Ein frisches Grab in Wybuty nahe der Stadt Pskow im Nordwesten Russlands. Vermisste Soldaten und widersprüchliche Informationen zum Ableben russischer Soldaten geben Medien und Angehörigen Rätsel auf.

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Die russischen Fallschirmjäger, die versehentlich in der Ukrainer gelandet sind. Kritiker meinen, dass sie nicht die einzigen russischen Soldaten in der Ukraine sind und waren.

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Die Vorsitzende des Komitees der Soldatenmütter Russlands glaubt, dass rund 15.000 russische Soldaten in der Ukraine seien.

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Kremlkritiker Michail Chodorkowski rief die russische Bevölkerung in seinem Blog zu Protest auf.

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Vertreter der russischen Regierung dementieren nach wie vor, dass russische Soldaten auf ukrainischem Gebiet aktiv seien. Doch neben Vertretern der Ukraine, der EU und NATO gibt es nun auch vermehrt Kritik aus Russland selbst, die Bezug auf die Präsenz russischer Truppen in der Ukraine nimmt.

Russisches Dorf gibt Rätsel auf

Unabhängige russische Medien haben in den vergangenen Wochen wiederholt von geheimen Begräbnissen russischer Fallschirmjäger berichtet. Die Zeitung "Nowaja Gaseta" berichtete in diesem Zusammenhang von zwei neuen Gräbern junger Soldaten der 76. Pskower Gardedivision der Luftlandetruppen, Leonid Kitschatkin und Alexander Osipow, in einem Dorf nahe der Stadt Pskow im Nordwesten Russlands. Zuvor telefonierten die Journalisten mit der Ehefrau Kitschatkins, die noch vorgab, ihr Mann stehe neben ihr und sei wohlauf. Auch die Informationen über dessen Tod auf der Seite des populären sozialen Netzwerks Vkontakte wurden gelöscht. Wenige Tage nach der Veröffentlichung der Reportage der "Nowaja Gaseta" berichtete der oppositionsnahe TV-Sender Doschd, die Namenstafeln und Blumenkränze an den Gräbern seien verschwunden. Seither klagen Journalisten, dass sie von den Angehörigen der beiden Soldaten abgeschirmt würden und auch der Zugang zu Friedhöfen zunehmend beschwerlich werde. Der Doschd-Korrespondent und seine Kollegen wurden bei ihren Recherchen gar von zwei Männern angegriffen.

Der Angriff auf den Doschd-Korrespondenten und seine Kollegen bei Recherchen in der Nähe von Pskow.

Zahlreiche Soldaten vermisst

Den Worten der Vorsitzenden der NGO Komitee der Soldatenmütter Russlands und Menschenrechtsaktivistin Walentina Melnikowa zufolge sind in der Ukraine nicht nur Vertragsbedienstete des russischen Heeres aktiv, sondern auch junge Männer, die derzeit ihren Wehrdienst ableisten: "Schätzungen zufolge sind etwa 15.000 russische Soldaten auf die eine oder andere Art und Weise dort. Viele von ihnen haben keine fixe Anstellung im Heer, sondern ausgelaufene Verträge, sind auf unbefristetem Urlaub oder ähnlichem Unsinn, daher ist es schwer, Zahlen zu nennen."

Viele Angehörige junger Soldaten hätten sich bereits verzweifelt an die NGO gewandt, da sie seit Tagen oder Wochen keine Information über den Aufenthaltsort ihrer Söhne und Ehemänner erhalten würden. Hinzu kommt, dass Melnikowa zufolge bereits rund 400 russische Soldaten auf ukrainischem Boden verletzt wurden oder ums Leben kamen. Da ein Großteil der Gefallenen keine offiziellen Verträge habe, könnten ihre Familie zudem nicht auf staatliche Entschädigung hoffen.

In einem Interview mit dem Sender Doschd verglich die Menschenrechtsaktivistin die derzeitige Situation mit dem russischen Einmarsch in Afghanistan in den 1980er-Jahren. Sie merkte an: "Nach den Geschehnissen auf der Krim müsste doch allen klar sein, was jetzt in der Ukraine passiert."

Chodorkowski ruft zu Taten auf

Einen ähnlichen Vergleich zog auch der prominente Ölmagnat Michail Chodorkowski, der bis vor wenigen Monaten noch in einem russischen Straflager saß. In seinem Blog verurteilte er die Untätigkeit der russischen Bevölkerung, die die Augen vor den Handlungen des Kreml verschließe:

"Wir kämpfen gegen die Ukraine – Tatsache. Wir schicken Soldaten und Ausrüstung.
Unsere Regierung lügt bei alledem unaufhörlich. Wie sie auch schon in den 80er-Jahren über Afghanistan log, in den 90er-Jahren über Tschetschenien, lügt sie heute über die Ukraine. Wir wissen all das. Aber wieso tun wir so, als würden wir ihr glauben? Haben wir Angst bekommen? Haben wir sogar Angst, zu denken? Ist es denn nicht ebenso angsteinflößend, Kinder zu verlieren?! Und Brüder zu erschießen? Wir könnten und können dem ein Ende setzen. Es ist recht einfach, auf die Straße zu gehen oder zu streiken. Die Regierung würde gleich aufgeben, denn sie ist feige. Aber nein, wir tun so, als glauben wir den Lügen, und weinen bei Beerdigungen. Ich für meinen Teil will und werde nicht mehr schweigen."
(Judith Moser, derStandard.at, 29.8.2014)