Die vier Visegrad-Premiers Tusk, Orban, Fico und Sobotka (v. li.), im Hintergrund auf dem Bildschirm NATO-Generalsekretär Rasmussen.

Foto: Josef Kirchengast

Bratislava – Nicht nur in der EU, auch in der NATO hat die Ukraine-Krise eine heftige Debatte über die Konsequenzen für den Westen ausgelöst. Das wird auch auf der dreitägigen internationalen Sicherheitskonferenz Globsec in Bratislava deutlich, die am Freitag zu Ende geht.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte, Russland habe keinen einzigen Schritt zur Erfüllung der Genfer Vereinbarung über die Stabilisierung der Lage in der Ukraine getan – "im Gegenteil". Russland wolle "eine neue Interessensphäre etablieren", und das erfordere aufseiten der NATO "langfristige Lösungen". Was die NATO als Reaktion auf die Ukraine-Krise mache – etwa mehr Übungen in den osteuropäischen Mitgliedsländern –, seien alles defensive Maßnamen. Darüber hinaus aber gehe es um "glaubwürdige Kapazitäten".

Kürzungen "unhaltbar"

Russland habe sein Militärbudget in den vergangenen Jahren um mehr als zehn Prozent jährlich gesteigert. Demgegenüber hätten mehrere europäische NATO-Länder ihre Verteidigungsausgaben im gleichen Zeitraum um mehr als 20 Prozent, manche sogar um mehr als 40 Prozent verringert. "Und die Kürzungen waren besonders stark in Mittel- und Osteuropa. Das ist unhaltbar. Jetzt ist es an der Zeit, die Kürzungen zu stoppen und den Trend umzukehren." In Ländern wie Polen und Rumänien gebe es bereits Ansätze dafür.

Unter den vier Ländern der Visegrad-Gruppe (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) gehen die Meinungen darüber auseinander. Das wurde in der Diskussion der Regierungschefs deutlich. Der slowakische Premier Robert Fico schloss höhere Militärausgaben wegen Geldmangels aus. Polens Regierungschef Donald Tusk sagte dagegen, wenn es keine Bereitschaft gebe, die NATO-Präsenz an den östlichen Grenzen der EU zu verstärken, sei die vielbeschworene Solidarität nur ein Lippenbekenntnis. Der Ukraine-Konflikt stelle die europäische Solidarität auf eine größere Probe als die Eurokrise.

Orbán sieht Herausforderung für EU

"Das Verhalten Russlands ist eine viel größere Herausforderung für die EU, als wir zugeben wollen", sagte auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán. Er meinte es allerdings etwas anders als Tusk. Denn eine Konsequenz für Orbán ist eine strategische wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Russland und der EU "auf der Basis gemeinsamer Interessen". Deshalb unterstütze er auch die von Russland forcierte Southstream-Gaspipeline, nachdem die EU den "historischen Fehler" begangen habe, das Nabucco-Projekt aufzugeben.

Orbán wurde auch auf seine vor wenigen Tagen erhobene Forderung nach einer Autonomie für die rund 200.000 Menschen umfassende ungarische Volksgruppe in der Westukraine angesprochen. Dies hatte nicht nur bei der Regierung in Kiew, sondern auch innerhalb der EU, speziell in Polen, Irritationen ausgelöst. Bei seiner Antwort wechselte Orbán von Ungarisch auf Englisch und schwächte seine Position deutlich ab: Die Minderheiten in der Ukraine sollten selbst entscheiden, "welche Art von lokalen Institutionen sie haben und auf welche Weise sie Teil der Ukraine sein wollen". Jedenfalls sei es legitim, diese Frage aufzuwerfen, denn es sei derzeit offen, ob die Ukraine künftig eine demokratische Regierung haben werde.

Tusk hatte zuvor verstehen lassen, dass Orbáns Vorstoß der russischen Propaganda in die Hände arbeite. Nach der "Klarstellung" des ungarischen Premiers meinte er knapp, das sei nun "besser".

Spaltung Europas als Russlands Strategie?

Der polnische Regierungschef prangerte auch die seiner Ansicht nach verbreitete Heuchelei in der Ukraine-Krise an: Viele Leute (gemeint im Westen) täten so, "als wäre die Ukraine die Ursache der Krise und nicht die Politik Russlands".

Dazu hatte am Vortag auf der Konferenz ein früherer Vertrauter des russischen Präsidenten Waldimir Putin aufhorchen lassen. Andrej Illarionow, wirtschaftspolitischer Berater des Kremlchefs von 2000 bis 2005, sagte, die Ukraine-Krise sei in Wahrheit ein "russisch-ukrainischer Krieg" und dieser wiederum Teil eines weit größeren Konflikts. Putins Strategie sei es, den Westen in einen kontinentalen und einen angelsächsischen Teil zu spalten, mit Russland und Kontinentaleuropa auf der einen und den USA, Großbritannien und den sogenannten Frontstaaten (die drei baltischen Länder und Polen) auf der anderen Seite. (Josef Kirchengast aus Bratislava, derStandard.at, 15.5.2014)