Die Beziehung zu Pierre Bergé steht im Mittelpunkt von Jalil Lesperts Film "Yves Saint Laurent". Guillaume Gallienne stellt seinen Gefährten Pierre Bergé dar.

Foto: Constantin Film Österreich

Pierre Niney spielt den labilen Modemacher.

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Offiziell trennten sie sich zwar 1976, als Geschäfts- und Lebenspartner blieben Yves Saint Laurent (links) und Pierre Bergé einander aber eng verbunden.

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Pierre Bergé tritt mit wackeligen Beinen aus seinem Büro in der "Fondation Pierre Bergé - Yves Saint Laurent" auf der Avenue Marceau. Ein Muskelleiden macht dem 83-Jährigen zu schaffen. Gehen kann er nur sehr langsam, Treppensteigen ist für ihn ein mühsames Unterfangen. Doch abgesehen davon ist der ehemalige Lebensgefährte und Geschäftspartner Yves Saint Laurents erstaunlich fit: Seinen privaten Helikopter, den er in der Nähe des Eiffelturms parkt, fliegt er immer noch selbst. Als Beweis thront ein gerahmter Flugschein auf dem Kaminsims, gleich neben zahlreichen Auszeichnungen und Preisen.

Über dem imposanten Schreibtisch erinnert ein riesiges Yves-Saint-Laurent-Porträt von Andy Warhol an die einzigartige Verbindung zwischen Bergé und dem legendären Modeschöpfer, der in den 1960er-Jahren die Mode revolutionierte, indem er Frauen in Smokings oder Safarijacken steckte. Doch ohne Pierre Bergé wäre es vermutlich nie so weit gekommen, er hielt dem manisch-depressiven Saint Laurent zu Lebzeiten den Rücken frei. Die turbulente Beziehung der beiden Kunstliebhaber lieferte nun den Stoff für den Film "Yves Saint Laurent", ein Biopic von Regisseur Jalil Lespert, das am 17. April in die österreichischen Kinos kommt.

STANDARD: Der Film über Yves Saint Laurent handelt nicht nur vom Aufstieg des Modehauses, das Sie beide gemeinsam aufgebaut haben, sondern gewährt auch sehr private Einblicke in die Liebesgeschichte zwischen dem Designer und Ihnen. Wie haben Sie reagiert, als Sie von diesem Projekt erfuhren?

Bergé: Der Regisseur Jalil Lespert kam eines Tages zu mir und sagte, er würde gerne diesen Film über Yves Saint Laurent und mich drehen. Ich kannte Lespert überhaupt nicht, hatte nie von ihm gehört. Aber da er ein sehr freundlicher Bursche ist und sehr höflich, dachte ich mir: Warum nicht?

STANDARD: Hat Ihnen das Drehbuch sofort gefallen?

Bergé: Ganz und gar nicht. Es ist ja meine eigene Geschichte, und viele Dinge sind selbstverständlich anders gewesen, als sie im Drehbuch standen. Ich habe dann ein paar Bemerkungen gemacht und Ratschläge gegeben. Aber Jalil Lespert ist ein Künstler. Und Künstler haben das Recht, zu tun, was sie wollen.

STANDARD: Sind Sie mit dem Resultat zufrieden?

Bergé: Es war ein bewegender Moment, als ich den Film zum ersten Mal bei der Premiere auf den Champs-Élysées gesehen habe. Aber letztlich spielt es keine Rolle, ob ich den Film mag oder nicht. Ich bin froh, dass er existiert, das ist alles, was ich dazu sagen kann.

STANDARD: Manche französischen Kritiker halten den Film für zu glatt und poliert. Wie eine Werbung für Yves Saint Laurent.

Bergé: Ich halte es für dumm, so etwas zu sagen. Wer die Szenen aus unserem Privatleben sieht, kann nicht im Ernst behaupten, dass es ein guter Werbefilm sei.

STANDARD: Als Zuschauer erfährt man in der Tat intime Details aus Ihrer Beziehung zu Yves Saint Laurent, auch die weniger ruhmreichen: Seitensprünge und Drogenexzesse. Ist Ihnen das unangenehm?

Bergé: Viele Dinge, die erzählt werden, sind wahr, andere nicht. Aber grundsätzlich kann ich gut damit leben, dass unser Privatleben ausgebreitet wird.

STANDARD: Was halten Sie eigentlich von der Darstellung Guillaume Galliennes, der Pierre Bergé spielt?

