Bild nicht mehr verfügbar.

Mit Kinect verschwindet eine weitere ursprünglich angekündigte Xbox-One-Kernfunktion im Hintergrund.

Foto: EPA/GARY HE

Als Microsoft die Xbox One vor einem Jahr enthüllte, hatten ihre Schöpfer ein großes Ziel vor den Augen. Die neue Konsole würde mit der Integration von TV und einem intuitiven Interface, das über Gesten und Sprache gesteuert wird, zum medialen Zentrum des Wohnzimmers. Durch eine verpflichtende Internetanbindung würden Online-Dienste und -Inhalte in jedes Spiel und jede Anwendung eingebettet. Mit der "Macht der Cloud" würden Spiele um die zigfache Leistung Microsofts Server erweitert und verbessert. Kurzum: Die Xbox One würde die zukunftstauglichste Konsolenplattform aller neuen Systeme sein.

Ein Jahr später ist von dieser Vision fast nichts mehr zu erkennen. Stückweise wurde das gesamte Konzept, das hinter Microsofts neuer Xbox stand und über Jahre hinweg von hunderten Mitarbeitern geplant und ausgeführt wurde, innerhalb weniger Monate demontiert.

Rückruderer

Konsumenten kritisierten berechtigt das potentiell bereichernde, aber auch restriktive Online-Zwang-System. Aber anstatt genauer zu erklären, nachzubessern und Ängste zu nehmen, reagierte Microsoft umgehend mit der Streichung dieser Idee und beerdigte damit alle Vorhaben für eine durchwegs vernetzte Unterhaltung. Die Message "TV, TV, TV" kam schon zum Enthüllungstag so schlecht an, dass im Handumdrehen nur noch von "Games, Games, Games" gesprochen wurde. Die aufwendig vermarktete Einbindung von Live-TV über Kabel- oder SAT-Empfänger steht so nur noch im Hintergrund, in vielen Ländern sind nach wie vor nicht alle Features verfügbar. Anstelle dessen werden exklusive On-Demand-Inhalte über Xbox Live beworben, wie sie auf jedem familientauglichen Gerät konsumiert werden können.   

Und zu guter Letzt nahmen Konsumenten das vermeintliche Killer-Feature Kinect nicht an. So sehr Microsoft von Anfang an versuchte, den Sensor als Interface-Revolution und Mehrwert zu verkaufen: Mangels überzeugender Inhalte teilte die Spielerschaft diese Ansichten nicht. Kinect wurde als Zwangsbeglückung aufgefasst, die die Konsole 100 Euro teurer macht, als das immer populärer werdende Produkt des Mitbewerbers Sony: Die PlayStation 4.

Überzeugende Games und Inhalte blieben aus und so fiel schließlich nun auch das letzte große Unterscheidungsmerkmal der Xbox One dem Konkurrenzdruck zum Opfer. Ab Juni wird die Xbox One ohne Kinect ab 399 Euro erhältlich sein - zum Preis der PlayStation 4. Das Killer-Feature Kinect wurde zum Zubehördasein verdammt und dürfte jetzt wohl das gleiche Schicksal erleiden, wie die Vorgängerversion für Xbox 360.

Reaktionär

In der Öffentlichkeit propagiert Microsoft diesen Schritt damit, "auf die Kunden gehört zu haben" und den Konsumenten "mehr Entscheidungsfreiheit" geben zu wollen. Wer zwischen den Zeilen liest, wird hier jedoch ebenso wenig Nächstenliebe erblicken, wie bei jedem anderen Konzern, der mit seinen Produkten Endkunden erreichen möchte. Genauso wenig wie Sony mit seiner "4ThePlayers"-Kampagne altruistische Züge äußert, geht es auch bei all diesen 180-Grad-Wendungen Microsofts nicht um die Liebe zum Spieler. Es geht ausschließlich um den Profit. Und mit jedem Tag, an dem sich die Konkurrenz besser verkauft, als das eigene Angebot, droht dieser zu schrumpfen.

Der große Unterschied zwischen Microsoft und Sony ist, dass der US-Konzern sich bei der Entwicklung der ursprünglichen Xbox One nicht an bestehenden Kundenwünschen orientiert hat, sondern an seiner eigenen Vorstellung der Entertainment-Zukunft und erst aufgrund der Rekordverkäufe der PlayStation 4 dazu gezwungen wurde "zuzuhören". Wären die Xbox One und ihre Funktionen eingeschlagen wie 2007 das iPhone oder 2006 die Wii, hätte es keinen Grund gegeben, zurückzurudern.

Auf Augenhöhe

Dieses gezwungene "Zuhören" hat Microsoft vom erhofften Vorreiter zum reaktionären Nachläufer gemacht. Die Xbox One wurde so weit beschnitten, bis sie zum gleichen Preis eine PS4 in grün wurde. Aus Sicht der Anleger mag es zumindest auf kurze Sicht sinnvoll erscheinen, über eine Kostenreduktion die Nachfrage anzukurbeln. Doch zu welchem Preis wurde diese Parität erzwungen?

