Im Auktionshaus "im Kinsky" fand diese Woche eine marktkonforme Performance von Künstlern statt, die auch in der Sammlung Essl vertreten sind: für Arnulf Rainers "Verbisse und Gekratzt" (1964) fiel der Hammer bei 19.000 Euro (netto, exkl. Aufgeld) ebenso unter den Erwartungen ...

Foto: Im Kinsky

... wie für Hermann Nitschs "Schüttbild" (2010) bei 15.000.

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Franz Ringels "zwei Frauen" (1979) wartet im Nachverkauf auf einen Interessenten.

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Neuerdings gibt es in Österreich mindestens so viele Kunstexperten wie Fußballtrainer. Seit Anfang der Woche bekannt wurde, dass Gläubiger im Falle einer Baumax-Insolvenz Zugriff auf die von Karlheinz und Agnes Essl über Jahrzehnte angehäufte Kollektion zeitgenössischer Kunst bekommen, haben viele, wenn nicht ohnedies alle eine Meinung zu dieser Causa, weil nämlich, geht es nach Essl, die Republik die von ihm als "österreichisches Kulturgut" angepriesene Sammlung käuflich erwerben soll.

Wiewohl als "Angebot" verkleidet, handelt es sich um eine Forderung. Denn es stünden "rund 4000 Arbeitsplätze, davon solche von 160 Menschen mit Behinderung, allein in Österreich" auf dem Spiel, wie er in einer Presseaussendung argumentierte. Nur, wie soll bei aller Zahlenspielerei über den Verkaufserlös der Kunstwerke die vor einiger Zeit in wirtschaftliche Turbulenzen geratene Heimwerkerkette saniert und wie können die dortigen Arbeitsplätze gerettet werden?

Buch- versus Marktwert

Wie bereits präzisiert (siehe der STANDARD, 25.3., Gesamtkunstwerk um jeden Preis), handelt es sich bei den 86 Millionen Euro um den sogenannten Buchwert bzw. die Summe der über Jahrzehnte angefallenen Ankaufswerte. Laut Karlheinz Essl sei das jedoch nicht der Betrag, für den er sein Lebenswerk abgegolten haben möchte. Konkrete Zahlen will er nicht nennen. Beim Feilschen lässt sich der Kaufmann offensichtlich nicht in die Karten schauen.

In der aktuellen Ausgabe von Format ist nun von einem Abschlag in der Höhe von 15 Prozent und damit etwa 70 Millionen Euro die Rede. Daraus könnte bei einer Insolvenz wiederum ein juristisches Problem resultieren. Denn die Republik muss zum Verkehrswert kaufen, andernfalls wäre das ein "nachteiliges Rechtsgeschäft für die Gläubiger", wie ein Experte zitiert wird. Dem pflichtet gleichlautend ("juristisch heikel") auch Maria Fekter (VP-Kultursprecherin) bei.

Das Wirtschaftsmagazin Trend hatte in seinem Bericht den Verkehrs- bzw. Marktwert mit bis zu 250 Millionen Euro beziffert, die, wie Autor Bernhard Ecker auf Anfrage bestätigt, aus dem Umfeld der Gläubiger genannt worden seien.

Damit würde das Sammlerehepaar jedoch nicht nur von Wertsteigerungen einzelner Künstler profitieren.

Rabattkönig

Denn im Gegensatz zu herkömmlichen Kunstkäufern shoppte man nur sporadisch zum Marktwert, bei Galerien bestand man (laut Profil) beispielsweise auf bis zu 40 Prozent Rabatt. Jüngeren Künstlern soll gerüchteweise teils gerade mal der Materialwert ihrer Werke abgegolten worden sein.

Im Vorfeld des für kommende Woche bei Ostermayer & Co anberaumten Termins schwindet die Zahl der Befürworter täglich.

Zuletzt erteilte Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll eine Absage: Das Baumax-Problem bedürfe einer wirtschafts-, aber keiner kulturpolitischen Lösung, brachte er es auf den Punkt.

Museumsdirektoren raten mehr oder weniger geschlossen von einem Bausch-und-Bogen-Erwerb ab, wiewohl es Interesse an der Eingliederung einzelner Exponate in öffentliche Bestände gibt.

Das Qualitätsgefälle der 4900 Kunstwerke – darunter mehrteilige Zyklen, 7000 einzelne Positionen insgesamt – sei sehr differenziert, sagt man.

Verfehlte Horrorprognosen

Das von Essl und seinem Gutachter Otto-Hans Ressler prognostizierte Horrorszenario, wonach der hiesige Kunstmarkt zusammenbräche, sofern die Kollektion in einem Schwung auf den Markt käme, ist nicht nur übertrieben, sondern auch wenig plausibel.

Allein über Auktionen – die Warenbestände bei Kunsthändlern und Galeristen noch gar nicht inkludiert – wird in Österreich ein Vielfaches an zeitgenössischen Kunstwerken jährlich offeriert. Im Dorotheum gelangen rund 14.000 Positionen (Gemälde, Arbeiten auf Papier, Skulpturen, Multiples, Grafiken) zur Versteigerung, wovon etwa 65 Prozent den Besitzer wechseln. Zum Teil ist das Angebot dort jedoch deutlich internationaler ausgerichtet.

