Wien - Das Hin und Her um die Rückschiebung Familie B.'s nach Polen hält seit nunmehr einer Woche an. Vergangenen Dienstag, den 18. März, war es am Flughafen Wien-Schwechat deshalb zu dramatischen Szenen gekommen. Polizisten zerrten die sich wehrende Milana B. (31), ihre Tochter Malvina (7) und ihre Söhne Bekham (6) und Amhad (2)  in den Wagen, der sie zur Gangway jenes Fliegers brachte, welcher sie nach Polen zurückbringen sollten.

Dort klammerte sich die 31-Jährige, der erzählt worden war, ihr Mann Alimkhan werde mit nach Polen fliegen, an der Fahrzeugtür fest. Mit Gewalt und Drohungen wurde sie trotzdem ins Flugzeug bugsiert – ebenso die schreienden Kinder. Erst im Flieger fanden Milana B.'s laute Proteste Gehör: Der Pilot weigerte sich, sie und die Kinder mitzunehmen.

Montag um vier Uhr früh

Sonntagfrüh nun meldete sich Milana B. per Telefon verzweifelt bei ihrer Schwiegermutter, die in Wien als Asylsuchende im Integrationshaus lebt: Sie habe eben erfahren, dass der Polen-Rückflug montags um vier Uhr früh stattfinden solle. Ob mit oder ohne Ehemann sei unklar: Der 38-Jährige liegt derzeit schwer sediert auf der Psychiatrie im Wiener Otto-Wagner-Spital. Die Landespolizeidirektion teilte derStandard.at auf Anfrage mit, dass "aufgrund der Amtsverschwiegenheit keine Auskunft" über den Fall erteilt werden dürfe.

Alimkhan B.'s Zustand lasse einen Abtransport nicht zu, sagt die Geschäftsführerin des Wiener Integrationshauses,  Andrea Eraslan-Weninger, unter Berufung auf die dortigen Psychiater: Montag vor einer Woche sei der Mann blutüberströmt in Handschellen aus den Wohnräumen der Familie im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen abtransportiert worden: Er habe sich selbst verletzt, nachdem Polizisten mit einem Dublin-Rückschiebebefehl aufgetaucht waren. 

Drittes Mal nach Polen?

Zum insgesamt dritten Mal: Zweimal war die Familie bereits gezwungen, nach Polen zurückkehren. Aus Angst vor Weiterschiebung nach Russland kam sie immer wieder nach Österreich zurück.

Dass Alimkhan B. mit dem Abflug seiner Frau und Kinder allein einverstanden sein könnte, ist für Eraslan-Weninger nicht nachvollziehbar. Vielmehr sei in diesem Fall ein seit mehreren Jahren von den heimischen Asyl- und Fremdenbehörden einigermaßen hochgehaltenes Prinzip außer Kraft gesetzt worden: Jenes, Familien, die aus Österreich ab- oder rückgeschoben werden sollen, nicht zu trennen. 

Vorspiegelung falscher Tatsachen

Zudem habe man versucht, Milana B. und ihre Kinder unter Vorspiegeleung falscher Tatsachen ins Flugzeug zu verfrachten: In der Familienschubhaft in der Wiener Zinnergasse, wo sie und die Kinder aus Traiskirchen hingebracht worden waren, sei ihr versichert worden, der Ehemann werde sie am Flughafen schon erwarten. 

Als sie ihn dort dann nicht antraf, habe ein NGO-Mitarbeiter nicht gezögert, zu behaupten, Alimkhan B. habe bereits einen früheren Flieger genommen. Sie werde ihn ganz sicher in Polen wiedersehen.

Am Sonntag versuchte Lioba Kasper, Rechtsvertreterin Familie B.'s, mit Milana B., die die Familienschubhaft in der Zinnergasse nicht mehr verlassen durfte, in Kontakt zu treten. Integrationshaus-Geschäftsführerin Eraslan-Weninger appellierte indes an die Behörden, aus humanitären Gründen von der Rückschiebung abzusehen. Alimkhan B. sei ein schwer suchtkranker Mann.

Gefahr nach Rücktransport

Zudem sei sein in Polen gestellter Asylantrag negativ beschieden worden. Es drohe ihm eine Zwangsrückkehr nach Russland, wo er gefährdet sei: Dass er im zweiten Tschetschenienkrieg in seinem Haus politischen Flüchtlingen Zuflucht gewährt habe, sei in Russland keineswegs vergessen. 

Auch brauche Familie B. nach ihrer jahrelangen Odyssee dringend Ruhe. In Österreich laufe derzeit ein Asyl-Folgeantrag. "Dessen Ausgang sollten die B.'s hier abwarten können", wünscht sich die Integrationshaus-Geschäftsführerin.

Amnesty kritisiert Behörden

Angesichts der akuten Rückschiebegefahr meldete sich am Sonntag Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty Österreich zu Wort. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sei "drauf und dran, in einen neuen Fall Komani zu stolpern" sagte er zu derStandard.at. Die zuständigen Behörden würden hier offenbar "am Ministerinbüro vorbei agieren".

Die Abschiebung des Vaters und der beiden kleinen Töchter Komani ohne die damals schwerkranke Mutter in den Kosovo hatte im Herbst 2010 in Österreich zu Kritik am Innenministerium und zu intensiven Diskussionen über die heimische Asylpolitik geführt. (Irene Brickner, derStandard.at, 23.3.2014)