Wien wird in den nächsten 15 Jahren um die Einwohnerzahl von Graz anwachsen: Die zweitgrößte Stadt Österreichs hat rund 250.000 Einwohner.

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Prognosen für drei Beispielbezirke

Wien - Allein in Wien-Leopoldstadt wird die Bevölkerung bis zum Jahr 2034 zahlenmäßig um rund 21.000 Personen wachsen. In Bezirken wie Donaustadt, Brigittenau oder Favoriten wird es in den nächsten zwei Jahrzehnten ebenfalls deutliche Zugewinne geben; und obwohl Hietzing oder die Innere Stadt schrumpfen, wird Wien im Jahr 2029 insgesamt zwei Millionen Einwohner haben. In 15 Jahren werden also rund 250.000 Menschen mehr in Wien leben. Das sind fast so viele Einwohner, wie Graz - die zweitgrößte Stadt Österreichs - hat.

Ging man bisher davon aus (Hauptszenario der Statistik Austria), dass Wien die Zwei-Millionen-Marke erst 2034 überschreiten wird, zeigen aktuelle Berechnungen der Stadt Wien (MA 23), die dem STANDARD vorliegen, dass es schon 2029 so weit sein wird.

Mit dem Bevölkerungszuwachs wird sich auch die demografische Struktur der Stadt ändern: Wien wird jünger und älter zugleich. Der aktuellen Prognose zufolge wird die Anzahl der über 65-Jährigen allein bis 2020 um rund 31 Prozent ansteigen, die Anzahl der unter 14-Jährigen um etwa 24 Prozent. Es wird aber nur etwa acht Prozent Zuwachs im Segment der 15- bis 64-Jährigen geben.

2012 wurden in Wien so viele Kinder geboren wie seit 1969 nicht mehr. Immer mehr junge Menschen - und damit potenzielle Mütter - zieht es aus den Bundesländern nach Wien, und rund drei Viertel aller Zuwanderer aus dem Ausland sind jünger als 29. Die Babyboomer hingegen werden 2030 im Pensionsalter sein. Die erwerbstätige Generation wird in Zukunft also noch mehr auf staatliche Einrichtungen für Kinderbetreuung und Altenpflege angewiesen sein.

Am stärksten wachsende Stadt Mittel- und Osteuropas

Wien ist nicht nur innerhalb von Österreich, sondern in Mittel- und Osteuropa überhaupt die am stärksten wachsende Stadt. Zuwanderer kommen aus den Bundesländern, aber auch aus dem Ausland: 2013 vor allem Ungarn, Polen und Deutsche.

Wie die Migrationsströme künftig aussehen werden, lässt sich aber schwer prognostizieren. Viele - vor allem geopolitische - Faktoren spielen hier eine Rolle, sagt Rudolf Giffinger vom Fachbereich Stadtforschung an der TU Wien. Durch die Ukraine-Krise etwa sei eine neue Situation entstanden.

Für die Stadtpolitik ist die demografische Struktur essenziell. Von ihr hängen nicht zuletzt der Bildungs- und Gesundheitsbereich, die Arbeitsplatzsituation, das Bestattungswesen, Wohnraum, Energie- und Verkehrsnetz ab.

Zehn Asperns

Giffinger sieht Aufholbedarf, etwa was die Schaffung neuen Wohnraums betrifft: "Die Seestadt Aspern trägt etwa 20.000 Einwohner. Jetzt reden wir aber über 250.000 Menschen, die bald in die Stadt kommen." Eigentlich, sagt er, brauchte man zehn Asperns.

Andreas Trisko, Leiter der Magistratsabteilung für Stadtentwicklung und -planung (MA 18), sieht das anders: Die Stadt rechne mit einem Bedarf von 120.000 Wohnungen und werde diesen bis 2025 decken. Es werde so viel gebaut, dass viele bereits von einer zweiten Gründerzeit sprechen würden.

TU-Professor Giffinger kritisiert auch die monozentrale Auslegung der Stadt. Wien müsse stärker polyzentrisch angelegt werden - also mehrere Stadtzentren forcieren - und mehr über die Stadtgrenzen hinaus denken, sonst könne die Stadt Entwicklungsprobleme bekommen: "Die großen strategischen Konzepte fehlen. Der Speckgürtel ist die Konsequenz einer ungeordneten stadtregionalen Entwicklung."

Schon einmal zwei Millionen

Polyzentrismus sei eine schlüssige Theorie, sagt auch MA-18-Leiter Trisko. Er sehe das Thema aber nicht so kritisch, denn Wien sei aus vielen verschiedenen Ortszentren entstanden und biete deshalb einen guten Ausgangspunkt. Die Stadt bemühe sich bereits darum, diese vorhandenen Zentren auszubauen und deren Versorgungsqualität zu verbessern.

Lässt sich Wachstum steuern? Die Entscheidung Einzelner zuzuziehen wird von der Infrastruktur beeinflusst. Bewusst steuern kann eine Stadt nur, wo die Zugezogenen wohnen und arbeiten werden, nicht aber, wie viele kommen.

Wien hat zumindest den Vorteil, dass es 1910 schon einmal eine Zwei-Millionen-Stadt war. Bei der Infrastruktur gibt es Vorleistungen, die inzwischen mehr als hundert Jahre alt sind - etwa das Kanalnetz oder die Trassen der ehemaligen Stadtbahn. (Christa Minkin, Rosa Winkler-Hermaden, DER STANDARD, 18.8.2014)