Bisher dachte ich immer, es gibt drei Dinge, die der Hobbykoch besser den Profis überlässt und die zu Hause einfach nicht machbar sind: Fleisch reifen, Sushi machen und Brot backen. Nun habe ich gelernt: Beim Brotbacken habe ich mich gründlich geirrt.

Vor etwa zwei Wochen habe ich meine Vorurteile über Bord geworfen und einen lange gehegten Plan umgesetzt – und das No-Knead-Brot, also das "Brot ohne Kneten", gebacken. Wer sich fürs Brotbacken interessiert, kennt das sicher schon längst, für bisher Unwissende wie mich ist es aber eine Offenbarung. Es macht überhaupt keine Arbeit, erfordert kein Vorwissen, keine besondere Ausrüstung und gelingt von Anfang an und immer. Das Ergebnis ist fantastisch. Umwerfend. Herrlich. Geschmackvoller, knuspriger und, eh klar, frischer als alles, was Sie in Supermärkten, Backketten und (leider) den allermeisten Bäckereien bekommen. Der einzige Nachteil: Sie brauchen etwas Planung und fast 24 Stunden Geduld.

Foto: Tobias Müller

Dann aber werden Sie mit dem wundervollen Moment belohnt, wenn das Brot aus dem Ofen kommt und dampft und kracht und duftet und Sie wissen, dass Sie nur mehr eine Stunde warten müssen, bis dieses kleine Wunder endlich ganz Ihres ist. Das Brot ist außen knusprig, innen flaumig-feucht, es hat eine Struktur ähnlich wie eine Ciabatta. Es schmeckt kräftig nach lange gegangenem Teig und macht seine Esser abhängig. Während ich diese Zeilen schreibe, stopfe ich mir kleine Stücke vom Vortags-Backgang in den Mund.

Die Technik hinter dem No-Knead-Brot soll aus Italien stammen und von dort in den 1990ern nach Kalifornien gekommen sein. Weltberühmt gemacht wurde das Rezept dann durch die "New York Times", deren Kolumnist es bei einem New Yorker Bäcker kennen lernte. In den vergangenen Jahren ist es sicher durch tausende Food-Blogs gegangen (ich habe es erstmals bei der werten Frau Seiser entdeckt).

So oft ist das Brot beschrieben worden, dass ich hier keine weitere Zeit verliere und einfach meine simple derzeitige Lieblingsvariante beschreibe. Dabei sind 100 Gramm Roggenmehl in den Teig gemischt, für ein etwas saftigeres (Roggen saugt mehr Wasser), geschmacklich kräftigeres Brot. Wer es schneeweiß will, nimmt reines Weizenmehl.

Foto: Tobias Müller

Brot-Praxis

335 Gramm Spielberger Mühle Weizenmehl Typ 550 (ja, die Marke macht einen Unterschied), 100 Gramm Roggenvollkornmehl Ja!Natürlich, 8 Gramm Meersalz und 1 Gramm Trockenhefe in einer Schüssel ordentlich durchmischen. 350 Milliliter Wasser zugießen und kurz rühren, bis ein hässlicher, aber doch zusammenhaltender Teig entsteht. Mit Klarsichtfolie abdecken und 18 Stunden an einem nicht zu kühlen Ort stehen lassen.

Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

Ein Backpapier einmehlen und den Teig draufkippen. Er wird sehr feucht sein und sich hoffentlich enorm ziehen. Etwaige in der Schüssel klebende Reste mit einem Teigschaber herausholen. Den Teig von allen vier Seiten einmal zur Mitte falten (klingt seltsam, sieht so aus), umdrehen, sodass die Narbe nach unten zeigt und erneut zwei Stunden rasten lassen.

Eine Stunde vor dem Backen einen schweren Gusseisenbräter (oder Tontopf oder was auch immer Sie haben) ins Rohr schieben und das Rohr auf die höchste Stufe (in meinem Fall 275 Grad) aufheizen. Den Bräter nach einer Stunde herausnehmen und den Teig mit der Narbe nach oben hineinwerfen. Das ist der schwierigste Teil, der Teig ist nass und widerspenstig und kann und wird sich unschön verformen. Aber wissen Sie was? Das macht gar nichts. Aus dem hässlichsten Klumpen wird noch ein schöner Laib.

