Florian Flicker starb am Samstag in Wien.

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Wien – Wenn man Florian Flicker zu Gesprächen über seine Filme traf, dann begegnete man einem, der stets mit Bedacht auf Genauigkeit agierte, sich in den Haarschopf griff, während er überlegte. Aber wenn man sich darüber verständigt hatte, was eine Formulierung nun bedeutete, wich der grüblerische Ausdruck oft einem freundlichen, schiefen Grinser.

Flickers Weg führte nicht über eine Filmschule zum Filmemachen. Der 1965 geborene Oberösterreicher drehte als Autodidakt zunächst kurze Arbeiten auf Super-8, die Titel trugen wie Colors Farben Couleurs oder Landscape, und war in Salzburg, Hamburg und ab Ende der 80er-Jahre schließlich in Wien Teil von Kollektiven, die Expanded Cinema Unternehmungen betrieben, Räume mit Bildern, Sounds und Musik bespielten.

Schräge Zukunftsvision

Aus der Praxis kreativer Nachtarbeit entstand die Idee zu einem Drehbuch – zunächst hätte es, schrieb Flicker später, ein "Dokumentarfilm über eine fiktive Situation" werden sollen. Am Ende ist es ein Spielfilm namens Halbe Welt (1993), eine schräge Zukunftsvision, in der sich die Menschen von der todbringenden Sonne und einer Überwachungsfirma namens Luna gleichermaßen bedroht sehen. Vor der Kamera von Jerzy Palacz agierte damals unter anderem auch ein gewisser Karl Markovics. Halbe Welt wurde international wahrgenommen, in Wien hatte die Science-Fiction mit experimentellem Einschlag bald Kultstatus.

Preisgekrönte Kinofilme

Flickers erste große Spielfilmproduktion Suzie Washington eröffnete dann 1998 die erste Grazer Diagonale und erhielt am Ende den Großen Spielfilmpreis des Festivals – ein Aufbruch in doppeltem Sinn. Flickers Porträt einer von Birgit Doll mit großer Intensität verkörperten Frau auf der Flucht war der zum damaligen Zeitpunkt ungewöhnliche Versuch, Genrekino und Sozialrealismus zusammenzuführen: Wenn die Reisende ohne Papiere am Flughafen Schwechat die Gunst des Moments nutzt und ausbüchst, über Land flüchtet, dann bedient dies formal aufs Schönste die Erfordernisse eines Spannungsfilms. Zugleich wird die Migrantin als Heldin entworfen, die sich in einer von Männern definierten feindlichen Umgebung behauptet.

Das Genrekino blieb ein wichtiger Rahmen und Reibebaum für Flickers auf Figuren und Handlungsräume konzentrierte Filmerzählungen: Für seine nächste Arbeit, das tragikomische Kammerspiel Der Überfall (2000) besetzte er mit Roland Düringer und Josef Hader zwei Stars des gerade florierenden "Kabarettfilms". Man habe ihn umgehend gefragt, erzählte er damals, ob er jetzt einen "Kommerzfilm" drehen wolle – zu zeigen, dass „diese Schubladen Blödsinn sind“, sei eine Herausforderung gewesen. Die Idee ging auf, der Film hatte beim Festival in Locarno Premiere und war auch beim heimischen Publikum sehr erfolgreich.

Exkurse zu Theater und Wildwest

Bis zum nächsten Film vergingen trotzdem etliche Jahre. Flicker unterrichtete – unter anderem an der Filmakademie. Er führte Regie am Wiener Schauspielhaus ("eine große Erfahrung in menschlicher Hinsicht"). Er verlegte sich mehr aufs Schreiben und aufs Beobachten, was zu präzisen (Reise-)Reportagen aus der nahen und ferneren Umgebung führte, die auch im STANDARD erschienen und beispielsweise die Frage beantworteten "wie klingt der Weihnachtseinkauf".

Flickers Dokumentarfilm No Name City, der 2006 veröffentlicht wurde und erneut eine Diagonale eröffnete, ist diesem Zugang der teilnehmenden Beobachtung gleichermaßen verwandt wie seiner Vorliebe für Kammerspiele. Im Zentrum steht ein Soziotop, eine Westernstadt im Süden Wiens, und die Gruppendynamik, die allmählich, unter dem Eindruck wirtschaftlicher Schwierigkeiten zu Tage tritt. Flicker und sein Team hatten sich während des Drehs für ein Monat im Westernstadt-Hotel eingemietet, ließen sich ein Stück weit ins Geschehen involvieren, auch um einen "voyeuristischen Gucklochblick zu vermeiden".

Kunstpreis 2014 wird posthum verliehen

Etwas vom Westerngenre tauchte dann 2012 in Flickers letzten Kinofilm Grenzgänger wieder auf – nicht zuletzt im Blick auf eine Landschaft, die Marchauen in Niederösterreich, wo sich zwischen einem Wirt, dessen Frau und einem jungen Wehrdiener eine archetypische Dreiecksgeschichte entspinnt. Beim Österreichischen Filmpreis 2013 gewann er in drei Kategorien, unter anderem wurde Flickers Drehbuch ausgezeichnet.

Zwei weitere Filme hatte er zuletzt in Planung. Der Österreichische Kunstpreis 2014 in der Kategorie Film war ihm bereits zuerkannt – die Verleihung im Jänner 2015 muss posthum erfolgen. Wie die Produktionsfirma Prisma Film bekannt gab, ist Florian Flicker am Samstagnachmittag, zwei Tage nach seinem 49. Geburtstag, in Wien an Krebs gestorben. (irr, derstandard.at, 24.8.2014)