Andreas Haider-Maurer wirkt locker, geradezu gelöst. Dieser Zustand kommt nicht von ungefähr, der Niederösterreicher hat seine Saisonziele erreicht. Die Top 100 der Weltrangliste wollte der Tennisprofi knacken, nun steht er auf Rang 84. Die zweistellige Position ist der Schlüssel zur großen Tenniswelt, die da heißt Grand-Slam-Turniere. Melbourne, Paris, Wimbledon, New York. "Dort will jeder Spieler hin", sagt Haider-Maurer. Und das hat weiß Gott nicht nur nostalgische Gründe.

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Gegen US-Open-Sieger Marin Cilic in Wimbledon. Das Spiel endete 6:3, 1:6, 4:6 und 4:6.
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An den heiligen Stätten der Filzkugel macht sich das Leben als Tennisprofi auch in der zweiten Reihe bezahlt: 248.837 Dollar hat Haider-Maurer 2014 an Preisgeldern lukriert, zwei Drittel davon im Rahmen dreier Grand-Slam-Teilnahmen. Überragend waren seine Erfolge dabei nicht, aber immerhin hat der 27-Jährige in Roland Garros, nach überstandener Qualifikation, und in Wimbledon von einem günstigen Los profitiert und je ein Spiel in der Hauptrunde gewonnen. Bei den US-Open verlor er in fünf Sätzen gegen den Spanier Roberto Bautista Agut, damals die Nummer 19 der Welt. An diesem Spiel hatte er lange zu kiefeln.

Das knappe Aus bei den US-Open? "Vielleicht meine bitterste Niederlage."

"Das war die vielleicht bitterste Niederlage meiner Karriere", sagt Haider-Maurer, "dieses Match war eigentlich nicht zu verlieren." Rückblickend sei es einfach "saudeppert" gelaufen, inklusive eines feindlich gesinnten Netzbands. Wiewohl Spitzenspieler im entscheidenden Moment schon auch einen Gang zulegen können: "Sie rufen ihr bestes Tennis zum richtigen Zeitpunkt ab, spielen dann taktisch die Spur besser."

Mit etwas Abstand könne man aber von derartigen Niederlagen profitieren, die Zweifel an der eigenen Stärke würden nach einer ausgeglichenen Partie gegen einen Spitzenspieler schwinden: "Warum sollte ich nicht dieses Niveau erreichen?" Einen möglichen Grund führt er gleich selber an: die Konstanz. Zwar verfügt Haider-Maurer über einen festen Aufschlag und eine gefährliche Vorhand, seine Waffen stehen aber nicht jederzeit zur Verfügung: "Ich habe meine Hänger, das muss ich abstellen. Ich muss die Untergrenze meiner Leistung nach oben verschieben." Aber wie? "Es gibt kein Patentrezept, nur Matchpraxis und intensives Training."

Der Aufstieg in der Weltrangliste ging schnell. An der Grenze zu den Top 100 geriet er allerdings ins Stocken.

Die Praxis holte sich Haider-Maurer in diesem Jahr vorwiegend bei Challenger-Turnieren, also ein Level unter der ATP-Tour. Zwei Bewerbe dieser Kategorie hat er in dieser Saison gewonnen, einen im rumänischen Brasov, den anderen im slowakischen Trnava. Ein solcher Turniersieg wird mit rund 6.000 Euro vergütet. Vor Steuer wohlgemerkt.

Leichte Gegner? "Mittlerweile spielt die Nummer 250 richtig gutes Tennis."

Nein, auf den Nebenschauplätzen gibt es weder Glanz und Glamour noch den großen Reibach. Dafür jede Menge hungrige Spieler, die allesamt dieselben Ziele verfolgen: Punkte sammeln, in der Weltrangliste und damit zu den großen Turnieren emporsteigen. Und obwohl Haider-Maurer auf der Challenger-Tour eine Saisonbilanz von 46 Siegen in 57 Spielen aufweist, ringen ihm die Gegner Respekt ab: "Die Nummer 250 kann richtig gut Tennis spielen. Das Niveau ist in den letzten Jahren dramatisch gestiegen."

