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Männer zeigten in der Versuchsanordnung ein Verhaltensmuster, das eher der klassischen Kampf- oder Fluchtreaktion entspricht.

Der Psychologe Claus Lamm von der Uni Wien hat gemeinsam mit seinem Forscherteam die Effekte von Stress auf die Fähigkeit zur Unterscheidung selbst- und fremdbezogener Emotionen und Kognitionen - eine zentrale Fähigkeit für erfolgreiche soziale Interaktion - untersucht.

Die Unterscheidung selbst- und fremdbezogener Emotionen und Kognitionen stellt eine Grundlage für die Fähigkeit dar, sich in andere Personen emotional und gedanklich hineinversetzen zu können. "Wir kennen beispielsweise alle das Gefühl wie schwer es uns fallen kann, Person zu verstehen, deren Einstellungen und Sichtweisen sich von unseren eigenen unterscheiden", so Lamm. Wie sich Stress auf diese Fähigkeit auswirkt, hat die Wiener Arbeitsgruppe gemeinsam mit Forschern der Universität Freiburg und der Scuola Internationale Superiore di Studi Avanzati Triest (SISSA) analysiert.

Stress sei ein wichtiger psychobiologischer Mechanismus, der durchaus eine positive Funktion hat - nämlich in belastenden Situationen den Organismus so zu mobilisieren, dass er diese Situationen bewältigen kann. Die Frage, wie sich das auf das menschliche Sozialverhalten und insbesondere auf Empathie und Perspektivenübernahme auswirkt, war bislang noch weitgehend ungeklärt. 

Kampf oder Flucht

Nach gängigen Modellen zeigen Menschen und Tiere bei Stress entweder eine Kampf- oder Fluchtreaktion. "Unsere Ausgangshypothese war daher, dass Personen unter akutem psychosozialem Stress aufgrund der Schutzfunktion von Stress egozentrischer werden, und dass sich dies negativ auf deren Empathiefähigkeit und die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme auswirkt", erklärt Livia Tomova, Erstautorin der Studie.

Das internationale Forschungsteam untersuchte daher 40 Männer und 40 Frauen in einem Verhaltensexperiment, in dem experimentell eine stark stressende Situation hergestellt wurde. Diese bestand darin, dass die Probanden eine öffentliche Präsentation halten sowie anspruchsvolle Rechenaufgaben unter Zeitdruck lösen mussten. Dass diese Situation tatsächlich zu einer Stressantwort führte, wurde über einen Anstieg der Pulsfrequenz sowie des Stresshormons Cortisol überprüft.

Entgegengesetzte Effekte

Im Anschluss mussten die Versuchspersonen verschiedene Aufgaben zur Messung von Empathie und Perspektivenübernahme bearbeiten. Dabei zeigten sich zur Überraschung der Forscher in allen Aufgaben entgegengesetzte Effekte von Stress auf die sozialen Fähigkeiten von Männern und Frauen.

Frauen konnten unter Stress besser zwischen selbst- und fremdbezogenen Emotionen und Kognitionen unterscheiden, und waren dadurch in der Lage, empathischer auf andere Personen zu reagieren. Männer hingegen zeigten ein Verhaltensmuster, das eher mit einer klassischen Kampf- oder Fluchtreaktion erklärt werden konnte. Dies führte dazu, dass sie unter Stress höhere Egozentrizität und verminderte Empathie zeigten.

Mögliche hormonelle Ursachen

"Es stellt sich nun die Frage, durch welche Faktoren die entgegengesetzten Effekte von Stress bei Männern und Frauen bedingt sind. Neben möglichen erziehungsbedingten und kulturellen Einflüssen müssen auch biologische Erklärungen berücksichtigt werden. Auf der physiologischen Ebene stellt dabei insbesondere das Oxytocinsystem eine mögliche Einflussvariable dar. Frauen zeigen unter Stress eine höhere Oxytocinausschüttung als Männer, und es ist bekannt, dass Oxytocin auch einen starken Einfluss auf soziale Interaktionen aufweist", erklärt Studienleiter Lamm. Um diese Hypothese zu überprüfen, arbeitet das Team nun an einer weiteren Studie, die untersuchen soll, ob tatsächlich Unterschiede in der hormonellen Stressreaktion die unterschiedlichen Auswirkungen von Stress auf Frauen und Männer erklären können. (red, derStandard.at, 19.3.2014)