Deckel drauf, ins Rohr und 30 Minuten backen. Deckel runter, kurz staunen, und weitere
fünf bis Minuten backen, bzw. so lange, bis der Laib eine schöne dunkle Farbe hat. Eher leicht verbrennen als zu kurz drinlassen, das ist gut für die Kruste. Brot aus dem Bräter nehmen, eine Stunde auskühlen lassen (ja, das ist hart, aber nötig) , damit sich die Struktur festigt, und noch restwarm genießen. Fertig ist eines der besten Brote Ihres Lebens.

Foto: Tobias Müller

Achtung: Essen Sie es schnell. Am nächsten Tag ist es noch gut, dann geht es aber sehr schnell den Bach runter mit dem Genuss.

Brot-Theorie: Die Probleme des Heimbäckers ...

Jedes Brot, dass beim Backen aufgeht, ist eine Art stabiler Schaum: Wenn der Teig beim Backen erhitzt wird, dehnen sich die Gase und der Wasserdampf in seinem Inneren aus und lassen es wachsen. Dass diese Gase nicht entweichen und dass der Brotschaum beim Abkühlen nicht wieder in sich zusammenfällt, verdanken die Brotesser dem Gluten – der derzeit wohl meistgehassten Proteinverbindung.

Weizen enthält bestimmte Proteine, die, wenn sie nass werden, miteinander und mit dem Wasser eine elastische, aber doch stabile Verbindung eingehen – das Gluten. Stecken Sie Ihren Finger in den No-Knead-Teig, nachdem er mehrere Stunden gerastet hat, und ziehen Sie ihn zurück: Die Fäden, die sich bilden, verdanken Sie dem Gluten (siehe Foto). Je stärker und besser das Gluten entwickelt ist (je mehr von diesen Proteinketten zueinander finden), desto besser wird Ihr Brot aufgehen.

Foto: Tobias Müller

Um das Gluten zu entwickeln, wird der Teig normalerweise ordentlich geknetet. Das erlaubt möglichst vielen Proteinketten, miteinander in Kontakt zu kommen und sich zu verbinden. Ohne Maschine ist das mitunter sehr anstrengend und ganz schön zeitraubend – das erste Problem des ungeübten, schlecht ausgestatteten Heimbäckers.

Das zweite Problem ist der fehlende Profibackofen: Profibäcker schießen am Anfang des Backens per Knopfdruck jede Menge Wasserdampf in ihren Ofen. Dampf überträgt Hitze besser als Luft, das Brot erwärmt sich also viel schneller – die gleiche Hitze wird effektiver genutzt. Zweitens sorgt der Dampf dafür, dass die äußere Schicht des Teiges – die spätere Kruste – nicht sofort hart wird, sondern eine Zeit lang weich bleibt. Das ermöglicht es dem Brot, in den ersten Minuten aufzugehen – der sogenannte Ofensprung -, und macht die Kruste später so richtig knusprig. Weil aber in einem normalen Backrohr auch mit Wasserschüsseln und Schüttaktionen kaum genug Dampf zu erzeugen ist (geschweige denn große Hitze), hat der Heimbäcker ein Problem.

… und ihre Lösung

Das geniale No-Knead-Brot löst diese beiden Probleme äußerst elegant. Gluten formt sich auch ganz ohne mechanisches Zutun – es braucht dafür nur viel Zeit und ausreichend Flüssigkeit. Wer ein No-Knead-Brot bäckt, der macht seinen einfach Teig relativ nass und lässt ihn erst einmal 18 Stunden rasten. Das hat außerdem den Vorteil, dass die Gärung sehr lange dauert – und daher mehr von den erwünschten, wunderbar geschmackvollen Gärungsnebenprodukte entstehen. Damit der Teig nicht unangenehm hefig schmeckt, kommt nur eine sehr kleine Menge des Pilzes zum Einsatz.

Der nasse Teig dampft außerdem ordentlich, wenn er in den Ofen kommt. Um sicherzustellen, dass dieser Dampf sich nicht einfach im Backrohr verliert, kommt der Laib in einen Gusseisentopf, der vorher mitsamt dem Ofen vorgewärmt wurde. Der Topf ist quasi das eigentliche Backrohr: Er sorgt für gleichmäßge Hitze und einen viel kleineren Raum, sodass der Laib im eigenen Dampf gart und der Ofensprung gelingt.

