Crystal-Meth-Patienten könne er "kaum etwas anbieten", sagt Kurosch Yazdi.

Foto: Gespag

Es ist eine Droge, die zur Leistungsgesellschaft passt: Crystal Meth putscht auf und euphorisiert, macht monotone Tätigkeiten plötzlich aufregend. Das Zellgift schädigt aber auch das Gehirn, kann aggressiv und paranoid machen - und eine medikamentöse Behandlungsmethode für Suchtkranke gibt es nicht. In Oberösterreich ist die Droge nun auf dem Vormarsch, erzählt Kurosch Yazdi, Leiter des Zentrums für Suchtmedizin an der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg in Linz.

derStandard.at: Immer wieder hört man von der "Horrordroge" Crystal Meth, die auch in Österreich immer beliebter werden soll. Wie sieht die Situation tatsächlich aus?

Yazdi: Es ist eine Katastrophe. Je näher ein Bundesland an Tschechien ist, desto größer ist das Crystal-Problem. In unserem Nachbarland wird die Droge im ganz großen Stil produziert und dann nach Österreich oder Bayern geschmuggelt. Eigentlich ist Crystal Meth eine alte Droge, die schon die Truppen im Ersten Weltkrieg verwendet haben, weil es wie Kokain eine extrem aufputschende Wirkung hat. Heute wird es aber in vielfach höherer Konzentration hergestellt und wirkt viel stärker als Kokain. Gleichzeitig ist es viel billiger, weil es einfach im Labor herstellbar ist und die Rohmaterialien legal in der Apotheke erhältlich sind.

derStandard.at: Welche Rolle spielt Crystal Meth in Ihrem Zentrum für Suchtmedizin?

Yazdi: Wir werden seit etwa einem Jahr von Patienten mit einer Crystal-Meth-Abhängigkeit überschwemmt. Die Zahl ist massiv am Steigen. Bis vor ein paar Jahren war der Konsum relativ gering: Die Leute haben das in der Disco konsumiert, weil es billiger als Kokain war. Später haben Heroinabhängige begonnen, sich Crystal Meth zu spritzen. Da hatten wir dann die ersten Fälle von Suchtkranken.

derStandard.at: Von welchen Zahlen sprechen Sie, wenn Sie sagen, dass Ihr Zentrum überschwemmt wird?

Yazdi: Normalerweise haben wir im Jahr 3.800 Kontakte an der Drogenambulanz. Bisher waren das fast zur Gänze Opiatpatienten. Jetzt ist es plötzlich so, dass 20 Prozent Crystal-Patienten zusätzlich kommen. Wir haben einen zusätzlichen massiven Aufwand bei gleichbleibenden Resourcen und können den Crystal-Patienten auch kaum etwas anbieten. Das Problem ist nämlich: Im Gegensatz zum klassischen Heroinabhängigen, für den es gute Behandlungsmethoden gibt, haben wir bei Crystal gar keine Behandlungsmethode in Österreich. Einem Heroinjunkie gebe ich ein milderes Opiat, entweder als Dauergabe oder in immer geringerer Dosierung im Sinne einer Entzugsbehandlung. So ein Mittel haben wir für Crystal nicht, weil es keine medizinisch ähnliche Substanz gibt, die legal ist: Alle ähnlichen Substanzen - Kokain, Amphetamine - sind verboten.

Das ähnlichste Medikament, das es gibt, ist Ritalin, das man Kindern mit ADHS verabreicht. Aber Ritalin ist streng verboten bei Suchtpatienten. Dazu kommt, dass der Opiatpatient vielleicht körperlich massiv abgebaut hat, aber meistens nicht psychotisch ist: Mit dem kann man vernünftig reden in der Entzugsbehandlung. Aber manche Crystal-Patienten sind psychotisch, ähnlich einem Mensch mit Schizophrenie, verzerren die Realität, fühlen sich verfolgt und hören Stimmen. Es ist eine wirklich gefährliche Droge, die leicht verfügbar ist, für die es kaum Hilfsangebote gibt und sehr wenig Wissen in der Bevölkerung.

derStandard.at: Wie kann der Entzug bei Crystal Meth dann überhaupt funktionieren?

