Manchmal soll es nicht sein. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Egal wie sehr man sich vorher gefreut hat. Egal wie sicher man war. Dass andere, weit stärkere Läufer am gleichen Problem scheiterten, ist nur ein kleiner Trost. Doch eigentlich braucht es den nicht: Alleine beim "Alpine Quattrathlon" dabei sein zu können war Strapazen, Scheitern und Magenkrämpfe am Schluss mehr als wert. Aber der Reihe nach

Es gibt Marken, an denen kommt man nicht vorbei. "Gore-Tex" ist eine davon: Ohne die Membran, die (vereinfacht) Feuchtigkeit nach außen dampfen, aber Nässe nicht zum Körper gelangen lässt, geht im Outdoorsportbereich heute wenig. Sogar dort, wo Nutzer Produkte von Mitbewerbern des US-Konzerns Gore verwenden, wird der Produktname längst als Gattungsbegriff verwendet. Wie Tempo.

Bevor Sie jetzt den Zeigefinger heben. Ja, der Event war eine Marketingveranstaltung. Denn Gore-Tex lädt immer wieder zu "Experience Tour"-Events. Skitouren, Bergsteigen, Segeln, Klettern zum Beispiel. Oder - wie in diesem Fall - Traillaufen, Rennradfahren, Mountainbike und Straßenlauf. "Vier Tage, vier Länder, vier Sportarten" stand in der Einladung.

Bloß: Es sind nicht Journalisten, um die es da geht. Sondern User. Heavy User. Leute, die vor allem die Funktion bewerten. Und gnadenlos sind, wenn etwas nix kann.

Diese Leute sind die besten Multiplikatoren. Weil sie glaubwürdig rüberkommen. Wenn man 50 davon aus tausenden Online-Bewerbern aus ganz Europa aussucht und in Warth, dem Startpunkt des "Quattrathlon" ordentlich ausstaffiert, ist Weihnachten im Schlaraffenland. Aber von dort geht man durch Himmel und Hölle.

Foto: © kelvintrautman|nikon|lexar for Gore

Trailrunning ist derzeit DAS große Thema der Laufszene. Im Gelände bei (fast) jedem Wetter im Laufschritt bergauf und bergab kann aber auch tatsächlich Einiges. Wenn man es kann.

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30 Kilometer und 1500 Höhenmeter waren dafür geplant. Von Warth nach Lech. Oben, am ausgesetzten Grat. Bloß: Outdoorsport ohne Hirn ist gefährlich. Und "Nein"-Sagen die schwerste Übung. Aber bei Unwetterwarnung disponiert man eben um.

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Weil: Es ist genug Landschaft da, um sich ordentlich auszupowern. 20 Kilometer und knapp über 1000 Höhenmeter sind für den ersten Tag ja auch ok.

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Und der Boden ist nach den Regengüssen der Nacht auch für die höchsten Ansprüche tief und matschig und rutschig genug.

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Außerdem geht es um nix. Weil der ganze Quattrathlon Event und nicht Wettkampf ist, läuft man mit - statt gegeneinander. Nur eines stimmt nicht: In der Gruppe friert man im Regen genauso wie solo - wenn man stehen bleibt. Bloß: Wer tut das schon? (Die Langfassung dieser ersten Etappe - inklusive Track - finden sie hier.)

Foto: Thomas Rottenberg

So mies (also zum Equipment passend) das Wetter am ersten Tag war, so schön war es am zweiten Tag. Rennradfahren. Von Lech zum Reschensee. Wir wurden mit Leih-Rennmaschinen ausgerüstet. Feine High-End-Geräte mit allem Pi-Pa-Po. Der Bock, auf den man mich setzte, haute mich aber zweimal um: Das Ding war nicht leicht - es bestand aus Antimaterie. Der zweite Flash: Ich fragte nach dem Preis. Immerhin nicht fünfstellig.

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Ich bin kein erfahrener Straßenrad-Fahrer. Und schon gar nicht am Berg: Sandrina Illes, meine Trainerin, hat mich in letzter Sekunde ein paar Hügel fahren lassen - aber 120 Kilometer mit 2000 Höhenmetern waren ein "First". "Geh es langsam an", war Illes Rat gewesen. Ich meldete mich für die dritte, langsamste, Gruppe - und bekam schon vor Zürs vom Guide einen Tritt: "Schau, dass Du nach vorne kommst. Ab in die Zweite."

