Imposante Kulisse bei ernsten Gesprächen: Die Gesundheitsgespräche machen den Auftakt beim Europäischen Forum in Alpbach. In den Pausen darf gewandert werden.

Foto: Luzia Puiu

Alpbach - Der Körper als Quelle für Millionen Daten. So stellen sich Forscher, Pharmaunternehmen, aber auch Gesundheitsökonomen die Zukunft der Medizin und des Gesundheitswesens vor. Riesige Datenmengen geben Aufschlüsse über unser Verhalten. Genetische Codes entschlüsseln die biologischen Determinanten des Lebens. Die Hirnforschung stellt funktionelle Abläufe des Denkens dar.

"Die neuen Technologien transformieren die Medizin", brachte es gestern zum Auftakt der Gesundheitsgespräche beim Forum Alpbach der US-Experte John Quackenbush auf den Punkt. Er ist Professor of Computational Biology and Bioinformatics im Institut für Biostatistik an der Harvard School of Public Health in Cambridge. Zusammen mit anderen Spezialisten diskutierte er die vielen neuen Möglichkeiten, aber auch die Frage, wie wir mit diesen umfassenden Informationen verantwortungsvoll und ethisch vertretbar umgehen können, ohne das Potenzial der Möglichkeiten einzuschränken.

Zentrale Herausforderung sei es, die Daten zusammenzubringen, um die Effizienz zu steigern und Ergebnisse zu verbessern. Dazu müsse man Milliarden investieren, um Daten zu sammeln, aufzubewahren und zu managen. Dabei gibt es in Forschung sowie via Internet und Social Media schon heute enorme Datenmengen hinsichtlich Faktoren, die die Gesundheit der Menschen beeinflussen, sagte Han Brunner, Chef des Instituts für Humangenetik an der Radboud Universiteit Nijmegen in den Niederlanden.

Riesige Datenarchive

Wie das konkret funktioniert, zeigt sich am Beispiel von Alzheimer und Demenz. Hier gibt es bereits aus den verschiedensten Bereichen wie der Medizin, der Neuropsychologie, der Genomforschung und nicht zuletzt der Mathematik und Informatik "wunderbare Fakten in riesigen Datenarchiven", sagte der Mediziner Richard Frackowiak vom Universitätsspital Lausanne (CHUV).

Dennoch liege bei der Erkrankung noch vieles im Dunkeln, so der Experte: "Wir wissen nicht, wie man präventiv agieren kann, welche Rolle die Gene spielen oder ob und wie Erkenntnisse aus dem Tierbereich übertragbar sind." Die Forschung produziere exponentiell steigende Datenmengen, das Verständnis für die vielen Informationen fehle aber oft noch.

Hier setzt das Human Brain Project (HBP) der Europäischen Kommission an, sagt dessen Kodirektor Frackowiak. Es soll das gesamte Wissen über das menschliche Gehirn zusammenfassen und mithilfe computerbasierter Modelle und Simulationen nachbilden.

Als Folge davon werden neue Erkenntnisse über das menschliche Hirn und seine Erkrankungen sowie neue Computer- und Robotertechnologien erwartet. An dem Großprojekt sind mehr als 80 europäische und internationale Forschungseinrichtungen beteiligt. Es ist auf zehn Jahre ausgelegt und wird mehr als eine Milliarde Euro kosten. Eingebunden sind auch österreichische Forschungseinrichtungen - so etwa das Institute of Science and Technology Austria (Ista), das Institut für Grundlagen der Informationsverarbeitung der Technischen Universität Graz und die Abteilung für Experimentelle Psychiatrie an der Medizinischen Universität Innsbruck. Der Ansatz dabei: "Baue es, dann verstehst du es" , oder anders formuliert: eine Simulation des menschlichen Gehirns am Computer.

"Wenn wir ein biologisches Verständnis über Zusammenhänge und Funktionen haben, können wir zur Pharmaindustrie gehen und fragen, wie man gemeinsam Medikamente entwickeln kann", skizziert Frackowiak die Idee. Wie komplex das freilich ist, zeigt sich an den Forschungen aus der Vergangenheit: Im Vorgängerprojekt des HBP, dem sogenannten Blue Brain Project, verschlangen bereits die Berechnungen für ein einziges Neuron die Kapazitäten eines Laptops. Nicht zuletzt deshalb sieht Quackenbush in der Interpretation der Daten große Herausforderungen: "Big Data allein ist kein Allheilmittel." Man müsse dann die Daten wieder an jedes Individuum anpassen und analysieren, warum manche Menschen anders reagieren als andere.

Mehr als 100.000 Apps

Zusätzliche Fragen für das Gesundheitswesen wirft der Umgang mit dem Sammeln von Daten via Social Media und Apps durch private Unternehmen auf. Zuletzt warnte bereits die EU vor den Folgen des Datensammelns durch bereits mehr als 100.000 Gesundheits-Apps. Josef Probst, Generaldirektor des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, fordert im Standard-Interview mehr Transparenz. Gleichzeitig müsse bei öffentlich finanzierten Forschungen und Großprojekten sichergestellt werden, dass die Profite dann auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Er wünscht sich eine offene, patentfreie Forschung.

Auch Pharmig-Präsident Robin Rumler wünscht sich mehr Mut im Umgang mit neuen Technologien und Kommunikationswegen, sieht aber eben auch die Pharmaindustrie als Motor für Innovation, die entsprechend honoriert werden müsse.

Als Beispiel erinnerte er daran, dass HIV zu Beginn der 90er-Jahre noch ein Todesurteil war, heute aber eine chronische Krankheit ist - und zwar durch engagierte Arzneimittelforschung. "Wir forschen jetzt und auch in Zukunft weiter an innovativen Therapien und beschreiten mit der personalisierten Medizin völlig neue Wege", sagte Rumler. Nicht zuletzt deshalb brauche es auch eine gemeinsame Weiterentwicklung des Gesundheitswesens, um die neuen Möglichkeiten auch allen Patienten zur Verfügung stellen zu können. (Martin Rümmele/Ina Schriebl, DER STANDARD, 19.8.2014)