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In Österreich stirbt alle 50 Minuten ein Mensch an den Folgen von Diabetes.

Foto: APA/dpa/JENS KALAENE

Mit einer Corporate Identity-Kampagne unter dem Titel "Face Diabetes" will die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) die chronische Stoffwechselkrankheit mehr ins Bewusstsein von Bevölkerung und Politik rücken. Gesellschafts- und gesundheitspolitisch sei eine Analyse vor allem eine "Analyse der Defizite", sagte ÖDG-Präsident Thomas Wascher am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Wien.

"In Österreich stirbt alle 50 Minuten ein Mensch an den Folgen von Diabetes. Das sind im Jahr 10.000 Menschen", erklärte Wascher, Oberarzt der 1. Medizinischen Abteilung am Hanusch Krankenhaus der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) und somit auch Chef der Diabetesambulanz mit rund 2.200 Patienten.

Viele offenkundige gesundheitspolitische Defizite

Gerade bei der chronischen Stoffwechselerkrankung mit rund 600.000 Betroffenen in Österreich kommen laut Fachleuten viele offenkundige gesundheitspolitische Defizite zusammen: Spitalslastigkeit des Gesundheitswesens, überlaufene Ambulanzen, Mängel in der Versorgung im niedergelassenen Bereich, Bürokratie und von den Krankenkassen verordnete Regelungen.

Bernhard Ludvik von der Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel der Universitätsklinik für Innere Medizin III in Wien (AKH), betonte die strukturellen Mängel: "Wir haben in unserer Ambulanz (3.000 Betreute pro Jahr/12.000 Kontakte; Anm.) Patienten, die einen Spezialisten brauchen. Wir haben aber auch sehr viele Patienten, welche die Ambulanz aufsuchen, weil es dort "einfacher" geht. In Wien haben wir die höchste Dichte von 8.000 Patienten in den Ambulanzen."

Man könne davon ausgehen, dass nur rund die Hälfte der Diabetiker in den Spitalsambulanzen dort auch wirklich hingehörten. Allein an der WGKK-Diabetesambulanz Wien-Mitte werden laut Oberärztin Claudia Francesconi rund 1.500 bis 1.700 Zuckerkranke regelmäßig betreut, an Waschers Ambulanz im Hanusch Krankenhaus etwa 2.200.

Keine Schwerpunkt-Praxen für Diabetiker

Der größte Teil der Patienten wäre laut den Experten bei niedergelassenen Allgemeinmedizinern und niedergelassenen Fachärzten an sich gut aufgehoben. Doch auch dort gibt es Defizite. Wascher: "Die Österreichische Ärztekammer wehrt sich überall und immer gegen eine Spezialisierung in der Allgemeinmedizin." In Deutschland gibt es beispielsweise Schwerpunkt-Praxen für Diabetiker.

Doch auch beim Gesundheitsministerium und beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger beziehungsweise bei den Krankenkassen orten die österreichischen Spezialisten schwere Versäumnisse in Sachen Zuckerkrankheit. Wascher: "2006 hatte Österreich den EU-Ratsvorsitz. Es gab einige Sitzungen im Gesundheitsministerium. Am Ende gab es einen österreichischen Diabetes-Plan. Er ist seither in der Schublade verschwunden und nicht mehr aufgetaucht."

Drei Klassen-Medizin

Auch das von Gesundheitsministerium und Hauptverband der Sozialversicherungsträger organisierte "strukturierte" Disease Management Programm Diabetes erlitt ab 2007 eine Fehlzündung. Nach sieben Jahren liegt die Beteiligung bei fünf bis sieben Prozent. Laut Ludvik fühlten sich die Ärzte von der damit verbundenen Bürokratie überfordert. Eine groß angelegte Studie in Salzburg hat ergeben, dass die Teilnahme von Patienten an dem Programm nur eine minimale Verbesserung der mittelfristig messbaren Bluzuckerparameter (HbA1c-Wert) bringt.

Der Diabetes-Spezialist sieht die gesundheitspolitischen Mängel bei der Versorgung von Zuckerkranken nur als Teil von vielfachen aktuellen Krisenpunkten im österreichischen Gesundheitssystem. Zur elektronischen Gesundheitsakte ELGA und mit Zitierung des Mammografie-Früherkennungsprogramms und des Disease Management Programms Diabetes sagt Ludvik: "Ich glaube, in den letzten Jahren hat nichts geklappt, was eingeführt wurde." Man steuere mittlerweile auf eine Drei-Klassen-Medizin zu, wenn man die Menschen mit Migrationshintergrund als eigene Gruppe hinzunehme. (APA/red, 18.3.2014)