Matthias Picard
Jim Curious – Reise in die Tiefen des Ozeans

Reprodukt
52 Seiten, Hardcover, s/w in 3D, 20 Euro

Reprodukt Verlag/Picard
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Jim Curious ist rundum glücklich. Gerade eben hat er sich noch mit heftigen "Klang"- und "Bong"-Geräuschen aus seinem Haus gegenüber dem Leuchtturm bugsiert und ist in seinem Michelin-Männchen-artigen Taucheranzug Richtung Kai gestapft. Jetzt endlich ist er im Wasser. Das Visier lichtet sich und gibt das strahlende Lächeln Jims dahinter frei - er ist in seinem Element, so viel ist klar.

Und schon taucht er ab zu einer "Reise in die Tiefen des Ozeans", so der Untertitel dieses fantastischen Comic-Buchs, das nach dem Titelhelden benannt ist. Mit ihm reisen die Leser durch ein fast schon psychedelisches Tiefseemärchen. Und das auch noch in 3-D! Das ist nicht weniger als eine Avatar-Offenbarung auf Comic-Ebene.

Bizarre Schönheit

Mit der wackeligen Pappbrille auf der Nase folgen wir Jim auf seiner Unterwasserexpedition, vorbei an Schrott und anderen menschlichen Spuren, bis sich uns zwischen Korallenriffen die Schönheit der See offenbart: Clown- und andere Fische, Seeanemonen und Schildkröten, Muränen und Mantas springen förmlich ins Auge. Immer weiter rauscht Jim durch die immer dunkler werdenden Tiefen, wo er eine Reihe von bizarren und brenzligen Situationen durchschwimmt, rätselhafte Entdeckungen macht - und am Grund des Meeres auf eine überaus seltsame Überraschung stößt.

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Reprodukt Verlag/Picard

Der junge französische Zeichner Matthias Picard hat mit seiner 3-D-Elegie auf die endlosen Tiefen der Meere einen wahren Coup gelandet. In kürzester Zeit war die erste Auflage vergriffen, die 2012 im kleinen französischen Verlag Editions 2024 erschienen war. Jetzt ist das visuelle Schmuckstück ohne Worte auch beim deutschen Reprodukt-Verlag erhältlich.

Aquanaut Jim in der dritten Dimension

Die 3-D-Technik funktioniert beeindruckend gut: Die in den schwarzen Karton geschabten Zeichnungen bilden Reliefs in mehreren Ebenen, die trotz konsequentem Schwarz-Weiß farbenfrohe Szenerien vor dem inneren Augen entstehen lassen. Am besten kommen die Dimensionen bei den abstrakten, grafischen Elementen zur Geltung, die oft ganze Doppelseiten füllen - mittendrin immer der Aquanaut Jim, stets gutgelaunt und unaufhaltsam in seiner Neugier.

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Picard greift mit der 3-D-Idee eine im Comic wenig beachtete Gestaltungsform auf: Lediglich in den 50er-Jahren gab es im Zuge der ersten 3-D-Kinofilme eine veritable Welle an Comicheften in 3-D, unter anderem aus der legendären Horror- und Crime-Stube von EC-Comics, das Kultserien wie zum Beispiel "Tales from the Crypt" in die dritte Dimension brachte.

Optische Erleuchtung

Ein derartiges Niveau wie von "Jim Curious" ist aber eine völlig neue optische Erfahrung. Tatsächlich orientierte sich Picard an Pflanzen- und Tierillustrationen von Forschern des 18. und 19. Jahrhunderts - etwa von Georges-Louis Leclerc de Buffon, Ernst Haeckel, Georges Cuvier oder dem Jules Vernes-Illustrator Édouard Riou, wie er in einem Interview auf Comicgate.de verrät.

Und so legen wir den wunderschön gestalteten Band mit einem seeligen Lächeln im Gesicht zur Seite, nur um bei der nächsten Gelegenheit, bei der wir Aufmunterung aus anderen Sphären brauchen, wieder von vorne anzufangen. Und wenn man das nicht alleine tun will, ist das auch kein Problem: Es liegen zwei 3-D-Brillen bei. (Karin Krichmayr, derStandard.at, 5.11.2014)