Vergangenheitsbewältigung anno 2014. Der Gemeinderat der niederösterreichischen Kleinstadt Amstetten gibt ein Gutachten über einen früheren SPÖ-Politiker in Auftrag, der noch früher NSDAP-Mitglied war. Es stellt sich heraus, dass Paul Scherpon deutlich mehr war als ein unauffälliger Beamter im Nazi-Regime. Vielmehr hat er etwa explizit die Deportation von Juden ins KZ empfohlen. 1945 wechselte er flugs von Braun zu Rot, 1967 wurde er sogar Ehrenbürger von Amstetten.

Schon als die städtischen Grünen 2011 Scherpons Rolle erstmals thematisierten, mussten sie sich vorhalten lassen, unnötigen Wirbel in die medial gebeutelte Stadt zu bringen. Nun legt die rote Bürgermeisterin noch eins drauf: Statt das Gutachten zu thematisieren oder gar zu veröffentlichen, lässt sie es in der Schublade verschwinden. Soll man Scherpon posthum die Ehrenbürgerwürde aberkennen? Wird die Stadtchronik umgeschrieben? All das müsste der Gemeinderat diskutieren, aber das Gutachten hat es bisher nicht einmal in einen Ausschuss geschafft. Mit Medien will die Bürgermeisterin schon gar nicht reden.

Zu groß ist offenbar die Angst vor parteiinternem Ungemach, vor dem Aufrühren der braun-roten Melange im fragilen Gefüge der Kleinstadt. Das ist freilich keine Entschuldigung für diese unfassbare Ignoranz der Geschichte, die die SPÖ in Amstetten betreibt. Dieses fortgesetzte Wegschauen bereitet erst den Boden für rechte Umtriebe aller Art. (Andrea Heigl, DER STANDARD, 14.4.2014)