Texte aus Daten: "Roboterjournalismus" ist keine Zukunftsmusik mehr, sondern ein Szenario, das in der Medienbranche bereits angekommen ist.

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Wien - Eine automatisierte Software, die Daten eines Erdbebens in einen kurzen Artikel verwandelt oder ein paar Fußballergebnisse, die in Spielberichten münden. Was unter dem Begriff "Roboterjournalismus" subsumiert wird, klingt zwar für Journalisten bedrohlich, ist aber weit mehr als der Versuch, Menschen in Redaktionen durch Maschinen zu ersetzen. Wie konkrete Digital-Projekte aussehen könnten und dass hinter dem Begriff "Roboterjournalismus" oft nur User Generated Content oder Datenjournalismus steht, wurde am Montag und Dienstag beim European Newspaper Congress in Wien anhand von Beispielen präsentiert.

Scoopshot: Fotografieren für Medien

Scoopshot nennt sich eine Applikation, über die User selbstgemachte Fotos hochladen, um sie an Medienhäuser zu verkaufen. "Die Macht der Masse nutzen", so beschreibt Niko Ruokosuo, Chef der finnischen Plattform, das Credo. Als Partner an Bord sind bis jetzt 70 Verlage aus 21 Ländern, sie beziehen Fotos über das Portal, das derzeit über eine halbe Million Fotografen verfügt. Fotograf ist bei Scoopshot jeder, der sein Handy zur richtigen Zeit am richtigen Ort zückt.

Medien können in der Datenbank entweder gezielt nach Objekten suchen, oder über die App Push-Mitteilungen an User senden, wenn beispielsweise Bilder von lokalen Ereignissen erwünscht sind. Sind etwa Bilder von einem gerade brennenden Haus in Dortmund gefragt, dann werden User in der Stadt benachrichtigt. Die Verifizierung der Fotos übernimmt Scoopshot. Bewertet wird, ob ein geringes oder hohes Authentizitätsrisiko besteht. "Ein gewisses Risiko gibt es bei User Generated Content immer", räumt Ruokosuo ein. Der Preis für Fotos ist variabel, bezahlt wird nur nach Veröffentlichung.

Niuu: Personalisierte Nachrichten

Abhilfe, um die "tägliche Informationsflut zu bewältigen", verspricht eine personalisierte iPad-App, die Nachrichten aus 35 Tageszeitungen und Magazinen aggregiert. Beim deutschen Start-up "Niuu" bekommen User je nach Interesse Nachrichten serviert, etwa Sport vom "Kölner Express", die Regionalnachrichten vom "Hamburger Abendblatt" und das politische Geschehen aus der Schweizer "NZZ". Nutzer können täglich bis zu 40 Artikel pro Quelle beziehen. Kostenpunkt? Rund zehn Euro pro Monat. Ein Teil der Erlöse geht an Verlage, für die ein weiterer Distributionskanal entsteht. Geliefert würden auch Zeitungsinhalte, die eigentlich mit einer Paywall abgeschirmt sind, sagt Wanja Sören Oberhof, Geschäftsführer von Niuu.

Text-On: Aus Daten Texte aufbereiten

Um Erlöse dreht sich naturgemäß auch das Geschäftsmodell des deutschen Unternehmens Text-On, das aus "Daten Wissen macht", wie Cord Dreyer, jetzt Chef von Text-On und zuvor Geschäftsführer der Nachrichtenagentur dpapd, erläuterte. Den Begriff "Roboterjournalismus" hält er für unpassend, es gehe um "Texterstellung aus Daten". Einsatzmöglichkeiten für Medien sieht er vor allem in den Bereichen Fußball, Finanzen und Statistik. Ein "nackter, nachrichtlicher Text" stehe am Ende des Prozesses, ausgespuckt von einer Software nach der Datenbeschaffung. Medial unterrepräsentierte Ereignisse ließen sich auf diese Weise abbilden, glaubt Dreyer, der mit Text-On keine Konkurrenz für Journalisten sieht, sondern viel mehr Ergänzung zum Nachrichtenfluss liefern möchte.