Yazdi: Das ist eben das Schwierige. Es ist meistens ein kalter Entzug, das heißt die Medizin kann den Suchtkranken kaum Linderung anbieten. Natürlich kann ich ihnen Beruhigungsmittel oder Schlafmittel geben, damit der Entzug ein bisschen erträglicher wird. Aber das bringt den Patienten nicht viel. Die Entzugssymptome kommen trotzdem. Das macht die Behandlung so schwierig und daher brechen viele wieder ab. Es gibt keine spezifische medikamentöse Behandlung für Crystal-Patienten in Österreich.

derStandard.at: Und anderswo?

Yazdi: Es gibt Länder, in denen Amphetamine im medizinischen Gebrauch zugelassen sind. Dann könnte man den Patienten diese Amphetamine, also Speed, geben und damit den Entzug mildern.

derStandard.at: Wünschen Sie sich das für Österreich?

Yazdi: Sinnvoll wäre es, wenn es irgendein Mittel für den Entzug gäbe - zum Beispiel, wenn ich Ritalin geben dürfte. Aber natürlich ist auch das kein harmloses Medikament in höherer Dosis.

derStandard.at: Wie sieht ein "typischer" Crystal-Patient aus?

Yazdi: Die meisten Konsumenten sind jung und experimentierfreudig. Viele Jugendliche verwechseln das Gefahrenpotenzial von Ecstasy mit dem von Crystal Meth. Und was so billig ist, kann nicht gefährlich sein. Das ist dramatisch, weil es viel, viel stärker und gefährlicher ist.

derStandard.at: Viele Menschen assoziieren Crystal Meth mit den schockierenden Vorher-nachher-Fotos, die im Netz herumgeistern. Sind diese Auswirkungen der Droge tatsächlich realistisch?

Yazdi: Das sind natürlich extreme Bilder, aber sie sind nicht gelogen. Es ist eine Frage der Menge und der Frequenz des Konsums: Wenn jemand über einen längeren Zeitraum täglich hohe Dosen Crystal Meth nimmt, dann magert er ab, weil er kein Hungergefühl mehr hat. Durch diese Mangelernährung werden viele Schäden verursacht. Die Zähne fallen aus wegen Kalziummangel, Haut und Knochen werden kaputt. Die Droge ist ein Zellgift, das Gehirn- und Körperzellen zerstört.

derStandard.at: Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Crystal Meth durch die TV-Serie "Breaking Bad" bekannt. Was halten Sie von dieser medialen Thematisierung?

Yazdi: An sich finde ich es gut, wenn das Thema Crystal Meth bekannter wird, weil auch die Gefahren dargestellt werden. Aber ich halte es für problematisch, wenn Leute glauben, dass das eine "coole Droge" ist.

derStandard.at: Sehen Sie Parallelen zwischen der Gesellschaft und ihren jeweiligen Modedrogen?

Yazdi: Wir leben in einer Zeit, in der es um Leistung geht, um Immer-gut-gelaunt-Sein, tagsüber soll man arbeiten und in der Nacht fortgehen. Je mehr die Gesellschaft auf Leistung getrimmt wird, desto moderner werden stimulierende Drogen.

derStandard.at: Wie wird die Entwicklung von Crystal Meth in Österreich weitergehen?

Yazdi: Es würde mich nicht wundern, wenn das noch deutlich mehr wird. Es kommt tonnenweise Crystal Meth aus Tschechien, während beispielsweise Heroin erst aus Afghanistan hergeschmuggelt werden muss. Auf die Problematik reagiert das System - Politik und Gesundheitssystem - aber nicht. Irgendwann wird sicher einmal eine Plateauphase kommen, aber die Frage ist: Ist die jetzt schon erreicht, oder wird die Situation noch dramatischer? (Franziska Zoidl, derStandard.at, 25.4.2014)