Microsoft ist nun wie Sony dazu angehalten, auf seine plattformexklusiven Spiele zu setzen und diese als Unterscheidungsmerkmal zu bewerben. Nicht mehr TV, nicht mehr die Immer-Online-Vorzüge, nicht mehr Kinect können die schlagenden Argumente liefern, sondern "Halo", "Forza" und Co..

Und damit bewegt man sich auf extrem dünnen Eis. Zwar wird man mit seinen hauseigenen Franchises die Fanbasis erneut für sich gewinnen, genauso wie Sony und Nintendo ihre Fans am Ball halten. Doch für das Gros der Spieler und dutzende Millionen unentschiedene Konsumenten, die sich Konsolen wegen der großen plattformunabhängigen Titel wie "FIFA", "GTA" oder "Call of Duty" kaufen, wird man sich nun mehr denn je direkt mit Sonys PlayStation 4 vergleichen lassen müssen. Große, fürsprechende Unterscheidungsmerkmale gibt es nicht mehr aufzuzählen. 

Das Problem: Auf die Hardware und die Kernfunktionen eines Spielsystems reduziert, ist Sony weit besser vorbereitet in das neue Konsolenrennen gestartet. Angefangen von der zwar nicht um Klassen besseren, aber sichtbar leistungsstärkeren und in jedem Test der Branchenseiten immer aufs Neue hervorgehobenen Hardware zum gleichen Preis, bis zu den vorausschauend umgarnten Indie- und Kleinherstellern und einer seit einem Jahr auf "Gaming" eingeschworenen Marketingkampagne hat der japanische Konzern alles richtig gemacht, um sich als Hort für Spieler zu positionieren. 

Identitätsverlust

Und so hat Microsoft mit der finalen Feature-Beschneidung der Xbox One zwar den Preis auf Augenhöhe gedrückt, aber auch die Identität seiner neuen Konsole aufs Spiel gesetzt. Was sagt man nun Konsumenten, die sich zwischen einem der beiden Plattformen entscheiden wollen? Wenn die PS4 schon seit über 12 Monaten für "Gaming" steht, wofür steht jetzt die "Xbox One" ohne ihre einstigen Allround-Ambitionen? Auch für Gaming?

Aber wird das genügen, um nicht nur die ideologische Kehrtwende zu schaffen, sondern auch den realen Marktvorsprung der Konkurrenz einholen zu können? Rund 7,5 Millionen Mal ging die PS4 bislang über die Ladentische, die Xbox One 4,5 Millionen Mal. Im vergangenen April verkaufte sich die PS4 selbst am US-Heimatmarkt der XBO zum vierten Monat in Folge besser. Schlimmer noch: Im April erging es der XBO schlechter als es der Xbox 360 bis dahin je im April ergangen war. Wenn Microsoft nicht bald den Anschluss schafft, droht die PS4 getragen vom Hype und der Mundpropaganda innerhalb der so stimmkräftigen Kernspielerschaft in den nächsten Jahren davonzuziehen.

Planlos

Eine Preissenkung ist eine logische Reaktion auf eine schwächelnde Nachfrage und, dass Microsoft so rasch reagiert, ist so bewundernswert wie erstaunlich. Doch wird es sich auf lange Sicht bezahlt machen, dafür all seine ursprünglichen Vorhaben über Bord zu werfen? Weshalb hat man nicht massiv in ansprechende Inhalte für Kinect investiert, wenn man es schon als "integralen Aspekt" einer neuen Konsolengeneration aus der Taufe hebt? Und wäre es langfristig nicht sinnvoller gewesen, in den sauren Apfel zu beißen, die Verluste zu schlucken und die XBO unverändert mit Kinect günstiger anzubieten? 

Von außen betrachtet, wirken die hastig umschwenkenden Visionäre hinter der XBO heute planloser denn je. Im Sinne des Wettbewerbs ist zu hoffen, dass sie ihr neues Ziel mit mehr Konsequenz verfolgen, als ihr bisheriges. PlayStation 4 darf dieses Ziel jedoch nicht heißen. Ein Jahr nach ihrer Erstvorstellung ist die Xbox One heute ein komplett anderes Produkt als einst geplant und benötigt dringender denn je eine neue, eigene Identität. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 17.5.2014)

Die Top 5 der Woche

  1. "Go": Das letzte Spiel, in dem Mensch über Computer triumphiert
  2. Microsoft reagiert auf PS4-Erfolg: Xbox One künftig ohne Kinect und 100 Euro billiger
  3. Rückblick: Mein Leben als virtueller "Soldat"
  4. "Bombshell": Das explosive neue Spiel der "Duke Nukem"-Schöpfer
  5. Xbox One: Wie Microsoft den großen Rückstand zur PlayStation 4 erklärt