Kultur und Bildung - einst die zwei Seiten der einen sozialdemokratischen Medaille.

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Rund um die heruntergekommene Freiluftarena ein nicht nur in die Jahre, sondern auch ins Gerede gekommenes Kulturhaus.

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Im Landtagswahlkampf 1977 warb die SPÖ offensiv mit ihrer in Beton gegossenen Kulturpolitik. Faksimile: Rettet das Mattersburger Kulturzentrum.

Im Burgenland wird gerade intensiv - na ja: aufgeregt über Kultursachen debattiert. Es sind ja unlängst nicht nur die Opernfestspiele im St. Margarethener Steinbruch in die Insolvenz geschlittert, was viele als ein Symptom beginnender Marktbereinigung in der österreichweit überbordenden Sommerfestspielerei sehen, die sich allmählich an den Gedanken gewöhnt, auch in Auffanggesellschaften zu denken.

Im 50. Jahr der roten Regentschaft im Burgenland - 1964 gewann die SPÖ erstmals eine Landtagswahl - hat man sich auch entschlossen, dem baulichen Grundstein der pannonischen Kulturpolitik mit der Abrissbirne zu Leibe zu rücken. Der seit 15 Jahren amtierende Kultur-(und Finanz- und Straßenbau-)Landesrat Helmut Bieler hat Ende Mai schon verkündet, man werde das Kulturzentrum in Mattersburg nicht sanieren, sondern neu bauen. Schon im September werde damit begonnen. Mit dem Abriss. Und mit der Planung.

Facebook-Widerstand

Dummerweise hat man im Taumel solch ungewohnter Entschlossenheit darauf vergessen, die Mieter der Immobilie vorzuwarnen. Die Volkshochschule, das Literaturhaus, das Gasthaus mit all seinen Ballveranstaltungen - sie alle müssen ihre Herbst-Winter-Planung in den Wind schreiben. Der Aufschrei war dementsprechend heftig. Eine Facebook-Gruppe hat im Handumdrehen mit dem Unterschriftensammeln begonnen.

ÖVP, FPÖ und Grüne sind erwartungsgemäß lautstark gegen den Bielerplan. Aber auch in der SPÖ, so hört man, konnte man schon den einen oder anderen mürrischen Gesichtsausdruck sehen. Landeskonservator Peter Adam überlegt gar die Unter-Denkmalschutz-Stellung des  Sichtbetongebäudes, das im Oktober 1976 feierlich eröffnet wurde.

So mancher befürchtet, dass, einmal abgerissen, die Jahre des Planens eine nicht ungewollte Gewöhnung ans Nichtvorhandensein zur Folge haben könnten. Und von der würden dann - so böse Mattersburger Zungen - die zwei jüngsten Kulturzentren profitieren. Das ein wenig gar groß geratene in Eisenstadt und das zur Ehre von Franz Liszt in die Abgeschiedenheit von Raiding hingestellte.

Lebensangelegenheit

Das Kulturzentrum Mattersburg ist das erste Haus, mit dem der damalige Kulturlandesrat Gerald Mader begonnen hat, die schon aus den 1920er-Jahren und Wien herrührende sozialdemokratische Kulturidee quasi in auch ländlichen Beton zu gießen. Theodor Kery war Landeshauptmann. Viel bedeutsamer aber war, dass der Burgenländer Fred Sinowatz umtriebiger, ärmelaufkrempelnder Unterrichts- und Kunstminister war. Und Sinowatz-Mader hatten eine ziemlich klare Vorstellung davon, wohin das Kulturschiff mit der sozialdemokratischer Takelage hinsegeln soll: mitten unter die Leute. Auch im ländlichen, kulturell ziemlich trockenen Umfeld. Ein Mittel dafür waren eben die Kulturzentren.

Mattersburg war das erste, das gebaut wurde. Es wäre deshalb fatal, es als bloßes Gebäude misszuverstehen. Die alten burgenländischen Kulturzentren - neben Mattersburg sind das die in Eisenstadt, Oberschützen und Güssing - sind die eingehauste Idee des einstigen sozialdemokratischen Kulturwollens, von dem sich die Volksbildung genauso wenig trennen ließ wie die Unterhaltung, die Erbauung, die Zerstreuung, die Erholung, aber - das vor allem - auch die kreative Selbstermächtigung.

Kultur, so verstanden es Gerald Mader und Fred Sinowatz, ist kein Angebot, sondern eine Lebensweise. Das mag blauäugig oder gar vermessen gewesen sein. Aber es war eben sozialdemokratisch. Gerald Mader schrieb zur Eröffnung, das Mattersburger Kulturzentrum "will die Kultur zur Lebensangelegenheit unserer Stadt, unserer Region, unseres ganzen Landes machen. Durch ein neues Kulturbewusstsein, das nicht am 19., sondern am 20. Jahrhundert orientiert ist.“ So betrachtet, wollte dieses Mattersburger Zentrum "ein Modell für ganz Österreich sein“, wie Sinowatz, der diesbezüglich Zuständige für ganz Österreich, erklärte. Weshalb er dann auch gleich geplant hatte, ein bundesweites Institut für politische Bildung hier einzurichten.

Bürgerversammlung

Dem heutigen Kulturzentrum fehlt also - jedenfalls gemessen an seiner Gründungsambition - mehr als bloß die Erfüllung jener strengen Brandschutzauflagen, die einen Neubau ökonomisch sinnvoller als eine Sanierung erscheinen lassen. Darüber aber wurde unlängst bei der Bürgerversammlung mit Helmut Bieler, bei der es hoch hin und her gegangen ist, nicht geredet. Dafür über vieles, das man unterm Titel "Vielleicht“ subsummieren könnte. Aber da ging es nur ums Haus. Nicht um dessen Innenleben.

Und das ist dann schon auch ein Modell für ganz Österreich. Der Sozialdemokratie ist nicht nur im Burgenland die kulturpolitische Luft ausgegangen. Teure Bühnen, die von eingekaufter Tourneeware bespielt werden, sind genauso wenig jenes kulturpolitische Animo, von dem Gerald Mader und Fred Sinowatz und all die anderen geredet haben wie die nunmehr an ihre Grenze stoßenden Sommerfestspiele.

PS: Friedenswurschteln

Der heute 88-jährige, bis vor wenigen Jahren noch höchst aktive Gerald Mader gründete 1982 das "Österreichische Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung" im südburgenländischen Stadtschlaining und 1988 dort auch die Europäische Friedensuniversität. Beide Projekte waren nicht minder getragen von einer tief in der alten Sozialdemokratie ankernden Ambition. Und entsprechend prekär wurschtelt Erste dahin. Und Zweiterer ist schon der Garaus gemacht worden.

P PS: Thespiskarren

Hinweis eines Ressortunzuständigen: Wen es im Juli noch gustert auf echtes, unprätentiöses Sommertheater mit dem Charme des Thespiskarren, der sollte sich auf den Kirchenplatz in Parndorf/Pandrof verschlagen lassen. Ein paar schnell aufgestellte Sitzreihen, ein paar Bretter als Welt, die Kirche als Kulisse und der Pfarrhof als Kantine. Theater, reduziert auf die pure Kunst der Mimen: das Verzaubern. Christian Spatzek und die Seinen nehmen dem Theater den aufgesetzten Pomp und geben ihm den Spaß an der Freud' am Spiel. Heuer im und mit dem "Lumpazivagabundus". (Wolfgang Weisgram, derStandard.at, 14.7.2014)