Einstieg, keine Einkommensquelle

Im Vorbeigehen sei kein Blumentopf zu gewinnen: "Auch gestandene Spieler verlieren hier." Für die Macher der ATP-Tour bleibt die Serie trotzdem reines Sprungbrett. "Niemand soll dort seinen Lebensunterhalt verdienen können", sagt ATP-Boss Chris Kermode. Die zweite Liga sei als Einstieg gedacht, nicht als Einkommensquelle. Für Bernd Haberleitner, Manager des Spielers, ist dies "nicht nachvollziehbar". Als würde man einem Fußballprofi "Verdienstmöglichkeiten abseits der Champions League absprechen".

Um die Größenverhältnisse zu verdeutlichen: Mit fünf gewonnen Spielen auf der ATP-Tour, inklusive Grand-Slam-Turnieren, hat Haider-Maurer seit Jänner 197.437 Dollar erwirtschaftet. 46 Siege auf der Challenger-Tour wurden mit relativ bescheidenen 51.400 Dollar entlohnt.

Wer am großen Kuchen mitnaschen will, muss bei den Grand-Slam-Turnieren mitspielen. Dort kann man die Kosten wieder einspielen. Und mehr.
Die jährlichen Kosten in US-Dollar nach Posten aufgeteilt. Trainer- und Reisekosten machen den größten Anteil aus.
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Was sich in Summe zunächst nach einem einträglichen Geschäft anhört, relativiert sich bei näherer Betrachtung. Einerseits handelt es sich um Bruttobeträge, andererseits ist der Tennissport kein billiger Spaß. Haberleitner spricht von rund 150.000 Dollar Kosten pro Saison.

75.000 Dollar Kosten für Trainer

Alleine der Aufwand für Trainerhonorare belaufe sich auf etwa 75.000 Dollar, das ständige Jetten um den Globus ist auch nicht geschenkt, 280 Tage pro Jahr ist man als Profi unterwegs. Hotelkosten übernehmen zwar die Veranstalter, doch alleine das Bespannen der Schläger verschlingt 6.000 Euro jährlich. Um auf der sicheren Seite zu stehen, spielt Haider-Maurer auch in der französischen und deutschen Tennisliga, dort kann man ein "nettes Taschengeld" dazuverdienen. Je schlechter das Ranking, desto mehr Ligatennis, so das ungeschriebene Arbeitsgesetz unter Tennisspielern.

Trainerkosten? "Ein guter Coach macht es nicht unter 5.000 Euro im Monat."

Haberleitner ist nicht nur Manager, sondern seit 2003 auch Investor. Seine Anlage ist Haider-Maurers Karriere, die Preisgelder werden nach einem fixen Schlüssel aufgeteilt. Seinen Businessplan würde er heute anders gestalten: "Damals habe ich Kosten von jährlich 100.000 Dollar eingerechnet. Seither sind die Trainerhonorare explodiert. Ein guter Coach macht es nicht mehr unter 5.000 Euro im Monat."

Auch sportlich ging der Plan nicht ganz auf: "Ursprünglich dachten wir, Andi könnte bereits mit 20 Jahren in die Top 100 vorstoßen". Doch die Zeiten haben sich geändert. Mit dem Australier Nick Kyrgios (ATP-Nr. 52) und dem Kroaten Borna Coric (ATP-Nr. 89) gibt es derzeit nur zwei Herren unter 21 Jahren in den Top 100. Die meisten Spieler laufen erst im reiferen Alter zur Höchstform auf. Routine ist Trumpf.

In Summe betragen die erspielten Prämien in Doppel und Einzel 1.020.085 Dollar. 2014 war die bisher ertragreichste Saison.

Eine Tennislaufbahn erfordert Durchhaltevermögen, sportlich und auch finanziell. "Die ersten Jahre kommt nichts rein. Ohne reiche Eltern, einen Sponsor oder Investor, ist eine Karriere nicht möglich", sagt Haberleitner. Haider-Maurer wird vom Dienstleistungsunternehmer Simacek und dem Sportland Niederösterreich unterstützt. Sponsoren zu finden, sei aber selbst für einen Top-100-Spieler nicht einfach.

Geldsorgen? "An der Grenze zu den Top 100 ist Geld für alle Spieler ein Thema."

