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Als einziger Journalist hat Glenn Greenwald Zugriff auf alle Dokumente des Whistleblowers Edward Snowden.

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Er wurde von Snowden vor einem Jahr kontaktiert, als dieser sein Material an Journalisten übergeben wollte - im Bild das Wiedersehen vor einigen Tagen in Moskau, wo sich Snowden derzeit aufhält (von links: Edward Snowden, Greenwalds Partner David Miranda, Glenn Greenwald, Filmemacherin Laura Poitras)

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Das Hauptquartier der NSA in Fort Meade, USA.

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Die Terroranschläge vom 11. September 2001 waren Anlass für eine massive Ausweitung der Überwachung durch die NSA.

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Greenwald empfiehlt unter anderem das auf Linux basierende Betriebssystem Tails.

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Österreich scheint in den Dokumenten als Kategorie-B-Staat ("Tier B") auf, der laut Greenwald gleichzeitig Partner und Opfer der NSA-Überwachung ist.

Auch als Third-Party-SIGINT-Partner findet Österreich Erwähnung, laut Greenwald soll es noch mehr bisher unveröffentlichte Folien über die Zusammenarbeit geben.

Greenwald vermutet stark, dass das IAEA-Hauptquartier in Wien ausgehorcht wird.

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Third-Party-SIGINT-Partner überwachen gemeinsam mit der NSA bestimmte Ziele.

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In einer Folie wird auch Wien zweimal erwähnt, hier geht es um überwachte Netzwerke.

In seinem Buch "Die globale Überwachung" fasst Greenwald die Ereignisse der vergangenen zwölf Monate zusammen.

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Als einziger Journalist hat Glenn Greenwald Zugriff auf alle Dokumente des Whistleblowers Edward Snowden. Im Gespräch mit dem STANDARD spricht er über die diskrete Zusammenarbeit zwischen Österreich und der NSA und kündigt weitere Enthüllungen an.

STANDARD: Warum sollte der durchschnittliche Bürger über die Aktivitäten der NSA besorgt sein - und macht er sich genug Sorgen?

Glenn Greenwald: Ich glaube, jeder versteht, dass man Privatsphäre braucht: Menschen versehen ihre Bade- und Schlafzimmertüren mit Schlössern, sie schützen ihre E-Mail- und Social-Media-Accounts mit Passwörtern. Menschen verstehen, wie wichtig ein Rückzugsort ist, an dem man nachdenken und etwas ausprobieren kann, ohne dass einem jemand dabei zusieht.

Sozialwissenschaftliche Studien belegen, dass sich Menschen weniger frei verhalten, wenn sie wissen, dass sie beobachtet werden. Viele Länder, europäische genauso wie die USA, haben Erfahrung damit, wie leicht Regierungen ihre Macht durch Überwachung missbrauchen können. Sie bauen ihre eigene Macht aus, indem sie Bürgerrechte verletzen. Ich glaube aber, dass Bürger auf der ganzen Welt hervorragend auf die NSA-Enthüllungen reagiert haben. Das Interesse ist nach wie vor hoch und hat meine Erwartungen weit übertroffen.

STANDARD: Reden wir über Österreich: Der österreichische Verteidigungsminister Gerald Klug hat lediglich bekanntgegeben, dass österreichische Geheimdienste "fallweise“ mit der NSA zusammenarbeiten. In Ihrem Buch wird Österreich allerdings als Land in der Tier-B-Kategorie und "Third Party SIGINT-Partner“ erwähnt, was nach einer langfristigen, ständigen Kooperation klingt?

Greenwald: Allgemein lässt sich sagen, dass die NSA mit Österreich genau wie mit anderen Ländern in diesen Kategorien zusammenarbeitet: für spezifische Ziele und diskret. Man sammelt vielleicht gemeinsam Daten aus Afghanistan oder nimmt bestimmte Organisationen ins Visier. Die NSA sieht Länder in der Tier-B-Kategorie aber primär als Überwachungsziel, nur sekundär als Partner.

Ich kann keine Details zu Dokumenten verraten, die noch nicht veröffentlicht wurden, aber: Es gibt eine Partnerschaft zwischen der NSA und Österreich, und zwar nicht nur "gelegentlich", sondern ständig. Die Kooperation ist allerdings diskret und für spezifische Ziele. Ich denke, dass zum Thema der Zusammenarbeit zwischen NSA und Österreich noch mehr folgen wird.