teleocon: Organisation in Redaktionen

"Maschinen können keine Journalisten ersetzen", sagt Markus L. Blömeke, Geschäftsführer von teleocon, denn: "Journalismus braucht eine Seele." Ein kleines Stück Seelenheil verspricht teleocon mit einem virtuellen Newsroomsystem, das einen Überblick bieten soll, "wo Redaktionen gerade stehen." Physische Anwesenheit sei für den Organisationsprozess nicht mehr erforderlich: "Der Chef kann vom Strand aus beobachten, was sich gerade im Büro tut." Mit dem System würden Planungskonferenzen und Hierarchiekämpfe, die dort ausgetragen werden, obsolet. Er behauptet, ein "letztes Mittel" zur Effizienzsteigerungen in Redaktionen in der Hand zu haben, denn: "Sonst sind in Medien bereits alle Effizienzressourcen aufgebraucht."

tame.it: Strukturierung von Twitter-Inhalten

Bereits am Montag präsentierte Frederik Fischer die Plattform "tame.it", die den Nutzen von Twitter steigern möchte. "Wir arbeiten teilweise schon wie Maschinen", erklärte er. "Wir sehen uns Ereignisse an und entscheiden dann, ob sie relevant sind oder nicht. Es geht aber darum zu erkennen, was davon vielleicht von Maschinen effektiver übernommen werden kann." Insofern sei diese Art der Datenbeschaffung keine Gefahr, sondern eine Hilfestellung für den Journalismus. "Wir können mühsame Arbeiten auslagern und uns auf das Wichtige konzentrieren."

Mit "tame.it" versucht es der deutsche Start-up-Gründer auf dem Weg der Strukturierung von Twitter-Inhalten. "Alles, was ich wissen muss, wird hier angezeigt", erklärte Fischer über die Analyse der Tweets in der eigenen Timeline. Für Medienunternehmen gibt es zusätzlich die - kostenpflichtige - Möglichkeit, über das Interesse des Publikums, also der Follower, in Kenntnis gesetzt zu werden.

Datawrapper: Aufbereitung von Daten

"Datawrapper" hat sich wiederum auf die Aufbereitung von Daten spezialisiert. "Es gibt viele Wege, diese Informationen für besseren Journalismus zu verwenden. Aber dafür muss ich diese Codes kennen und verstehen", erläuterte Geschäftsführer Mirko Lorenz. Sein Unternehmen ermögliche dieses Vorhaben mittels vier einfacher Schritte, am Ende stünden sofort verwendbare Grafiken und Tabellen.

Retresco: Automatisierungen für Journalisten

Johannes Sommer vom Technologiedienstleister "Retresco" skizzierte vier Bereiche, in denen Automatisierungen für Journalisten und Medienunternehmen Sinn machen. So könnten redaktionelle Prozesse vereinfacht werden, etwa das Verknüpfen von Artikeln mit bestimmten Keywords oder das Absetzen von Tweets und Postings, und die Sichtbarkeit in Suchmaschinen erhöht werden. Auch beim Stichwort User Engagement sieht der Geschäftsführer von "Retresco" Potenzial für automatisierte Abläufe. "Wie mache ich aus einem User auch einen loyalen User, der im besten Fall für die Inhalte bezahlt? Darum geht es hier."

Zu guter Letzt spiele das in den Bereich der Vermarktung hinein: "Wie verwerte ich meinen Content sinnvoll mehrfach?" Sommer zufolge wäre dies etwa über Themenseiten möglich, die bereits vorhandene Inhalt neuerlich nutzen und strukturiert aufbereiten. Sein Unternehmen bietet Verlagen genau in diesen Punkten Hilfestellungen an, zeigt relevante Trends auf und informiert über mögliche Angebote, die gesetzt werden könnten. Aber auch hier gilt: "Nicht alles funktioniert hundert Prozent automatisch." Gerade bei Themenseiten sei es natürlich notwendig, dass Journalisten auf die letztendliche Gewichtung, Gestaltung und Zusammenstellung ein Auge werfen. (omark, APA, derStandard.at, 7.5.2014)