Wer zusehen möchte, wie Männer nach Jahren an der Macht immer autoritärer werden und die Fähigkeit verlieren, Widerspruch zu ertragen, der muss gar nicht nach Budapest, Istanbul oder Moskau schauen. Es reicht ein Blick nach St. Pölten.

Erwin Pröll regiert seit mehr als 20 Jahren das Land Niederösterreich und hat die maximale Machtfülle, die ein Landeshauptmann haben kann – und vielleicht noch etwas mehr. Pröll ist in vieler Hinsicht ein begnadet guter Politiker, aber schon von Anfang an hat er Persönlichkeitszüge gezeigt, die nicht in eine liberale Demokratie passen. Das Video, in der er noch als junger Landeschef einen kritischen Pfarrer niedermachte, ist legendär.

Öffentliche Drohungen

Inzwischen häufen sich die Fälle, in denen Pröll mit jedem, der sich ihm in den Weg stellt, umgeht, als würde er sie gerne niederknallen. Die Episode, in der er den ehemaligen Chef der Finanzmarktaufsicht Kurt Pribil bei einer öffentlichen Veranstaltung beschimpfte und ihm den Verlust seines Postens androhte, würde eigentlichen jeden öffentlichen Funktionsträger rücktrittsreif machen.

Die FMA hat damals der Hypo Niederösterreich eine Strafe aufgebrummt, die später vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben wurde. Das ist ein normaler Ablauf in einem Rechtsstaat. Und die Justiz ermittelt weiter gegen die Hypo NÖ. Doch Pröll kann offenbar damit nicht leben.

Beamter versetzt

Und dass Pröll es nicht immer bei verbalen Drohungen belässt, hat der Umgang mit jenem Spitzenjuristen im NÖ-Landesschulrat gezeigt, der es gewagt hatte, darauf hinzuweisen, dass Kommunionslieder außerhalb des Religionsunterrichts wirklich nichts verloren haben.

Nun hat Pröll Fritz Freudensprung wahrscheinlich nicht persönlich versetzen lassen. Aber die Vorgangsweise des Landesschulratspräsidenten Hermann Helm geschah ganz im Geist des Landeshauptmanns und war zweifellos von der Landesspitze gedeckt. Solche Sachen passieren in St. Pölten nicht ohne Wissen des Chefs.

Sein Wille ist Gesetz

Pröll macht mir Angst. Er ist ein charismatischer, aber willkürlicher, autoritärer und nachtragender Machtmensch, der glaubt, dass sein Wille Gesetz ist. Eine echte Opposition hat er keine, kritische Landesmedien auch nicht.

Nun ist Pröll bloß Landeshauptmann in einem System eines eingeschränkten Föderalismus, in dem  immer noch die Bundesverfassung und die EU-Verträge gelten. Das begrenzt seine Spielräume. Aber Prölls tatsächliche Macht geht weit über sein Amt hinaus.

Länder, ORF und ÖVP

Er dominiert – auch dank seiner Achse mit Michael Häupl – die Länder, die in dieser Republik fast jede Reform blockieren. Er hat über Richard Grasl viel Einfluss im ORF.

Und er beherrscht die ÖVP, seit er seinen aufmüpfigen Neffen Josef Pröll entmachtet und seinen treuen Adjutanten Michael Spindelegger eingesetzt hat - und diesem trotz aller Schwächen die Stange hält. Mehr noch als die eigentliche Regierungsspitze ist Pröll für den tristen Zustand dieser Regierung verantwortlich.

Erinnerung an Kärnten

Mehr noch (und hoffentlich irre ich mich): Aber mit seinen hochverschuldeten Gemeinden, vielen strukturschwachen Regionen, einer Landesbank, wo anscheinend vieles im Argen liegt, und einem Landeskaiser, der für alles Geld zur Verfügung stellt, was ihm lieb und teuer ist, erinnert  Niederösterreich fatal an Jörg Haiders Kärnten.

Wer oder was kann Erwin Pröll stoppen? Mit echtem Widerstand in Niederösterreich ist nicht zu rechnen, und auch in seiner Partei hat noch niemand ein Rezept gegen den Sultan von St. Pölten gefunden.

Die größte Hoffnung ist, dass Pröll seinen Lebenstraum wahr macht und 2016 Bundespräsident wird. Dann hat er tagespolitisch nicht mehr viel mitzureden. Aber es ist doch recht fraglich, ob ein Politiker dieses Schlags an der Staatsspitze stehen soll. (Eric Frey, derStandard.at, 11.4.2014)