Foto: Thomas Rottenberg

Den nächsten Rennradfahrer, der mich blöd anredet, weil ich auf meinem Rad ein kleines Rücklicht montiert habe, schicke ich in die Flexengalerie: Auf nassem Boden im Zwielicht von Autos knapp überholt zu werden während einem Reisebusse entgegen kommen, ist etwas, was ich nicht gerne "unsichtbar" mache: Wir hatten zwar Lichter, aber das war trotzdem mühsam.

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Den Arlberg hinunter braucht man kein Rücklicht. Wenn man das Hirn ein bisserl runterdreht, kann man mit den Autos mithalten. Und mit Hirn ist man immer noch schneller als der durchschnittliche niederländische Tourist, der sich im fünften Gang und mit rauchender Bremse den Berg hinunterfürchtet.

Foto: Thomas Rottenberg

Was ich noch nie getan habe: Windschatten fahren. Den Begriff "belgischer Kreisel" kannte ich nur aus dem TV - aber dass Fahren mit rotierend wechselnder Arbeit an der Spitze außer Spaß nur Spaß macht, muss man wohl erleben, bevor man es versteht. Wobei: Dem Vordermann bei 35 km/h bis drei Zentimeter aufs Hinterrad aufzufahren, braucht Überwindung.

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Wer hat eigentlich "Mühen der Ebene" erfunden? Niemand, der je versucht hat, eine Gruppe von geübten Berg-Radfahrern nicht zu verlieren, wenn sie mit lautem "Hurra" in die ersten Kehren des Reschenpasses fahren. Ich legte den Anstieg gemütlich an - und war baff, wie gut es mir ging: Wenn man statt auf den Ehrgeiz auf die Trainerin hört, kann sowas funktionieren.

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Wer oben ist, muss wieder runter. Und vom Reschenpass nach Nauders kann man es schön tuschen lassen.

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Wer danach von der Bundesstraße auf den Radweg wechselt, rollt zwar eine Spur langsamer dahin …

Foto: Thomas Rottenberg

… hat aber die schönere (und gleich lange) Strecke: Das hier ist schließlich kein Rennen.

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Deshalb wollten wir auch gemeinsam ins Etappenziel kommen: Den Reschensee entlang bummelten wir. Wegen der Landschaft. Und weil es sich irgendwie nicht ok angefühlt hätte, die teuren Leihbikes über den Schotterweg zu prügeln.

Foto: © kelvintrautman|nikon|lexar for Gore

Der Reschensee gilt als saukalt. Das ist er weiterhin. Er gilt auch als Süßwassersee. Ob er das jetzt noch ist, kann ich nicht sagen: Wir haben jedenfalls ein bisserl Salz eingebracht ….

(Die Langfassung der Rennradetappe gibt es hier.)

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Sonne und Wind können einem zusetzen. Aber ich war stolz auf mich: So war ich noch nie gefahren. Ich hätte es mir auch nie zugetraut: Ich war einer von sechs Journalisten, die die Veranstalter eingeladen hatten. Für uns galten nicht ganz so strenge Auswahlkriterien, wie für die "echten" Teilnehmer: Vier Journalisten waren von Fachmedien. Der sechste kam von einer französischen Männer- und Lifestylezeitschrift. Er sah nur zu, hielt uns für verrückt - und langweilte sich. "Uns"? Man wächst zusammen - auch wenn andere deutlich stärker laufen oder biken. Das macht solche Events aus.

Foto: © kelvintrautman|nikon|lexar for Gore

Nach dem Trail in Vorarlberg und der Straßenradlerei durch Tirol stand am dritten Tag im Südtiroler Vinschgau die dritte Etappe am Programm: Mountainbiken. Ich sagte ab. Ich bin noch nie im Gelände gefahren. Und kenne mich: Wo ich keine Ahnung habe, kompensier ich mit Übermut. Das endet in der Regel mit einem "Aua".

