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Unglückliches Vöglein im goldenen Käfig, das von seiner verlorengegangenen Freiheit träumt: Nicole Kidman als Grace Kelly beziehungsweise "Grace of Monaco" mit Filmfürst Tim Roth.

Foto: EPA/Gaumont

Das große Plakat über dem Palais du Festival ziert dieses Jahr der unvergessene Marcello Mastroianni. Den Kopf leicht geneigt, rückt er mit dem Finger die Sonnenbrille zurecht. Das Bild stammt aus Federico Fellinis La dolce vita, und in seiner zeitlosen Eleganz erinnert es an jene Tage, in denen der Jetset noch mit viel Understatement Glamour zu verkörpern vermochte - nicht nur in Rom.

An solchen Glanz wollte man in Cannes bestimmt auch mit der Wahl des Eröffnungsfilms Grace of Monaco anschließen: eine anmutige Hollywooddiva, die zur Prinzessin eines kleinen europäischen Fürstentums wird -- ein Drama, wie gemacht für einen Ort wie Cannes, der das Kino immer noch wie eine Monarchie führt, zu der nur wenige Auserwählte Zutritt haben.

Schlicht erfunden

"Die Idee meines Lebens als Märchen ist selbst ein Märchen", wird Grace Kelly am Anfang von Olivier Dahans (La vie en rose) Film zitiert, und Grace of Monaco verfolgt nicht das Ansinnen, diesen Satz zu widerlegen. Dem monegassischen Fürstenhaus war es der Fabulierlust dennoch zu viel: Man sei nicht konsultiert worden, zentrale Szenen wie die einer herzergreifenden Rede auf dem Rosenball von 1962, mit der Gracia Patricia den französischen Präsidenten Charles de Gaulle austrickst, seien schlicht erfunden, hieß es von Prinz Albert und seinen beiden Schwestern. Der Premiere am Mittwochabend blieb man daher fern.

Dazu hat die Familie zwar jedes Recht, aber Grace of Monaco ist an historischer Genauigkeit ungefähr genauso interessiert wie ein durchschnittliches Promimagazin: Grace Kelly ist darin ein unglückliches Vöglein im goldenen Käfig, das von seiner verlorengegangenen Freiheit träumt. Der neuen Rolle als Prinzessin Gracia Patricia kann die Oscar-gekrönte Schauspielerin schon deshalb nicht gerecht werden, weil sie sich ganz einfach weigert, diese zu spielen. Wiederholt bricht sie die Etikette, mischt sich mit ihren Meinungen in Männerrunden ein oder zeigt Natürlichkeit, wo eigentlich vornehme Zurückhaltung gefragt ist.

Operettenhaft erweitert

Als schließlich Graces alter Freund Alfred Hitchcock ihr die Hauptrolle von Marnie anbietet und sie mit der Rückkehr ins Filmgeschäft kokettiert, scheint die Krise der Ehe perfekt. Doch Arash Amels Skript bevorzugt die operettenhafte Erweiterung des Stoffs und faltet daraus eine Art Hochglanzvariation von My Fair Lady: Aus Grace Kelly wird erst in dem Moment Gracia Patricia, wo sie die Herausforderung des Parts annimmt und sich wie die Repräsentantin eines Fürstentums benimmt -- freilich mit den ihr eigenen Waffen einer Frau, die daran gewöhnt ist, Medien mit ihrem Glamour um den Finger zu wickeln.

Dass dies alles reichlich belanglos bleibt, liegt nicht nur daran, dass man sich mit dem Kampf Monacos, eine steuerfreie Zone zu bleiben, nicht wirklich zu solidarisieren vermag. Es hat auch mit einer Inszenierung zu tun, die kaum ein Klischee auslässt und sich bisweilen nahe an der Parodie historischer Persönlichkeiten bewegt.

Nicole Kidman macht als Gracia Patricia keine schlechte Figur, wenngleich ihr jene Aura unschuldiger Natürlichkeit fehlt, mit der Grace Kelly ihr Publikum erobert hat. Fürst Rainier ist in der Verkörperung von Tim Roth hingegen mehr englischer Gentleman mit glutvollem Inneren als mediterraner Lebemann - dies spielt er dafür tadellos.

Auch visuell bleibt die Fabel dieser "amerikanischen Aphrodite", wie die Prinzessin einmal ironisch genannt wird, beharrlich im Märchenmodus. Weichzeichner-Linsen lassen alles ein wenig unscharf erscheinen. Nur einmal, als Grazia Patricia im Auto enge Straßen entlangrast, spürt man die Wut und Energie dieser Frau. (Dominik Kamalzadeh aus Cannes, DER STANDARD, 15.5.2014)