STANDARD: Es werden also noch Dokumente über die Kooperation zwischen Österreich und der NSA veröffentlicht werden?

Greenwald: Ich kann es nicht fix ankündigen, halte es aber für wahrscheinlich. Ich verstehe, dass die österreichische Bevölkerung auf mehr Informationen wartet und schätze das Interesse. Wir denken momentan darüber nach, wie wir die Anzahl der Journalisten, die Zugriff auf die Snowden-Dokumente haben, erweitern können, damit die Berichterstattung schneller erfolgt. Es braucht Zeit, sich mit der Situation in den jeweiligen Ländern auseinanderzusetzen, weswegen wir bevorzugt gemeinsam mit Journalisten aus den betroffenen Ländern zusammenarbeiten.

STANDARD: In Wien sind viele internationale Institutionen, etwa OPEC oder die UNO, beheimatet. Können Sie darüber sprechen, wie die NSA diese Ziele überwacht?

Greenwald: Ich kann hier aus den vorher genannten Gründen nicht ins Detail gehen, allgemein lässt sich sagen, dass die UNO und UNO-Unterorganisationen ins Visier genommen wurden. Es wäre also schockierend, würde die NSA nicht auch in Wien Organisationen wie die IAEA überwachen wollen.

STANDARD: Wie zieht man die Grenze zwischen einer gewissen Skepsis gegenüber den Handlungen und Aussagen der Regierung und Verschwörungstheorien? Was entgegen Sie beispielsweise Menschen, die den Hergang der Terroranschläge vom 11. September 2001 infrage stellen?

Greenwald: Das Wichtigste ist, dass jede Skepsis immer auf Beweisen gründen muss. Es ist absolut in Ordnung, Behauptungen der Regierungen oder von anderen Stellen mit Skepsis zu begegnen. Man sollte gar nichts glauben, ohne Beweise vorgelegt zu bekommen, die dann untersucht werden können. Mich beeindrucken weder Verschwörungstheoretiker noch Regierungsstatements, solange keine Beweise präsentiert werden.

STANDARD: Glauben Sie, dass die Angst vor einem weiteren Terroranschlag wie dem 11. September 2001 das Hauptmotiv für die Autorisierung der massiven NSA-Überwachung war? Noam Chomsky führt etwa aus, dass einer der Hauptgegner der staatlichen Autorität die eigene Bevölkerung ist, die kontrolliert werden müsse?

Greenwald: Wenn man sich den 9/11-Report ansieht, wird klar, dass die US-Regierung eigentlich über ausreichend Informationen verfügt hat, um die Attacke vorherzusagen. Sie konnten sie aber nicht verhindern, weil sie aufgrund der Menge an Daten unfähig waren, diese auszuwerten und zu verstehen.

Als Reaktion darauf fingen sie allerdings an, noch mehr Daten, ja alles zu sammeln. Das macht ungefähr so viel Sinn, als würde jemand, bei dem Lungenkrebs diagnostiziert wird, anfangen, jetzt fünf Schachteln Zigaretten mehr zu rauchen. Das Motiv hinter dem NSA-System ist teilweise wirtschaftlicher Natur, außerdem geht es um Macht. Ziel ist es, die Bevölkerung besser zu überwachen und zu kontrollieren, um sich vor Bedrohungen für die eigene Macht zu schützen.

STANDARD: Sollte die politische Führung, die für die Ausweitung der NSA-Überwachung verantwortlich war, strafrechtlich verfolgt werden? Etwa der ehemalige Präsident Bush oder sein Vizepräsident Dick Cheney, die der NSA erlaubten, die eigene Bevölkerung zu belauschen?

Greenwald: Man muss hier unterscheiden: Die NSA-Programme, von denen wir in den letzten Monaten berichtet haben, sind nicht deckungsgleich mit dem von Bush eingesetzten Programm, dass den Lauschangriff gegen US-Bürger erlaubt hat. Letzteres war eindeutig illegal, weil die Gespräche von US-Bürgern belauscht wurden, ohne die dafür nötige richterliche Anordnung einzuholen.