Die Gefahr einer Verletzung erschwert den Weg an die Spitze zusätzlich, und "ein Bandl ist schnell gerissen". Dann heißt es wieder von vorne anfangen, kleine Turniere spielen, Punkte sammeln, Geduld beweisen. Und dem finanziellen Druck standhalten. Haider-Maurer hat "das im Hinterkopf. Für jeden Spieler an der Grenze zu den Top 100 ist Geld ein Thema".

Nicht jeder ist ein Dominic Thiem

Dabei hatte es zunächst nach einem flotten Aufstieg ausgesehen. 2010 stieß der damals 23-Jährige in Wien überraschend ins Endspiel vor, verlor dort gegen seinen Landsmann Jürgen Melzer. Auf dem Weg ins Finale bezwang Haider-Maurer unter anderem den diesjährigen US-Open-Sieger Marin Cilic. Träumereien habe er sich trotzdem nicht hingegeben: "Ich wusste schon damals, dass es nicht leicht wird, sich auf der Tour zu etablieren."

Der rasche Durchbruch sei wenigen Spielern vorbehalten, ein Dominic Thiem die Ausnahme: "Spieler, die innerhalb kürzester Zeit Topniveau erreichen? Da gibt es eine Hand voll. Und das ist bereits eine Übertreibung." Sein Limit glaubt Haider-Maurer zu kennen: "Top Ten wird schwer, das ist mir bewusst. Ein Platz unter den besten 50 ist mein Ziel, und dann kann es auch mal Richtung Top 30 gehen. Warum denn nicht?"

2014 waren einige Kilometer zu bewältigen: Alle Turniere, Ergebnisse und Preisgelder im Überblick.

2015 soll der große Sprung, also jener auf die ATP-Tour gelingen: "Ich werde noch den ein oder anderen Challenger einstreuen, aber ich muss jetzt den nächsten Schritt wagen, auch wenn er schwierig ist". Die Vorzeichen sind jedenfalls günstiger denn je. Erstmals ist Haider-Maurer für das Hauptfeld der im Jänner stattfindenden Australian Open qualifiziert.

2015? "Ich muss jedes Turnier spielen, bei dem ich direkt ins Hauptfeld rutsche."

Schon zuvor sollte sich ein fixer Startplatz in Chennai ausgehen. 2014 lag der Cut in Indien bei Weltranglistenposition 93. "Ich muss jedes Turnier spielen, bei dem ich direkt ins Hauptfeld rutsche", sagt er. Die gute Ausgangsposition ist auch einem Verzicht auf den Daviscup geschuldet. Im September ließ er den Länderkampf gegen Lettland aus und sammelte just in diesem Zeitraum die entscheidenden Punkte für seinen Vorstoß in die Top 100: "Dort konnten wir auch ohne mich bestehen, ich musste in dieser Phase auf meine Planung schauen." Die Rechnung ging auf.

Melzer vs. Schlierenzauer

Manchmal wünscht sich Haider-Maurer mehr öffentliche Anerkennung für den Tennissport: "Viele Leute denken, man würde eine Karriere auf Platz 120 starten." Ein weiteres Beispiel: "Sogar in der Tennisszene meinen einige, Jürgen Melzer solle aufhören. Für mich ist er einer der besten Sportler, die Österreich jemals hervorgebracht hat. Bei allem Respekt vor den Skispringern, aber im Tennis gibt es viele Schlierenzauers."

Gegen sieben davon tritt Haider-Maurer bis 23. November in São Paulo bei den Finals der ATP-Challenger-Tour an. Qualifiziert sind die besten Spieler der Saison und ein Profi, der mit einer Wildcard vom Veranstalter nominiert wird. Gespielt wird in zwei Vierer-Gruppen, danach kommt es zu Halbfinale und Endspiel. Theoretisch sind dort mit einem Turniersieg 84.900 Dollar zu verdienen.

Gegen den als Nummer eins gesetzten Italiener Simone Bolelli, die Nummer 60 der Weltrangliste, ging aber bereits der Auftakt am Mittwoch mit 4:6 und 4:6 verloren. Dass auch die Spiele gegen Victor Estrella Burgos (DOM/80) und Maximo Gonzalez (ARG/105) "kein Kinderspiel" werden würden, ahnte Haider-Maurer schon, bevor er gegen Ersteren mit 2:6 und 0:6 den Kürzeren zog. Der Vorgeschmack auf kommende Saison ist ein bitterer. (Philip Bauer, derStandard.at, 20.11.2014)