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Obwohl es mich dann schon juckte, als die Bande in St. Valentin aufbrach: Das Wetter wirkte bestellt: "Endlich: Gore-Tex-Wetter", hatte auf einer Skitourenwoche in Norwegen einmal ein Gore-Mann nach fünf Tagen Sonnenschein geradezu selig geseufzt, als es am sechsten Tag schneite, regnete und stürmte . Hier und heute war "Gore-Wetter": Es goss in Strömen.

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Nur: Es gibt tatsächlich kein schlechtes Wetter - sondern nur die falsche Ausrüstung.

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Und auch Menschen, die keine Frischluftfanatiker sind werden zugeben, dass Wald und Dunst und Regen eine magische Kombination sind.

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Wobei Magie das Eine ist - und Dreck das Andere: Aber man geht ja auch nicht Mountainbiken, um sauber zu bleiben.

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Außerdem macht Gatschhupfen glücklich. Als Erwachsener traut man sich aber nimmer zuzugeben, wie schön es war als Kind in jede Lacke zu springen.

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Mit Gummistiefeln. Also der richtigen Ausrüstung. Mountainbiken bei Regen ist der Gummistiefelersatz für Erwachsene.

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Sie haben es vermutlich eh geahnt: Ich konnte es nicht lassen: Eigentlich wollte ich am Scheitelpunkt der Route nur Fotos machen. Aber ich schnappte mir dann doch ein Rad - um zumindest runter Spaß zu haben. Den hatte ich auch. Und keine Ahnung. Das Fazit ist wenig überraschend: Blutiges Knie, geprellte Kniescheibe, angeschlagener Ellenbogen, Kratzer am Helm, zerfetzte Beinlinge und eine kaputte Kamerahülle. Das Rad blieb heil. Das wäre mir sonst peinlich gewesen.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Anderen kamen alle (fast) unversehrt durch. Das lerne ich noch! (Auch hier gibt es eine Langfassung zur Etappe.)

Foto: © kelvintrautman|nikon|lexar for Gore

Radfahren lässt sich nicht nur fotografieren, sondern auch filmen. (Das Material stammt zum Teil von Ronny Silze, einem der deutschen Teilnehmer des Events.)

thomas rottenberg

Vierter Tag, vierte Aufgabe: 30 Kilometer Straßenlauf. Die Übung machte mir keine Angst: 30 Kilometer bin ich schon öfter gelaufen. Gezielt. Oder weil es sich ergeben hat: 30 ist nur eine Zahl. Ich freute mich, mir eine der schönsten Gegenden Südtirols zu erlaufen: Von Mals nach Latsch.

Foto: Thomas Rottenberg

Start war um sieben Uhr Früh. Gut so: Dann werde ich etwa bis 10 unterwegs sein - und an einem schönen Sommersonntag die Sonne rauskommen sehen, aber nicht verglühen.

Ein bisserl zwickt beim Frühstück der Magen - aber vermutlich esse ich zu schnell. Und bin vielleicht doch nervös.

Bloß: Ronny, der Mountainbike-Filmer, fragt mich ob ich Kohletabletten hätte. Er hat die ganze Nacht über der Kloschüssel gehangen. So wie einer der Italiener. Beide tun mir leid. Beide starten.

Foto: © kelvintrautman|nikon|lexar for Gore

Der Rad- und Wanderweg nach Meran ist asphaltiert und geht zuerst steil und dann sanft bergab. Wir geben Gas: Kaltstarts bergab sind nicht schlau - machen aber Spaß. Und dafür sind wir hier.

Foto: © kelvintrautman|nikon|lexar for Gore

Der Schlussteil ist ein Kindergeburtstag. Dementsprechend entspannt gehen wir es an: Handys bleiben daheim. Wasserflaschen auch. Wasser, heißt es, gäbe es unterwegs überall. Bei 30 Kilometern sind 170 Meter Anstieg nix: Jedes Brückerl bedeutet ein paar Meter - und wir laufen einen Fluss entlang …

Foto: © kelvintrautman|nikon|lexar for Gore

Schlösser, Burgen, Berge, Apfelbäume und Wein. Ein Traum! Nach und nach knabbert sich die Sonne durch die Wolkendecke. Je weiter flußabwärts ich komme, um so weiter wird das Tal. Und umso schöner der Lauf. Mein Tempo ist hoch. Höher als geplant. Mir geht es gut. Noch.

