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Der Schlepperprozess von Wiener Neustadt startete im März. Inzwischen wurde 41 Tage lang verhandelt.

Beim Wiener Neustädter Schlepperprozess, der sich in seiner Endphase befindet, wurden vergangenen Donnerstag zwei Männer festgenommen und in U-Haft gesteckt, darunter einer der acht Beschuldigten. Auf den ersten Blick erscheinen die Umstände, die dazu führten, banal.

Ein Streit eskalierte, vor dem Gerichtsgebäude kam es zu einer Rauferei. Auch Drohungen sollen dabei ausgestoßen worden sein. Doch diese Ereignisse sind, näher betrachtet, alles andere als vernachlässigenswert – nicht nur, weil den zwei Festgenommenen jetzt eine Anklage wegen Körperverletzung und versuchter schwerer Nötigung droht.

Bedenkliches Verfahren

Vielmehr ist diese Eskalation Ausdruck des Umstands, dass hier ein Verfahren geführt wird, das zwar den Regeln des Rechtsstaats folgt, aber trotzdem schwer bedenkliche Züge angenommen hat.

Damit ist nicht nur die Beweislage gemeint, auch wenn diese nach bisher 41 Prozesstagen recht dünn erscheint. Dabei wurde die Anklage nachjustiert, nachdem Richterin Petra Harbich den Gerichtsgang im März eineinhalb Wochen nach Beginn bis Mai unterbrochen hatte, weil sich Fakten als "nicht überprüfbar" herausgestellt hätten. Auch jetzt noch sei davon auszugehen, dass eine Reihe Vorhalte in der Anklageschrift doppelt vorkämen – als jeweils unabhängige belastende Fakten, sagen die Verteidiger.

Am Rande der Gesellschaft

Bedenklich sind auch die sozialen und psychischen Auswirkungen des Prozesses auf die Beschuldigten, die als Asylwerber ohnehin am Rande der Gesellschaft leben. Die zuerst bis zu siebeneinhalbmonatige Untersuchungshaft und der anschließende Verhandlungsmarathon hat einige von ihnen in die Verzweiflung getrieben. Auch das drückt sich in besagtem Gewaltausbruch untereinander aus.

Um dies zu illustrieren: Einer der Beschuldigten ist in Wien als nächtlicher Zeitungsauslieferer tätig – eine selbstständige Tätigkeit, die er als Asylwerber immerhin ausüben darf. Das Geld braucht er dringend. Würde er auf den Job verzichten, würde sich sein "Einkommen" auf 40 Monat Taschengeld monatlich beschränken.

Nur zwei Stunden Schlaf

Somit arbeitet er zwischen Mitternacht und fünf Uhr früh. Dann geht er schlafen. Wenn an dem Tag Verhandlung ist, kann er das nur zwei Stunden lang: Er muss ja um neun Uhr bei Gericht in Wiener Neustadt sein. Das geht an seine Substanz – zumal seine "Nächte" auch an Tagen ohne Verhandlung nicht wirklich erholsam sind: In seiner Asylwerberunterkunft müssen alle dort Wohnenden zwischen elf und zwölf Uhr das Haus verlassen.

Also ist er chronisch übermüdet – und bekommt bei Gericht, wie alle acht Beschuldigten, nur einen Bruchteil dessen mit, was während der Verhandlung läuft. Weil nur geringe Teile dessen, was dort gesprochen wird, in Sprachen übersetzt wird, die die aus Pakistan, Afghanistan und Indien stammenden Angeklagten verstehen.

Demoralisierendes Dasitzen

Verlesungen zum Beispiel nicht – wie sollte das auch gehen, ohne den Prozessablauf ins Unendliche zu verzögern? Doch das tagelange verständnislose Dasitzen demoralisiert massiv.

Das ist übrigens nicht nur bei diesem Schlepperprozess so, der jedoch mehr als viele andere Verfahren nach Paragraf 114 Fremdenpolizeigesetz im Fokus öffentlichen Interesses steht: Die in Wiener Neustadt Angeklagten kommen mehrheitlich aus der Asylwerber-Protestbewegung in der Votivkirche.

Unkonkrete Vorhalte

Auch die nur dünn erscheinende Beweislage eint diesen Gerichtsgang mit vielen anderen, in denen es um das geht, was laut heimischen Strafgesetzen als Schlepperei gilt. Deren Anklageschriften sind vielfach von unkonkreten Vorhalten geprägt, die meist auf Telefonabhörungen basieren – etwa besagend, dass einer "unbekannten" Zahl von Personen um eine "unbekannte" Summe zur Reise nach einem "unbekannten" Ort verholfen worden sei.

Das ist im "politischen" Wiener Neustädter Schlepperprozess nicht anders. Hier sollen die Urteile am vierten Dezember fallen. (Irene Brickner, derStandard.at, 24.11.2014)