeitalters schreiten. In den nächsten Monaten werden die Pläne der Konsolidierung detailliert mit den Abteilungen abgestimmt werden, so dass sichergestellt ist, dass alle Bedürfnisse berücksichtigt werden. Nach Abschluss der Standsicherheitssanierung des Objektes 1 wird die Wiederbesiedelung  des Objektes – bereits mit modernisierter Büroinfrastruktur – vorbereitet, diese soll bis Ende 2015 abgeschlossen sein. Mit der  Fertigstellung des zentralen Newsrooms – und damit mit der Übersiedelung der Wiener Außenstandorte auf den Küniglberg – wird frühestens ab 2019 zu rechnen sein. Das Gesamtprojekt soll aus heutiger Sicht im Wesentlichen bis Ende 2021 abgeschlossen sein.

Ich lade Sie ein, mir Ihre Fragen, Bedenken oder Anregungen per mail zu übermitteln. Diese werden wir beantworten bzw. nach Möglichkeit in die folgenden Diskussionen und Detail-Planungen einfließen lassen. Es ist geplant, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Erarbeitung der Arbeitsabläufe und Ausgestaltung des multimedialen Newsrooms einzubinden und auch das aus dem Übersiedlungsprojekt bekannte Konzept der Nutzer/innen-Vertreter einzusetzen. Zudem wird es durch das Projektteam laufende Informationen, z.B. im ORF-IN, geben. Für Ihre Kooperation in den nächsten Monaten darf ich mich jetzt schon bedanken, ebenso möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Entscheidungsfindung mitgearbeitet haben, sehr herzlich danken.

Mit besten Grüßen,

Alexander Wrabetz" (red, derStandard.at, 6.3.2014)