Dietmar Dath, Oliver Scheibler
Mensch wie Gras wie

Graphic Novel, Hardcover
Verbrecher Verlag, Berlin 2014
208 Seiten, 24 Euro

Foto: Verbrecher Verlag

Es geht um "Forschung, Technik, Geld und Liebe", kündigt der Prolog etwas großspurig an. Aha. Um danach die gesamte Story von "Mensch wie Gras wie" zusammenzufassen – eine ziemlich überflüssige Erklärung, sollte ein Comic doch für sich selbst sprechen, ganz ohne Bedienungsanleitung. Was diese Graphic Novel auch tut. Denn was folgt, ist ein fesselndes Bildgewitter, das die tatsächlich manchmal etwas plakativ daherkommende Geschichte nicht einbremsen kann.

Doch von Anfang an: Elin Elwert ist eine äußerst erfolgreiche Biologin, die nach drei Jahren Forschung an Mäusen in Japan vom zwielichtigen Investor Farczády an Bord eines in Frankfurt operierenden Unternehmens geholt wird, das an gentechnisch veränderten Gräsern arbeitet. Die sollen dereinst sowohl die Pharma- als auch die Nahrungsmittelindustrie revolutionieren und nebenbei das Hungerproblem in der Welt lösen.

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Foto: Dath, Scheibler/Verbrecher Verlag

Zurück in Deutschland wird Elin, die mit dem Bioinformatiker Thomas ein geordnetes Leben führt, von ihrer Vergangenheit eingeholt. Mit ihrem transsexuellen Freund Martin/Martina verbindet sie eine lange, komplizierte Beziehung. Martin/Martina hat aber auch den Schlüssel zu einer dunklen Zukunftsvision, die sich im Lauf der Story aus einem verworrenen Knäuel aus Verschwörungen, seelischen Verletzungen und knallharten Machtverhältnissen herausschält.

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Foto: Dath, Scheibler/Verbrecher Verlag

Der Autor dieses in einer unbestimmten nahen Zukunft angesiedelten Plots ist kein Unbekannter: Dietmar Dath ist einer der umtriebigsten deutschen Schriftsteller und als ehemaliger "Spex"-Chefredakteur und "FAZ"-Redakteur mit allen Genre-Wassern gewaschen. Nun hat er sich zum ersten Mal auf Comic-Terrain gewagt – und mit ihm auch der sympathische Berliner Verbrecher-Verlag. Das Ergebnis ist ein gelungenes Experiment, was nicht zuletzt den großartigen Zeichnungen des bisher eher im Underground arbeitenden Grafikers Oliver Scheibler zu verdanken ist.

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Foto: Dath, Scheibler/Verbrecher Verlag

Scheibler reizt das Medium bis zum Äußersten aus: Großformatige, über ganze (Doppel-)Seiten ausgedehnte Bilder sprengen jeglichen Rahmen der Comic-Konvention. Die Stile fluktuieren je nach Stimmungslage zwischen klaren Linien, naturalistischer Illustration, Japan-Ästhetik und Pop-Art. Einmal sind die Bilder prall überzeichnet wie bei Robert Crumb, ein andermal springt aus ihnen der blanke Horror eines Charles Burns. Mythologische Fabelwesen tauchen auf, Manga-Figuren und verstörende Stillleben – und immer wieder Gras, in allen erdenklichen Perspektiven.

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Foto: Dath, Scheibler/Verbrecher Verlag

Es entsteht ein zuweilen traumähnlicher Assoziationsstrudel, unterbrochen durch Rückblenden und durchaus konsistente Handlungsstränge. Und trotz aller Vielfalt bleibt "Mensch wie Gras wie" eine Einheit, trägt eine Handschrift. Zitate, Anspielungen und Metaphern von Fukushima bis Brahms (der Titel "Mensch wie Gras wie" ist ein Bibelzitat aus dessen "Deutschem Requiem") machen das Ganze ein wenig zu einem Bilderrätsel für Intellektuelle.

Diesem Anspruch scheinen auch die angehängten, sehr umfangreichen "Liner Notes" genügen zu wollen, in denen sich Dath über das Schreiben, die Liebe und sich selbst im Allgemeinen sowie das Comic im Besonderen auslässt – leider ebenso überflüssig wie der Prolog.

Nichtsdestotrotz bleibt das Buch hohe Comic-Kunst – nicht nur für Gentechnikphobiker. (Karin Krichmayr, derStandard.at, 8.10.2014)