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Wollen wir die Anerkennung vom Staat?

Foto: APA/Franziska Kraufmann

Heute war eine Mail im Briefkasten mit einem Hinweis auf einen Artikel über Versuche, auch Poly-Beziehungen der Ehe gleichzustellen. Ich hatte etwas ähnliches ja schon vor einer Weile hier im Blog gefordert (nämlich Lebenspartnerschaften für alle), aber nach den Debatten um IPED bin ich mir nicht mehr so sicher.

Inhaltlich finde ich es immer noch richtig, dass eine Gesellschaft es fördern sollte, wenn Menschen verantwortliche Lebenspartnerschaften miteinander gründen. Wenn ich mir aber anschaue, wie fruchtlos und schlagabtauschig häufig Debatten über Homosexualität ablaufen, und mir dann vorstelle, wie wir das Ganze demnächst nochmal am Fall Polyamorie durchlaufen, inklusive Talkshows und Feuilletons (und das wäre dann ja noch immer nicht das Ende der Debatte), dann grauselt es mir.

Energieverschwendung

Letzte Woche war ich bei einer Diskussion im Mailänder Frauenbuchladen, und hier in Italien gibt es offenbar ganz ähnliche Debatten und Konflikte. Also Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung von homosexuellen Paaren mit heterosexuellen einerseits, und konservativ-kirchlicher Gegenwind andererseits.

Von den Diskussionen ist bei mir ein Satz hängengeblieben, oder besser ein Wort, das fiel, nämlich, dass dieser Kampf “Energieverschwendung” sei. Und in der Tat: Wie sinnvoll ist es, sich in solche Debatten über Rechtfertigungen zu verwickeln, in deren Rahmen man beweisen muss, dass Homosexualität doch ganz harmlos sei?

Freiheit zu leben und zu lieben

“Wollen wir die Anerkennung von Papa Staat?” fragte Luisa Muraro in der Diskussion, “oder wollen wir, dass uns der Staat nicht reinredet?” Diese Unterscheidung ist sehr wichtig. Sich klarzumachen, dass es im Kern nicht um staatliche Anerkennung geht, sondern um Freiheit, nämlich die Freiheit, zu leben und zu lieben wie man will.

Das Ganze hat noch einen anderen Aspekt, der auch in dem oben verlinkten Artikel kurz angesprochen wird: Der Wunsch nach rechtlicher Anerkennung geht häufig mit einer besonders großen “Normalitätsbekundung” einher: Menschen, die homosexuell monogam leben, sind nicht unbedingt die enthusiastischsten Unterstützerinnen von Polyamorie, denn sie sind bemüht, zu beweisen, dass sie abgesehen vom Schwul- oder Lesbischsein ganz “normal” sind.

Freiheit von staatlicher Bevormundung

Das ist keine Anschuldigung, es liegt vielmehr in der Natur der Sache, dass der Wunsch nach Anerkennung die Tendenz zum Konformismus nach sich zieht. Und das muss auch so sein, denn ohne Zustimmung einer Mehrheit in der Bevölkerung bekommt man keine staatliche Anerkennung.

Deshalb wollte ich an dieser Stelle einfach mal wieder in Erinnerung rufen (denn neu ist der Gedanke ja nicht), dass es im Verhältnis von Lebens- und Liebesformen im Kern gerade nicht um den Wunsch nach Anerkennung seitens des Staates geht, sondern im Gegenteil: um die Freiheit von staatlicher Bevormundung.

Das heißt nicht, dass jetzt sofort alle Aktionen zur Durchsetzung rechtlicher Gleichstellung fallen gelassen werden müssen. Schließlich geht es hier auch um Geld, um Möglichkeiten, und so weiter. Aber sich klarzumachen, dass die staatliche Haltung zu Lebens- und Liebesformen nicht das “Eigentliche” betrifft, ermöglicht vielleicht, die damit einhergehenden Konflikte mit größerer Gelassenheit austragen zu können. Also die “Energieverschwendung” ein bisschen eindämmen, die mit dem Thema einhergeht (auch was die Kräfte und Ressourcen angeht).

Anhängerin der freien Liebe

Und es hätte natürlich den Charme, an historische feministische Forderungen anzuknüpfen, die nämlich von Anfang an die Abschaffung aller Ehegesetze propagierten. Schon 1871 sagte zum Beispiel Victoria Woodhull in einer Rede: "Ich bin eine Anhängerin der freien Liebe. Ich habe das unveräußerliche, verfassungsmäßige und natürliche Recht zu lieben wen ich will, so lang oder kurz wie ich kann, diese Liebe jeden Tag zu wechseln, wenn es mir gefällt, und niemand von euch und kein Gesetz hat das Recht, mir das zu verbieten." (Antje Schrupp, dieStandard.at, 26.6.2014)