Bei Kilometer sieben verwandelt sich das leichte Grummeln im Bauch in massive Krämpfe. Zum Glück habe ich eine kleine Wasserflasche mit. Aber: Von den Brunnen fehlt jede Spur. Macht nix: Auf der Hälfte der Streck soll es eine Versorgungsstation geben.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Hälfte von 30 ist 15. Aber bei Kilometer 15 ist keine Futterstelle. Ich habe unterwegs einen Portugiesen eingesammelt, der knapp am Eingehen war: Kein Wasser. Ich gebe ihm die letzten Schlucke aus meiner Flasche.

Wir laufen weiter - und glauben schon, dass wir uns verlaufen haben, als bei Kilometer 19 doch noch die Station auftaucht. In meinem Magen fuhrwerkt jemand mit der Kettensäge.

Foto: © kelvintrautman|nikon|lexar for Gore

Während ich überlege, ob ich aufgeben soll, kommt Chantelle daher. Die kanadische Ultraläuferin war doch die ganze Zeit vor mir! "Ich habe was mit dem Magen. Ich habe fünfmal Pause machen müssen." Ronny, der Italiener, die Kanadierin: Das klingt nicht nach Nervosität.

Foto: Thomas Rottenberg

Ich will weiterlaufen: Die Landschaft. Das Wetter. Die Leute. Das bisserl Bauchweh drücke ich über elf Kilometer weg.

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Ich bin schon im Begriff los zu laufen, als eine Südtiroler Triathletin daherkommt: "Ich kenne die Strecke. Das sind mehr als elf Kilometer bis Latsch. Da bin ich mir sicher."

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Ausnahmsweise tue ich nicht das, was ich will. Ich bin vernünftig: "Ich bin raus." Vermutlich die beste Entscheidung, seit ich das erste Mal Laufschuhe angezogen habe: Zehn Minuten später schaffe ich es kaum mehr bis zu den Bäumen.

Ich hatte trotzdem Glück: Der Versorgungspunkt lag tatsächlich auf halber Strecke - nur hatte sich der Routenplaner vermessen. Statt 30 war die Etappe 38 Kilometer lang.

Foto: Thomas Rottenberg

Das schaffte und zermürbte dann auch die stärksten Läufer. Ich war nicht der einzige, der nicht durchkam.

Trotzdem sah sich keiner als Verlierer. Im Gegenteil: Im Ziel grinsten alle. Und obwohl ich immer noch hoffte, dass mich jemand erschießen würde, falls mein Magen sich wieder melden würde, fühlte ich mich großartig:

Drei Tage mit für mich außerordentlichen Belastungen hatte ich mehr als gut weggesteckt. Eine Menge toller Menschen kennen gelernt. Mit Leuten Zeit verbracht, die Leistungen bringen, die mir unerreichbar schienen - und trotzdem hatte ich mit etlichen von ihnen gut mithalten können. Ich hatte meine Grenzen verschoben - weil ich es probierte. Das einzige, was ich verloren hatte, würde ich nicht vermissen: Die Angst davor, einen Schritt weiter zu gehen, als ich es mir gestern zugetraut hatte.

Sowas kann auch danebengehen. Aus 1.000 Gründen. Das ist aber okay. Denn die einzige Garantie dafür, nie zu stolpern, heißt: nicht aufstehen. Liegen bleiben. Nie erleben, wie es sich anfühlt, einen ersten Schritt gemacht zu haben. Und dann noch einen. Und noch einen. (Die Langfassung dieser Etappe hier.) (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 31.7.2014)


Was Rottenberg noch so treibt?

derrottenberg.com

Disclaimer:

Die Teilnahme an der "Gore-Tex Experience Tour" war eine Einladung von Gore-Tex. Bekleidung und Schuhe wurden den Teilnehmern von Gore und Asics zur Verfügung gestellt. Das Material konnte nach dem Event gekauft werden. Die Helme stellte Uvex, die Fahrräder kamen von Felt-Bicycles.

Foto: © kelvintrautman|nikon|lexar for Gore