"Dunkle" Fußgänger sind oft erst aus 25 Metern Entfernung zu sehen. Bei heller Kleidung sind es 40 Meter. Reflektierende Kleidung verdrei- bis vervierfacht das auf bis zu 150 Meter.

>>>Zur Ansichtssache: Erhellende Kleidung: Leuchten statt bellen

Foto: Rottenberg

Mitunter ist zu viel des Guten besser. Josef Essl weiß das: "Manchmal wollen mich Mountainbiker zur Rede stellen: Sie glauben, ich sei ein Auto." Dabei sitzt Essl selbst auf dem Bike. "Ich vergesse manchmal, das Licht runterzudrehen." Dabei sollte gerade der Tiroler wissen, wie hell er unterwegs ist: Essls Arbeitgeber, die Millser "Koch Alpin", vertreibt seit kurzem Outdoor-Lampen des US-Herstellers Light & Motion. Die kalifornischen Lichter heimsen zwar Funktionalitäts- und Nachhaltigkeitspreise ein, sind aber sauteuer. Schon das "kleinste" Stirnlamperl im Sortiment kostet 180 Euro: "Wenn jemand zweimal im Jahr am Abend spazieren geht, ist das absurd." Doch Nacht-Mountainbiken und nächtliches Skitourengehen sind im Trend. Essl kennt die Szene: "Auch für Trailrunner oder Bergretter sind Sicherheit und Verlässlichkeit keine Gimmicks, sondern Notwendigkeit."

Aber auch immer weniger Normalo-Läufer, Wanderer und Spaziergänger wollen sich von der Finsternis einschränken lassen: Sehen und Gesehenwerden wird dadurch zum Thema - und zum Markt.

Leben retten

Dem pflichtet auch Illari Dammert bei. Beim Schweizer Alpin-Konzern Mammut ist er für Stirnlampen und Lawinensuchgeräte verantwortlich - und rät zu Skepsis: Die Leuchtkraft der LEDs (der heute gängigen Leuchtdioden) wird in Lumen angegeben. "Aber die Optik rund um die LED kann die Leuchtkraft bis zu 40 Prozent verringern - und nicht alle Hersteller kommunizieren ehrlich." Auf große Marken, betont Dammert, sei aber durchwegs Verlass: "No-Name-Produkte sind meist nur zum Schein günstig." Das führt dann zu dem, was Josef Essl auffällt: "Viele sind mit Funseln unterwegs - und glauben, sie werden gesehen."

Apropos Sichtbarkeit: 40 Prozent aller Fußgängerunfälle, referiert Klaus Robatsch vom Kuratorium für Verkehrssicherheit, passieren im Dunkeln, obwohl da bloß 20 Prozent der Fußgänger unterwegs sind: "Es liegt also an der Sichtbarkeit." Denn in der Dämmerung oder bei Nacht sieht der Mensch bis zu 80 Prozent schlechter. "Dunkle" Fußgänger sind oft erst aus 25 Metern Entfernung zu sehen. Bei heller Kleidung sind es 40 Meter. Reflektierende Kleidung verdrei- bis -vierfacht das. Auf bis zu 150 Meter. Das kann Leben retten, denn bei 50 km/h beträgt der Anhalteweg eines Autos 24 Meter.

Kein Wunder, dass das KfV Reflektoren und "Blinkies" (anklippbare Blinklichter) liebt. Unwidersprochen: 78 Prozent der Österreicher glauben laut KfV, dass Reflektoren Sicherheit bringen. Geht es um Kinder, unterschreiben sogar 99 Prozent. Doch lediglich acht Prozent der Österreicher reflektieren zu Fuß im Dunkeln immer. Die Diskrepanz hat für 42 Prozent einen Namen: Eitelkeit. Die Zahlen, so Robatsch, "sind von 2006, aber noch aktuell" - auch wenn Sport-, Outdoor- und Kinderequipment immer öfter reflektierende Nähte, Zipper oder Applikationen haben - und es kaum Laufschuhe ohne Blinkpotenzial gibt.

"Nightlife Line"-Lauf-Kollektion

Brooks etwa hat eine komplette "Nightlife Line"-Lauf-Kollektion. Und Nike brachte mit der Nike Vapor Flash diesen Winter erstmals eine zur Gänze reflektierende Jacke. Ganzkörpergleißen wirkt eindrucksvoll, die "strategische" Platzierung von Reflektoren auf potenzieller Lichtquellenhöhe ist aber auch okay: Bei Erwachsenen am Bein, bei Kindern am ganzen Körper. State of the Art sei es, den Körper zu "skizzieren", erklärt Iris Staudecker, Bekleidungsexpertin bei Mammut: "Der Körper sollte an den Eckpunkten zu erkennen sein." Sich verändernde Winkel und Positionen erhöhen die Chance, Licht "einzufangen" - also werden die mit 50 Mikrometer (0,001 mm) kleinen Gaskugeln beschichteten Folien ("das ist pürierter Quarz", so Staudecker) an stark bewegten Stellen aufgedruckt.

Längst leuchten auch Vierbeiner: "Bei fünf von sechs Hunde-Unfällen, spielt Sichtbarkeit eine entscheidende Rolle. Jährlich sterben in Finnland 2000 Hunde durch Autos", erklärt Minna Karppinen vom Hunde-Ausstatter Hurrta. "Bei uns ist es lange dunkel - da lag die Idee eigentlich nahe:" Seit 2009 vertreibt die Finnin daher Halsbänder, Geschirre, Capes etc. Eines sucht man aber vergebens: Blinkhalsbänder. Von denen rät auch die Wiener Hundetrainerin Sabintheres Grabner ab: "Reflektoren sind super, aber aktive Blinklichter im Blickfeld irritieren die Tiere." Wofür Grabner aber plädiert, sind reflektierende Leinen: "So sehen auch Radfahrer, dass da etwas ist." Freilich nur unter einer Voraussetzung: ein Licht, das diese Bezeichnung verdient. (DER STANDARD, Rondo, 27.1.2012)