Foto: Tobias Müller

Das richtige Mehl

Das oben angegebene Rezept – 435 Gramm Mehl, 350 Gramm Wasser, 1 Gramm Hefe, 8 Gramm Salz – ist für weiße Weizenmehle gedacht. Das Rezept ist allerdings stabil genug, um 100 Gramm anderer Mehle locker wegzustecken. Wer mehr verwenden will, muss experimentieren und es mitunter etwas adaptieren.

Nur Weizengluten erlaubt es einem Brot, so richtig aufzugehen – alle anderen Getreide kriegen das nicht so recht hin, weil ihre Proteine sich nicht stabil genug verbinden. Ein reines Roggenbrot wird immer dichter, fester und feuchter sein als Weizenbrote. Auch Vollkornweizenmehl ist deutlich schwerer zum Aufgehen zu bringen als weißes Mehl. Wie der Name schon sagt, wird dafür das ganze Korn vermahlen, für weißes Mehl ausschließlich der stärkehaltige Mehlkörper. Die anderen Kornteile können nicht so fein gemahlen werden und schneiden daher wie Messer durch das Gluten – das Brot geht weniger gut auf. Zudem saugen die Teile jede Menge Wasser, es braucht also viel mehr Flüssigkeit, um die gleiche Teigfeuchtigkeit zu bekommen.

Eine der wichtigsten Eigenschaften von Weizenmehl fürs Brotbacken ist sein Proteingehalt. Je höher der Proteinanteil, desto mehr Gluten, desto besser geht das Brot auf. Ich habe in den vergangenen zwei Wochen sechs verschiedene Weizenmehle getestet, die meisten bio: Spielberger Mühle 550, Rosenfellner Mühle 480, Denree 550, Finis Feinstes, Ja!Natürlich Vollkornweizenmehl und frisches Weizenmehl aus der Steinmühle der Bäckerei Kasses (gibt's eigentlich nicht zu kaufen, Speziallieferung, danke dafür!).

Die beste Brotkonsistenz habe ich mit Bio-Weizenmehl aus der Spielberger Mühle (bei Denns) erzielt. Das hat einen einfachen Grund: Das Mehl enthält mit zwölf Prozent relativ viel Protein, mehr als die anderen Testmehle. Hier eine Übersicht der üblichen Sorten:

  • Denree 550: 10,6 Prozent
  • Ja! Natürlich 480: 9,5 Prozent
  • Finis Feinstes 480: 11,4 Prozent
  • Finis Feinstes 700: 14 (!) Prozent
  • Clever 700/480: 12 Prozent
  • Rosenfellner Mühle: Leider keine Angaben, ich schätze aber unter zwölf Prozent

Verschiedene Mehle

Wie eingangs beschrieben, ist mein derzeitiger Favorit ein Roggenmischbrot. Der Roggen gibt dem Brot eine etwas dünklere Farbe, einen etwas tieferen Geschmack, ohne aber den klassischen Weißbrotgeschmack zu überdecken, und macht es dank seiner stärkeren Wasserspeicherkraft etwas saftiger. Die Kruste bleibt immer noch perfekt knusprig.

Foto: Tobias Müller

Das geschmacklich interessanteste Brot war jenes aus dem Kasses'schen Vollkorn-Steinmühle-Mehl. Ich habe es einmal im Verhältnis 1:3 mit weißem Mehl verbacken und einmal pur benutzt (mit 450 Gramm Wasser und noch längerer Gehzeit). Um die gröbsten Gluten-Schneider herauszukriegen, habe ich das Mehl davor einmal durch ein feines Sieb gesiebt – der Schrot, der so im Sieb hängenbleibt, ist äußerst gesund und schmackhaft – er kann zum Bemehlen der Arbeitsfläche benutzt werden oder er wird einfach am Ende vor dem Backen über den Teig gestreut.

Foto: Tobias Müller

Das Steinmühle-Mehl hat schon vor dem Backen irrsinnig intensiv und fruchtig gerochen, wie es mir von Mehl bisher unbekannt war, das Brot aus dem Mehl war deutlich besser als alle anderen. Kräftig, komplex, ich täte sagen: viel mehr Umami als die anderen. Das 1:3-Mischbrot ist tadellos aufgegangen, das Vollkornbrot war eine Flade. Optisch eher eine Enttäuschung, die Kruste ist außerdem nicht knusprig – allerdings ist es trotzdem erstaunlich locker und schmeckt herb, rau, wild, süchtigmachend.

Foto: Tobias Müller

(Tobias Müller, derStandard.at, 28.9.2014)