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Zur "Befriedung" sind in Favelas Sicherheitskräfte stationiert. Wegen der geringen Gehälter sind viele jedoch selbst in kriminelle Geschäfte verwickelt. Foto: APA/Jäger

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Das Maracaná-Stadion ist schon von weitem zu sehen. Hell erleuchtet ragt der futuristische Rundbau im Norden von Rio de Janeiro empor. Rund 360 Millionen Euro hat die neue Prachta-Arena gekostet. Eigentlich sollte das Stadion zum Symbol für das größte Fußballfest am Zuckerhut werden - doch die Stimmung ist gekippt.

Die Kosten von mehr als 3,4 Milliarden Euro, tödliche Arbeitsunfälle auf den WM-Baustellen und Preissteigerungen haben den Brasilianern die Laune an der Fußball-Weltmeisterschaft verhagelt.

Tägliche Schusswechsel

Nur wenige hundert Meter vom Maracaná-Stadion entfernt beginnt die andere Realität Brasiliens. Antônio Carlos Costa, Gründer der NGO Rio de Paz, geht den matschigen Weg der Favela Jacarezinho entlang und zeigt auf die andere Straßenseite. "Gazastreifen" wurde die Armensiedlungen genannt, weil es hier so gewalttätig wie im Krieg zuging.

Seit Oktober 2012 zählt auch Jacarezinho zu den sogenannten befriedeten Favelas. In einem Großeinsatz mit schwer bewaffneten Polizisten und Militärs wurden die Drogendealer vertrieben und ein Stützpunkt der "Befriedungspolizei" (UPP) eingerichtet. Die Strategie der Sicherheitsbehörden sei gescheitert, sagt Costa.

Wie schnell die Gewalt Rio de Janeiro wieder im Griff hat, zeigen die vergangenen Tage: Die touristischen Nobelstadtviertel Copacabana und Ipanema wurden zum Schauplatz von gewalttätigen Straßenschlachten mit zwei Toten. Fast täglich kommt es auch in den Favelas zu Schusswechseln zwischen Polizei und Drogendealern. Trotz aller Versprechen der Politik ist die Gewaltspirale in Rio de Janeiro ungebrochen. Mehr als 1500 Menschen wurden seit Jahresbeginn im gesamten Bundesstaat ermordet.

Zehntausende Mordopfer

"Ja, es gibt seit einigen Monaten einen starken Anstieg der Gewaltdelikte", sagt Costa. Dafür verantwortlich macht der evangelische Pastor auch die Polizei, die oftmals brutal gegen die Bewohner der Favelas vorgehe.

Seit 2007 bis Ende vergangenen Jahres wurden rund 40.000 Menschen in Rio de Janeiro laut offizieller Statistik ermordet. Hinzu kommen etwa 38.000 Verschwundene. "Niemand weiß, wie viele von ihnen tot sind", sagt Costa. Es entspreche der Taktik der Drogenbanden, aber auch der Polizei, Menschen zu verschleppen und zu töten.

"50.000 Menschen werden pro Jahr in Brasilien Mordopfer. Die Aufklärungsrate beträgt nur acht Prozent", sagt auch der Politikwissenschaftler Luiz Eduardo Soares von der staatlichen Universität Rio de Janeiro. Er gilt als einer der schärfsten Kritiker der repressiven Sicherheitsstrategie.

Korrupte Behörden

Für den Experten ist eine der Hauptursachen die Straflosigkeit die Korruption innerhalb der Sicherheitsbehörden. "Wir brauchen dringend eine Reform der Polizei, ansonsten gibt es keine Hoffnung", betont er. Viele Polizisten seien in Mafiageschäfte verwickelt. "Alle wissen, dass die Polizei Waffen und Munition an die Dealer verkauft", sagt auch Costa. Vor allem für Arme gebe es keine öffentliche Sicherheit.

Für die WM wird eine neue Protestwelle wie schon 2013 beim Confederations Cup erwartet. "Wir bereiten uns auf das Schlimmste vor", gab Verteidigungsminister Celso Amorim als Parole aus. Für Präsidentin Dilma Rousseff steht nichts Geringeres als ihre Wiederwahl im Oktober auf dem Spiel. Bleibt der Makel von Straßenschlachten statt eines friedlichen Fußballfestes, steht eine zweite Amtszeit auf der Kippe. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, DER STANDARD, 26.4.2014)