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Brandverletzungen an den Händen sind häufig. Die plastisch-rekonstruktive Medizin ersetzt die durch Hitze zerstörten Areale durch Transplantate und im Labor immer differenzierter gezüchtetes Gewebe.

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Es ist immer eine Sache von Sekunden. Ein kurzer, unachtsamer Moment, und schon ist es passiert: Kochendes Teewasser, eine heiße Suppe oder Frittierfett ergießt sich über die Haut. Vor allem Kinder sind relativ häufig Opfer von Verbrennungen. Bügeleisen, Kaminfeuer oder Chemikalien in lustig bunten Flaschen haben das Potenzial, die Schutzhülle des Körpers nachhaltig zu zerstören.

Schmerzen sind gutes Zeichen

Von 350 Einwohnern erleidet statistisch betrachtet einer pro Jahr eine so schwere Verbrennung, dass ein stationärer Krankenhausaufenthalt notwendig ist. Entscheidend für diese ärztliche Entscheidung sind Ausdehnung und Tiefe der Brandwunde.

Lars-Peter Kamolz, Leiter der Abteilung für Plastische Chirurgie an der Med-Uni Graz, wird immer dann in die Notambulanz gerufen, wenn es um die Einschätzung von Brandverletzungen geht. "Wenn Patienten Schmerzen haben, ist das eigentlich ein gutes Zeichen, denn wenn nichts mehr wehtut, ist die Verbrennung so tief, dass nicht nur sämtliche Hautschichten, sondern auch die Nervenenden abgestorben sind", erklärt er.

Notfallprogramm im Körper

Die Tiefe einer Brandwunde stellt er unter anderem mit einer Laser Doppler Imaging-Kamera (LDI) fest. Ohne Patienten zu berühren, lässt sich durch dieses Verfahren sichtbar machen, inwiefern die Durchblutung der Haut noch intakt ist. Wenn ja, ist das ein gutes Zeichen. "Das volle Ausmaß von Brandverletzungen lässt sich erst nach drei oder vier Tagen genau abschätzen", sagt Kamolz, denn der Körper aktiviert im Akutfall sein Notfallprogramm.

Brandwunden bestehen aus unterschiedlich schwer betroffenen Zonen. "Dort, wo die heiße Flüssigkeit zuerst auf die Haut trifft, ist die Haut schwerer beeinträchtigt als dort, wo die Flüssigkeit abgeronnen ist", berichtet. Was logisch klingt, ist für den Chirurgen aber entscheidend. Mit leichteren Verbrennungen kann der Körper selbst fertig werden, nur schwere Schäden müssen operiert werden.

Operationen vermeiden

Die abgestorbenen Areale würden eine Sepsis verursachen und müssen deshalb chirurgisch entfernt werden. "Wir forschen heute daran, Operationen so gut es geht zu vermeiden." Das geht auch immer häufiger, sagt Kamolz, weil eine ganze Reihe von gewebeerhaltenden Maßnahmen in seinem Fachbereich etabliert werden konnten.

Zum einen durch neue Verbandsmaterialien, von denen Brandverletzte extrem profitieren. Silber beschichteter Schaumstoff zum Beispiel oder Milchsäuremembrane müssen nicht wie früher schmerzhaft und täglich gewechselt werden, sie fördern den Wundheilungsprozess nachhaltig. Mit derartigen Bandagen können Brandopfer oft sogar ambulant betreut werden.

Operative Maßschneiderei

Nach rund vier Tagen beurteilen die plastischen Chirurgen, ob eine Verbrennung operiert werden muss. Warum das vermieden werden soll? "Weil jede Operation automatisch zu mehr oder weniger sichtbaren Narben führt. Wir haben in den letzten Jahren daran gearbeitet, geschädigte Haut durch im Labor gezüchtete zu ersetzen", berichtet Kamolz. Tissue-Engineering ist der Fachbegriff dafür, und entsprechende Materialien kommen neben der Eigenhauttransplantation bzw. der Haut von Fremdspendern, immer häufiger zum Einsatz.