Bergé: Die Frage kann ich unmöglich beantworten. Ich weiß, dass er ein großartiger Schauspieler ist. Ich mag ihn sehr, er ist inzwischen sogar ein Freund von mir. Aber Pierre Bergé zu spielen, ich weiß nicht ... Pierre Niney kann ich besser beurteilen. Er ist der perfekte Saint Laurent.

STANDARD: Hat er oft mit Ihnen über Saint Laurent gesprochen, um ihn besser nachahmen zu können?

Bergé: Nicht wirklich. Er hat sich vor allem alte TV-Interviews angesehen. Seine Leistung ist sehr beeindruckend, er hat die gleiche Stimme, bewegt sich und raucht wie Yves, er schiebt sogar die Brille auf die gleiche Art zurecht.

STANDARD: Haben Sie das bei den Dreharbeiten auch live beobachten können?

Bergé: Ja, zweimal bin ich dort vorbeigegangen. Vor allem bei der letzten Modenschau, die mit den Models und den Kleidern gedreht wurde, wollte ich natürlich dabei sein. Es war nicht leicht für mich, Niney am Ende auf die Bühne gehen zu sehen, um den Applaus entgegenzunehmen. Ich habe diese Situation so viele Male selbst erlebt. Es hat sich erschreckend echt angefühlt, zumal ich Lespert für die Szene die Originalkleider zur Verfügung gestellt hatte. Anfangs wollte er die Sachen nachschneidern lassen. Ich dachte, er macht Witze!

STANDARD: Kommt es oft vor, dass Sie Kleider aus den Archiven verleihen?

Bergé: Nein, nie. Und es wird wohl auch das letzte Mal gewesen sein. Ich hatte natürlich meine Bedingungen: Ich wollte die Models aussuchen und über Haare und Make-up bestimmen. Jedes Stück kam mit seiner eigenen Garderobiere aus der Fondation zum Set, und keines der Models durfte sich mit den Kleidern setzen. Es war ein schwieriges Unterfangen, aber ich finde die Szene gut gelungen.

STANDARD: Bald soll es noch einen zweiten Film über Yves Saint Laurent geben. Das Projekt von Regisseur Bertrand Bonello wird jedoch nicht von Ihnen unterstützt. Haben Sie Angst, er könnte ein falsches Bild von Yves Saint Laurent entwerfen?

Bergé: Ja natürlich. Er hat mir ja nicht verraten, was er erzählen will. Bonello kam nie zu mir, so wie es Lespert getan hat - oder zumindest erst sehr viel später, und das auch nur weil sein Produzent es wollte. "Wissen Sie, was ich nicht akzeptieren kann?", habe ich zu Bonello gesagt, "dass Sie mich hier wie einen Zensor dastehen lassen." Dabei bin ich gegen jegliche Zensur.

STANDARD: Bonello hat immerhin die Unterstützung François Pinaults, des heutigen Besitzers der Marke Yves Saint Laurent.

Bergé: Pinault hat aber keinerlei Rechte am Werk und Leben von Saint Laurent.

STANDARD: Im Film sagt Pierre Bergé, dass Yves Saint Laurent nur zweimal im Jahr glücklich gewesen sei: immer dann, wenn die fertige Kollektion präsentiert wurde. War das wirklich so?

Bergé: Das ist die absolute Wahrheit. Dazwischen hatte er viele Tiefen und ein paar Höhen.

STANDARD: Yves Saint Laurent litt sein Leben lang an Depressionen. Wie viele Krisen haben Sie mit ihm überstehen müssen?

Bergé: Es gab viele, sehr viele. Aber nur ein oder zwei wirklich große.

STANDARD: War es eigentlich Liebe auf den ersten Blick?

Bergé: Ja, mehr oder weniger.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt: Ich bin der wichtigste Mensch in Yves' Leben. Ob es daran liegt, dass er mich liebt, oder daran, dass er mich braucht, weiß ich nicht.

Bergé: Ich weiß es auch bis heute noch nicht. Vermutlich ist beides richtig. Weil er mich liebte. Und weil er mich brauchte.

STANDARD: Sie waren 50 Jahre lang ein Paar. Wie oft waren Sie in der Zeit getrennt?

Bergé: Wir haben uns jeden Tag gesehen, und wenn das nicht ging, haben wir miteinander telefoniert. Es war unmöglich für mich, ihn nicht sprechen zu können.

STANDARD: Yves Saint Laurents Muse Betty Catroux hat einmal gesagt, dass Sie in der Beziehung tausendmal mehr gelitten haben. Stimmt das?