Marktkonforme Dosierung

Im Kinsky beziffert die jährlich zur Auktion gelangende Zeitgenossen-Entourage mit knapp 1000. Inklusive Nachverkauf liegen die finalen Absatzzahlen hier jährlich bei etwa 70 Prozent. Im Zuge der dieswöchigen Versteigerung von Kunst nach 1945 belief sich die Verkaufsquote am Tag der Auktion beispielhaft auf 61 Prozent (Umsatz 1,8 Mio.).

Einige Arbeiten der auch bei Essl vertretenen Künstler verkauften sich – dank mehrerer Interessenten – besser als taxiert: Arnulf Rainers verdichtete Abstraktion eines schwarzen Kreises stieg von 10.000 auf 31.000 Euro (inklusive Aufgeld); Franz Wests witzig-ironische Collage (Ossi aussi Ossi) wiederum von 18.000 auf 44.100 Euro.

Manches aus dem Essl-Fundus würde sich besonders in internationalen Metropolen lukrativ verkaufen – etwa Gerhard Richters Polyptychon ( Wolken/Fenster, (1976), vierteilig) oder Arbeiten von Anselm Kiefer; bei Großformatigem, wie Baselitz' fünf Meter hohem Melancholie (1998) wäre die Zahl der Interessenten hingegen überschaubar. Immerhin könnten nationale Galerien und internationale Granden wie Thaddaeus Ropac oder Hauser & Wirth ihre Warenlager aufstocken.

Das Gros des Angebotes müsste sich der selektiven Nachfrage stellen, bei 60 Lassnigs und je 200 Arbeiten von Nitsch oder Rainer würden sich Sammler und Händler dann eben nur das Beste fischen. Einiges bliebe natürlich unverkauft: Alltag auf dem Markt, aber kein Debakel.

Genau genommen ist die Zerschlagung der Kollektion und ihr schrittweiser Verkauf über Auktionshäuser in London und Wien die ideale, weil marktkonforme Vorgehensweise. Zeitlich wäre derlei sogar innert 18 Monaten abwickelbar, beginnend mit einem Single-Owner-Sale bei den Londoner Juni-Auktionen, gefolgt von weiteren Tranchen, vielleicht auch in Paris, in New York und natürlich in Österreich.

International kommen immer wieder größere Sammlungen auf den Markt, die, lassen die Verkäufer den Auktionshäusern freie Hand bei der Schätzung, oftmals ein Vielfaches der ursprünglichen Schätzwerte erzielen.

Steigender Marktwert

Neben der Güte der Kunstwerke spielt dann nämlich die Provenienz eine wesentliche Rolle und lockt der Promifaktor nicht nur einschlägige Sammler, sondern teils auch Spontankäufer: bei Gunter Sachs (Sotheby's 2012, 290 Kunstwerke) lag die Verkaufsquote beispielsweise weit über 90 Prozent und summierten sich die Zuschläge mit 51,3 Millionen Euro auf fast das Doppelte der ursprünglichen Erwartungen.

Von der dosierten Filetierung der Essl-Kollektion würden außerdem nicht nur die drängenden Gläubiger profitieren, sondern explizit auch einige heimische Künstler bzw. Gruppierungen, deren Marktwert steigen würde.

Bei Maria Lassnig weckt die aktuelle und in Kooperation mit dem Joanneum (Graz) kuratierte Schau in New York (Moma PS1, bis 25. Mai) derzeit ohnedies internationale Begehrlichkeiten, würden einige Essl-Bilder die Nachfrage jedenfalls stillen und wäre ein neuer Rekord (derzeit 280.000 Euro, Mit einem Tiger schlafen, im Kinsky, 2007) gesichert.

Prestigegewinn für Österreich

Für Vertreter des Wiener Aktionismus könnte es sogar zu einer längst fälligen Initialzündung für den internationalen Markt werden. Auch wenn die "R(essl)er"-Prognosen davon ausgehen, dass viele Künstler die Zerschlagung der Sammlung Essl "keinesfalls hinnehmen" würden, könnte sie auch Vorteile haben – nicht nur weil sie über die Folgerechtsgebühren am Weiterverkauf beteiligt wären (max. 12.500 Euro).

2011 hatte ein Konvolut von 49 Kunstwerken aus der Sammlung Lenz Schönberg (Sotheby's) beispielhaft eine nachhaltige Trendwende für die Bewertung von Zero-Künstlern eingeleitet. Deren Bilanz: ein einziges Kunstwerk blieb unverkauft, 19 neue Künstlerweltrekorde und 26,38 Millionen Euro Umsatz.

Ähnlich verhält es sich mit Arte povera: Im Februar waren bei Christie's (London) 109 erstklassige Werke aus einer italienischen Privatsammlung unter den Hammer gekommen. In mehr als 25 Jahren hatte das Ehepaar Nerio und Marina Fossati diese exquisite Sammlung zusammengetragen. "Kein italienisches Museum kann vergleichbare Bestände vorweisen", charakterisierte das Kunstmagazin Art.

Am Abend der Versteigerung boten zwar auch italienische Kunden vor Ort oder über das Telefon, mussten sich jedoch gegenüber der internationalen Klientel geschlagen geben. Stattdessen hatten Amerikaner und Asiaten die Preise in Rekordhöhen getrieben (Verkaufsquote 80 Prozent, Umsatz 46 Mio. Euro).

Mit etwas Fantasie könnte die Demontage des Essl'schen Lebenswerks – die Mechanismen des internationalen Kunstmarktes beherzigend – insofern sogar einen Prestigegewinn für Österreich und eine Vielzahl seiner Künstler bringen. (Olga Kronsteiner, Album, DER STANDARD, 29./30.3.2014)