Dschungel-Direktor Stephan Rabl hat in den letzten zehn Jahren 7.600 Veranstaltungen verantwortet.

Foto: Robert Newald

Wien – Bis zu 1.000 Menschen strömen an einem Wochenendtag in den Dschungel Wien. Im Foyer parken dann mitunter 60 Kinderwägen gleichzeitig. Das vor zehn Jahren im Museumsquartier eröffnete Theaterhaus für junges Publikum stellt im Vorfeld seines großen Zehn-Jahr-Festes (25. bis 28. September) erfrischende Zahlen vor. So hat die von Stephan Rabl geleitete Bühne bisher rund 600 Theaterproduktionen auf die Beine gestellt, darunter 300 Uraufführungen. Wie hat sich alles entwickelt, und wie geht es weiter?

STANDARD: In einem Ihrer Antrittsinterviews 2004 haben Sie gesagt, der Dschungel muss bei null anfangen. Wo ist das Theaterhaus nun angekommen?

Stephan Rabl: In Bezug auf das, was mir damals vorschwebte, sind wir sicher bei zehn angekommen. Aber das heißt nichts. Denn alles kann von heute auf morgen weg sein. Die Frage ist, was bleibt, wie kann ich etwas nachhaltig aufbauen.

STANDARD: Jedes Wiener Kind sollte den Dschungel einmal von innen gesehen haben, hieß es damals auch. War dieses Ziel realistisch?

Rabl: Wir haben es wohl noch nicht erreicht. Aber es war auch als symbolisches Ziel gedacht. Unsere Aufgabe ist es, Schwellen zu überbrücken – finanzielle, soziale oder bildungselitäre. Der Dschungel-Bus ist eine Initiative in diese Richtung, und unsere neuen Räume zur Mariahilfer Straße hin erzeugen ebenso eine Dynamik nach draußen.

STANDARD: Die Fußgängerzone birgt in dieser Hinsicht Potenzial.

Rabl: Ganz sicher. Dieser Platz hier, die Mündung der Straße in die sogenannte Zweierlinie, wird in zehn Jahren einer der am stärksten frequentierten in Wien sein. Da verbinden sich Welten. Genau das interessiert mich am Theater: die Gratwanderung zwischen zugänglich, aber nicht runternivellieren, zwischen selbsterklärend sein und doch rätselhaft bleiben.

STANDARD: Liegt das Kinder- und Jugendtheater immer noch in einem Paralleluniversum?

Rabl: Ja und nein. Es ist noch immer eine Parallelwelt, gleichzeitig ist diese größer und vielfältiger und auch durchlässiger geworden. Da hat der Dschungel eine Sonderstellung. Er kann gewissermaßen machen, was er will. Denn er ist kein Anhängsel zu einem Erwachsenentheater, und er ist keinem Abopublikum verpflichtet. Das macht es zwar schwieriger, weil man hundertmal mehr kämpfen muss, aber die Freiräume sind größer. Österreichweit hat sich die Lage leider verschlechtert. Von den vierzig Gruppen, die wir vor zehn Jahren vorgestellt haben, gibt es heute nur mehr zehn.

STANDARD: Wo verschwinden diese Künstler hin?

Rabl: Zunächst einmal hat sich die sogenannte "freie Szene" sehr verändert. Der Begriff des freien Künstlers ist absurd geworden. Die Leute arbeiten an der Josefstadt, dann kurz beim Film, dann im Tanzquartier. Das ist alles fließend, was ich prinzipiell gut finde. Aber im Kinder- und Jugendbereich haben das die wenigsten durchgehalten. Sie sind in den Erwachsenenbereich, in den pädagogischen oder in den Managementbereich gewechselt. Es gibt ja auch fast keine Gruppen mehr; es sind heute alles Einzelpersonen, die um sich je nach Projekt Menschen scharen.

STANDARD: Ist das schlechter?

Rabl: Nein. Es sind nur andere Arbeitsbedingungen, die man hätte voraussehen können, denen sich aber niemand gestellt hat, weder Kulturpolitiker noch Künstler noch Veranstalter. Es ist alles produktorientierter geworden. Und es wird sich noch verschärfen.

STANDARD: Sie meinen: noch weniger öffentliches Geld?

Rabl: Klar. Die ganze Kulturszene hat Angst davor. In den 80er-/90er-Jahren lag die künstlerische Entscheidungsgewalt noch klar beim Künstler, jetzt beim Produzenten.

STANDARD: Sie meinen, wir nähern uns dem angelsächsischen Raum an, wo es ums Verkaufen geht?

Rabl: Dort geht es hin. Als ich 1994 das erste Mal nach Montreal zu einer Kunstmesse eingeladen war, gab es nur drei Gruppen: Käufer, Verkäufer und Vermittler. Insgeheim sind wir schon dort, nur traut sich das niemand klar zu sagen. Ich denke auch, wir werden in zehn Jahren von einer Zeit vor und einer nach dem Burgtheater reden. Da geht es überhaupt nicht um einzelne Personen, sondern um die Struktur eines Systems. Was da aufgebrochen ist, wird uns die nächsten Jahre beschäftigen.

STANDARD: Wo steht das Kinder- und Jugendtheater derzeit?

Rabl: Es ist seriöser geworden. Wir reden ja von einer Sparte, die erst in den letzten 30, 35 Jahren aufgebaut wurde. Da ist heute eine Leichtigkeit im Umgang verlorengegangen. Die Arbeitsfelder haben sich ausdifferenziert. Es ist auch normal geworden, über Sparten zu reden, während früher vieles noch ein Brei war.

STANDARD: Was läuft inhaltlich?

Rabl: Ich finde generell, dass sich die Kunst derzeit zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Wo kommt das vor, was tagtäglich real da draußen passiert? Der Ressourcenkampf ist so enorm geworden, aber welche Haltung hat die Kunst dazu? Wir müssen wieder raus aus den Tempeln, hinaus auf die Straße, um mitzukriegen, was läuft.

STANDARD: Wie Sind Sie zum Theater für junges Publikum gekommen?

Rabl: Was ich als Kind im Waldviertel gerne gehabt hätte, wäre zu sehen, was die Welt noch alles sein kann, Zugang zu anderen Welten. Das ist für einen Menschen befreiend, beflügelnd oder verändernd. Deshalb arbeite ich für junges Publikum. Ich hatte als Kind oft den Traum, dass auf unserem Bauernhof hinten Giraffen reinkommen.

STANDARD: Die bundesweite Initiative "macht schule theater" ist versandet. Wie schlimm ist das?

Rabl: Sehr schlimm. Es war ein sehr wichtiges Projekt, das den Schulbetrieb mit darstellender Kunst konfrontiert hat, sprich das ein Bildungssystem mit einem Theatersystem zusammengebracht hat. Dafür gab es auch Budget. Was immer das Nachfolgeprojekt wird, es wird eine Nivellierung nach unten.

STANDARD: Ihr Vertrag läuft bis 2016. Lust auf eine weitere Runde?

Rabl: Die Lust besteht allein deshalb, weil ich sowieso täglich über 2016 hinausdenken muss, sonst würde ich meinen Job nicht ernst nehmen. Es geht ja um eine Kontinuität, mit der der Laden läuft. Zugleich aber weiß ich, die künstlerische Haltbarkeit hört sich nach zehn, fünfzehn Jahren auf. Danach brauchen die Projekte andere Impulsgeber, und die Menschen brauchen andere Aufgaben. Darauf habe ich mich eingestellt.