"Matrix" nennt Kamolz eine Art Vlies, auf dem er heute im Labor aber nicht mehr "nur" Hautzellen, sondern parallel auch Zellen für Blutgefäße wachsen lässt und sie als Ersatz für entfernte Hautareale nutzt - mit Erfolg. Die Labors der plastisch-rekonstruktiven Chirurgie werden zunehmend zu Ersatzteillagern, die kosmetischen Ergebnisse dieser Methoden sind überaus zufriedenstellend. "Es ist einfach leichter, Narben zu vermeiden, als Narben zu korrigieren", sagt Kamolz, der in den letzten Jahren auch Fett als wunderbares Material für seinen Fachbereich entdeckt hat.

Wundheilung ankurbeln

Denn Fettzellen fördern den Wundheilungsprozess. Wenn Kamolz Brandverletzungen operiert, dient ihnen Fett dazu, Hauttransplantate zu "unterfüttern". Lipotransfer heißt diese chirurgische Technik, von der man annimmt, dass die Stammzellen im körpereigenen Fett das Zellwachstum und damit die Wundheilung ankurbeln.

Statt wie früher lediglich künstlich gezüchtete Hautzellen zu transplantieren, werden heute Zellkombinationen etwa aus Haut, Fett und Blutgefäßen in der Matrix zum Wachsen gebracht. Diese im Labor gezüchteten Gewebe werden dann transplantiert, sie rekonstruieren verlorengegangene Areale bis zu einem gewissen Maße.

Wo das bereits gut funktioniert? Eine bei Brandunfällen häufig betroffener Körperregion ist die Hand. Hier kommen solche kombinierte Rekonstruktionsverfahren besonders oft zum klinischen Einsatz. Die aus dem eigenen Körper gewonnenen Zellen können sich an eine neue Umgebung anpassen", erklärt Kamolz.

Hoffnungssubstanz Spermidin

Aufregend und derzeit noch in der Phase der Erforschung ist für den Chirurgen eine Substanzklasse namens Spermidin. Der Stoff kommt in Hülsenfrüchten und Sperma vor und ist das Spezialgebiet von Frank Madeo vom Institut für Molekulare Biowissenschaften der Karl-Franzens-Universität Graz: "Spermidin simuliert im Körper eine Art Fastenprogramm. Wenn Zellen keine Energie mehr bekommen, verdauen sie sich selbst, was dazu führt, dass zellulärer Schrott, geschädigte Proteinaggregate und Mitochondrien entsorgt werden", erklärt der Grundlagenforscher einen Prozess, der im Fachbegriff Autophagie genannt wird.

Besonders bei Verbrennungen geht es, so Kamolz, ja darum, dass der Körper geschädigtes Zellmaterial schnell wieder los wird. Dass Spermidin da hilfreich sein könnte, entstand als Idee während eines Gespräches zwischen Kamolz und Madeo vor knapp zwei Jahren. In verschiedenen Modellorganismen konnte Madeo bereits die lebensverlängernde und zellregenerative Wirkung von Spermidin beweisen, Verbrennungen könnten eine klinische Anwendung seiner Forschungsergebnisse sein.

Wie Spermidin verabreicht wird? "Wir können uns verschiedene Varianten vorstellen", sagt Kamolz. Die Substanz könnte unmittelbar nach Verletzungen in Form einer Tinktur aufgetragen, bei schweren Verbrennungen aber auch intravenös verabreicht werden, um die Haut- und Nervenregeneration von innen anzukurbeln.

Auch das Überleben von Fettzellen bei Transplantationen könnte Spermidin optimieren. Die Substanz könnte sogar prophylaktisch - also vor einer Verletzung eingesetzt werden. Etwa für Feuerwehrmänner, sind sie doch ständig Verbrennungsgefahren ausgesetzt. (Karin Pollack, DER STANDARD, 25./26.10.2014)