Bergé: Das sehe ich nicht so. Eine Beziehung zwischen zwei Menschen kann man nicht einfach so aufwiegen. Aber es stimmt, dass Yves sich hauptsächlich um sich selbst gekümmert hat.

STANDARD: Seine Asche ist im Rosengarten des Jardin Majorelle in Marrakesch verstreut. War das seine Idee?

Bergé: Nein, es war meine. Es war nicht möglich, mit ihm über das Sterben oder den Tod zu sprechen.

STANDARD: Deshalb erzählten Sie ihm am Ende auch nicht von der Schwere seines Gehirntumors?

Bergé: Er wäre nicht in der Lage gewesen, mit der Situation umzugehen. Das weiß ich. Und es hätte auch nichts genützt. Wenn Therapien oder Bestrahlung möglich gewesen wären, dann hätte ich es ihm gesagt, aber es war nichts mehr zu machen, rein gar nichts.

STANDARD: Hat sich Ihr Leben seit dem Tod von Yves Saint Laurent sehr verändert?

Bergé: Nun, die Haute Couture hatten wir ja schon 2002 aufgegeben. Mein persönliches Leben spielte sich also auch schon vorher in der Fondation ab. Heute bin ich, sooft es geht, in Marrakesch in unserem Haus und hoffe sehr, in Zukunft immer häufiger dort sein zu können. Ich lasse in Marrakesch übrigens gerade ein YSL-Museum bauen, das 2016 eröffnet werden soll.

STANDARD: Was werden Sie dort zeigen?

Bergé: Kleider, Filme, Skizzen. Ein bisschen wie bei der Retrospektive, die 2010 in Paris gezeigt wurde. Nur kleiner.

STANDARD: Interessieren Sie sich noch für Mode?

Bergé: Nein. Man unterstellt mir immer, gesagt zu haben, die Mode sei mit Saint Laurent gestorben. Das ist falsch. Wahr ist aber: Die Haute Couture ist mit ihm gestorben. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin Präsident und Gründer des Institut français de la mode und bringe meinen Schülern bei, Mode zu lieben. Aber das, was heute gemacht wird, hat nichts mehr mit der Mode zu tun, wie Yves sie mochte. Das mag besser sein oder schlechter. Nur ich persönlich verstehe die Mode von heute nicht mehr.

STANDARD: Und was halten Sie von Yves Saint Laurents Nachfolgern?

Bergé: Die Arbeit von Stefano Pilati mochte ich überhaupt nicht. Aber mir gefiel sehr, was Alber Elbaz als erster Nachfolger machte. Und ich mag natürlich Hedi Slimane, er ist sehr talentiert. Seine Shows schaue ich mir auch persönlich an.

STANDARD: Besuchten Sie nicht sogar Slimanes erste Show für Dior Homme, obwohl zur gleichen Zeit Tom Ford seine YSL-Premiere gab?

Bergé: Was Ford machte, war grauenvoll und prätentiös. Das genaue Gegenteil von Yves Saint Laurent, eine völlig andere Weltanschauung.

STANDARD: Für verrückte Genies wie Yves Saint Laurent scheint es heutzutage ohnehin kaum noch Platz zu geben.

Bergé: Die Zeiten sind definitiv vorbei. Gauben Sie mir, würden Yves und ich heute noch einmal neu anfangen, würden wir bestimmt kein zweites Mal ein Haute-Couture-Haus gründen. Dann schon eher ein Kaufhaus voll mit allen möglichen Dingen.

STANDARD: Welches Bild von Yves Saint Laurent ist Ihnen am meisten im Gedächtnis geblieben?

Bergé: Ach, ich habe so viele Erinnerungen an ihn. Aber der wichtigste Moment in meinem Leben mit Yves Saint Laurent ist der Tag, an dem er 1962 seine erste eigene Kollektion präsentierte.

STANDARD: Vor vier Jahren haben Sie bei einer großen Auktion ihre gesamte Kunstsammlung verkauft, die Sie zusammen mit Saint Laurent aufgebaut hatten. Gibt es Stücke, die Sie vermissen?

Bergé: Kein einziges Teil. So ist das Leben. Aber über die, die geblieben sind, bin ich sehr glücklich. Der Picasso, der über Ihnen hängt, zum Beispiel. Der Warhol dort drüben über meinem Schreibtisch und natürlich der Senoufu-Vogel, das erste Werk, das wir uns gemeinsam gekauft haben. (Estelle Marandon, Rondo, DER STANDARD, 11.4.2014)