Ferran Adrià (links) mit Bruder Albert beim Familienurlaub in jungen Jahren: Produkte von Großkonzernen (siehe Drinks) ließ er sich schon damals schmecken - die Kaisersemmel (rechts unten) aber hinterließ offenbar keinen bleibenden Eindruck.

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Colman Andrews: "Reinventing Food - Ferran Adrià: The Man who changed the way we eat", Phaidon Press London 2010, 359 S., EURO 25,99

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Ferran Adrià

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Dass die erste autorisierte Biografie des bald 50-jährigen katalanischen Überkochs auf Englisch erscheint und von einem US-amerikanischen Foodwriter verfasst wurde, darf als symptomatisch gelten: Die epochale Kraft, mit der Ferran Adrià in den vergangenen 15 Jahren alle Vorstellungen von feinem Essen über den Haufen geworfen hat, um eine neue, informelle, fantasievolle, spielerische, oft auch sehr kindische Idee vom Essen als Spektakel für alle Sinne zu entwickeln, wäre ohne begeisterte Mithilfe des anglophonen Gastrofeuilletons schlicht undenkbar gewesen. Ohne die New York Times, die ihn 2003 aufs Cover hievte und als Messias der Haute Cuisine feierte, ohne das Time Magazine, das ihn im Jahr darauf zu einem der "100 most influential people of the world" machte, ohne das britische Restaurant Magazine schließlich, das Adriàs Restaurant El Bulli 2005 und ab dann fünfmal hintereinander an die Spitze seiner ebenso umstrittenen wie global einflussreichen Liste der World's 50 best restaurants setzte - ohne diesen massiven Hype wäre aus Adrià wohl kaum jener Mythos geworden, der heute in einem Atemzug mit den Küchengöttern Brillat-Savarin, Escoffier oder Bocuse genannt wird. Das sieht zumindest Adrià selbst so: "Vor der New York Times", erklärte er Autor Colman Andrews, "waren wir einfach ein Restaurant. Nach dem Times-Artikel waren wir ein Mythos".

Labor zur Entwicklung neuer Ideen rund ums Essen

So weit, so gut. Im Juli 2011 (und nicht, wie bisher gedacht, schon kommenden Dezember) wird El Bulli seine Tore als Restaurant schließen und 2014 als Stiftung mit einem Labor zur Entwicklung neuer Ideen rund ums Essen wieder eröffnen. Ein Restaurant mit einem Küchenchef Ferran Adrià wird es, so Andrews, nicht mehr geben. Wer bis jetzt keinen Tisch ergattern konnte, dem wird dies mit ziemlicher Sicherheit für immer versagt bleiben - selbst, wenn Adrià plant, für zwei Monate im Jahr auch in der Stiftung ausgesuchte Gäste zu bewirten. Dass das auch daran liegen könnte, dass der Hype um die Molekularküche längst abgeebbt ist und Adrià den idealen Moment für ein Exit als unumstrittener König der kulinarischen Avantgarde nicht verpassen wollte, wird zumindest angedeutet.

Andrews' Buch ist eine über weite Strecken faszinierende Erzählung dessen, wie alles wurde. Wie Adrià als Schulabbrecher dringend Geld brauchte und nur durch Zufall in einer Hotelküche als Abwäscher begann - ein alles andere als glanzvoller Beginn einer epochalen Karriere. Wie er ins El Bulli kam und es nach Jahren als eher unauffälliger Co-Küchenchef den deutschen Besitzern abkaufte. Und wie er langsam daran ging, "die Art, wie wir essen erst in Frage zu stellen und dann neu zu entwerfen."

Über weite Strecken liest sich das Buch auch so, wie man das von einer autorisierten Biographie erwarten muss - voll der Bewunderung und Apologetik auch für jene Aspekte, denen eine kritische Beleuchtung gut getan hätte. Adriàs Consulting-Jobs etwa, die ihn immer wieder in lukrative Geschäftsbeziehung zu jenen Giganten der Lebensmittelindustrie brachte, deren chemische Helferlein er in seinen Gerichten auch verwendete - und damit (gewollt oder ungewollt) mit dem Siegel des gastronomisch Statthaften versah, wird nur kurz gestreift. Die Debatte um die Bekömmlichkeit mancher Zusätze, die Kochkollege Santi Santamaria vom Zaun gebrochen hatte, wird als Resultat persönlicher Animosität verniedlicht. Hier wäre ein kühler, ungetrübter Blick gefragt gewesen. (Severin Corti/Der Standard/rondo/10/09/2010)