Das war genauso eindeutig ein Verbrechen wie all jene Taten, für die andere im Gefängnis sitzen. Wenn wir das Prinzip der Gleichheit vor dem Recht hätten, dann würden George W. Bush und andere Offizielle, die diese Dinge angeordnet und damit das Gesetz verletzt haben, im Gefängnis sitzen - aber so funktioniert die USA nicht. Die ökonomische und politische Elite wird nicht derart bestraft, wenn sie das Gesetz bricht.

STANDARD: Wie sehen Sie den Konflikt zwischen den USA und China, der vergangene Woche rund um das Thema Cyberspionage ausgebrochen ist?

Greenwald: Seit Beginn der Snowden-Enthüllungen hat es öffentlich keinen größeren Akt der Scheinheiligkeit gegeben. Dass die US-Regierung jemandem Wirtschaftsspionage und das Überschreiten einer imaginären "roten Linie" vorwirft - wo sie diese doch selbst oft überschritten hat. Es ist bemerkenswert, da die Snowden-Dokumente sich großteils mit Wirtschaftsspionage befassen und zeigen, dass die US-Regierung diese genauso betreibt.

STANDARD: Wenn Sie einen Tag lang NSA-Direktor wären, welches Spionage-Programm würden Sie ins Leben rufen? Wie kann legitime Überwachung aussehen?

Greenwald: Die wichtigste Unterscheidung ist jene zwischen gezielter und großflächiger Überwachung. Hört man jemanden ab, der aufgrund von Beweisen verdächtigt wird, in kriminelle Handlungen verwickelt zu sein, ist das etwas anderes als die willkürliche, nicht auf Verdachtsmomenten begründete Massenüberwachung.

Es ist niemals vertretbar, wenn Regierungen über jene Informationen sammeln, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen. Man kann darüber diskutieren, welche Verdächtigungen ausreichen, um eine Überwachung zu rechtfertigen, diese muss aber von einem Gericht erlaubt werden.

STANDARD: Wie kann eine Veränderung herbeigeführt werden? Liegt es an den Regierungen, dem US-Kongress; an großen IT-Konzernen wie Google oder Facebook oder kann die Bevölkerung, etwa durch die Verwendung von Verschlüsselungssoftware, das System verändern?

Greenwald: All diese Dinge sind ähnlich wichtig, um das Überwachungssystem aufzubrechen.

STANDARD: Zu welchen Tools raten Sie jemandem, der seine Daten schützen möchte?

Greenwald: Das Problem ist, dass es zwar sehr effektive Tools wie PGP-Verschlüsselung,  Tails oder den Tor-Browser gibt, diese sind aber meist zu kompliziert, um von der breiten Masse verwendet zu werden. Die Technikszene muss Programme schaffen, die einfacher zu handhaben sind - das wird auch passieren.

STANDARD: Eine letzte, persönliche Frage: Können Sie vielleicht darüber sprechen, wie Sie das letzte Jahr verändert hat? Setzt es Sie unter Druck, Zugang zu allen Snowden-Dokumenten zu haben?

Greenwald: Ja, natürlich verspürt man dadurch Druck. Klarerweise birgt es auch Risiken, hunderttausende Dokumente zu besitzen, die jeder Nachrichtendienst der Welt in die Hände kriegen möchte. Es gibt so manche Drohungen von Personen, die nicht mit deiner Vorgehensweise einverstanden sind. Und dann ist da noch der Druck, diese Dokumente so schnell wie möglich zu publizieren, damit die Welt umfassend informiert wird. Gleichzeitig halte ich an der Vorgehensweise fest, die ich mit meiner Quelle (Edward Snowden) ausgemacht habe und muss sicherstellen, der Regierung kein Geschenk zu machen, indem ich unverantwortlich oder waghalsig vorgehe.

Denn sollte jemand durch die Veröffentlichungen zu Schaden kommen, würde das die Glaubwürdigkeit der Sache untergraben und meiner Quelle sowie den Journalisten, die am Material arbeiten, schaden. Es ist ein Balanceakt, der sehr stressig ist - aber es ist die Art Journalismus, die ich mir wünsche, daher ist es das auf jeden Fall wert. (Das Gespräch führte Fabian Schmid, Mitarbeit: Markus Sulzbacher, DerStandard.at, 25.5. 2014)