Ursula Kienberger: "Wir wollen das Tabu um Demenz brechen."

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STANDARD: Viele fürchten sich vor Alzheimer, Sie auch?

Kienberger: Angst ist ein falscher Zugang und Teil des Problems, das wir mit Demenzerkrankungen heute haben. Wenn ich oder Angehörige von mir betroffen wären, wüsste ich damit umzugehen. Es gibt trotz Diagnose ja viel Spielraum für Gestaltung.

STANDARD: Was meinen Sie damit genau?

Kienberger: Wichtiger als alles andere ist eine frühe Abklärung, das heißt: Wer einen Verdacht hat, sollte zum Neurologen. Alzheimer ist eine Erkrankung wie jede andere, man muss sich darauf einstellen - dann kann man damit auch lange gut leben.

STANDARD: Warum sollte man es wissen wollen, wenn es keine Therapie gibt?

Kienberger: Das sehe ich nicht so. Demenzerkrankungen verlaufen langsam, können also zwischen 15 und 20 Jahre dauern. Die erste Phase ist jene, in der die Menschen zwar vergesslich sind, aber trotz eingeschränkter Leistungsfähigkeit selbstständig leben können. Es geht darum, diese Phase durch gezielte Maßnahmen zu verlängern.

STANDARD: Mit welchen Maßnahmen?

Kienberger: Trotz Erkrankung weiterhin die Sinne zu fordern! Viele Menschen empfinden ja Scham, wenn sie vergesslich werden, es stresst sie. Je höher der Bildungsstand, umso schwieriger ist es, die Krankheit zu akzeptieren und damit klarzukommen. Viele ziehen sich zurück, meiden Kontakt mit anderen, und genau das macht die allgemeine Situation schlimmer. Es ist uns ein großes Anliegen, Demenz aus dieser Tabuzone zu holen.

STANDARD: Was empfehlen Sie?

Kienberger: Hinausgehen, reden, Freunde treffen. Wenn alle wissen, was Sache ist, dann ergeben sich auch weniger Probleme mit der Vergesslichkeit. Abgesehen von den sozialen Faktoren nutzen auch Gedächtnistrainings. Zwar sind Sudokus auch gut, wir haben aber Programme für die unterschiedlichen Stadien der Erkrankung entwickelt. Dass sich damit vor allem die Frühphasen von Alzheimer verlängern lassen, konnten wir eindeutig in unseren Auswertungen zeigen. Deshalb ist die Früherkennung so wichtig.

STANDARD: Aber irgendwann kommt in jedem Demenzverlauf ein kritischer Punkt, oder?

Kienberger: Je mehr Hilfe und Unterstützung ein Betroffener braucht, umso anstrengender wird es für Angehörige. Die Erkrankung verläuft in Stadien. In jeder Phase gibt es Möglichkeiten der Unterstützung. Wichtig ist, dass sich Angehörige Know-how und Hilfe holen.

STANDARD: Sie meinen bei der Pflege?

Kienberger: Nein, sondern erst einmal das Wissen, wie man mit der Erkrankung umgeht. In den Anfangsphasen von Demenz kann die Vergesslichkeit ja auch Missverständnisse auslösen. Wer von der Erkrankung weiß, kann Veränderungen verstehen und leichter akzeptieren.

STANDARD: Ist nicht das Nicht-mehr-ernst-genommen-Werden ein Problem?

Kienberger: Eigentlich nicht, wenn die Dinge klar sind. Dann hört man als Angehöriger auf dagegenzureden und beginnt stattdessen, die vorhandenen Fähigkeiten zu sehen. Auch fixe Tagesstrukturen geben Demenzkranken Sicherheit.

STANDARD: Weil die Begleitung zu Hause immer noch die beste ist?

Kienberger: Und auch relativ lange möglich ist. Wir arbeiten mit unserem Training sehr stark gegen die frühzeitige Institutionalisierung der Betroffenen. Uns sind die Angehörigen sehr wichtig. Wichtig ist, dass es ihnen gutgeht, dass sie unterstützt werden. Deshalb arbeiten wir an einem österreichweiten Auffangnetz.

STANDARD: Wie ist die aktuelle Situation?

Kienberger: In der Stadt gibt es viel mehr Unterstützung als auf dem Land. Die Integration von Menschen mit Demenz in die Gesellschaft ist uns ein Anliegen. Es wäre wichtig, die Polizei im Umgang damit zu schulen. Die Umsetzung scheitert an 13.000 Euro. Ich denke, ein Demenzplan wäre für Österreich sehr wichtig. In vielen anderen Ländern gibt es das.

STANDARD: Dafür gibt es aber in Bad Ischl ein einzigartiges Urlaubsangebot.

Kienberger: Ja, da sind wir europaweit Vorreiter und haben es damit in den WHO-Bericht geschafft. Wir bieten Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zwei Wochen Erholung und haben ausschließlich positive Rückmeldungen. Es ist eine Riesenentlastung für Angehörige, die sich bei uns einfach entspannen können. Darum geht es uns auch. Wir lassen Angehörige nicht allein.(Karin Pollack, DER STANDARD, 6.11.2014)