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Im September empfing US-Präsident Barack Obama den ukrainischen Staatschef Petro Poroschenko im Weißen Haus.

Foto: Reuters/Downing

In der heftigen Diskussion, die ich mit Johannes Voggenhuber und Dirk Müller am Montagabend in "Pro & Contra" auf Puls 4 über die EU, Russland und die Ukraine geführt habe, ging es vor allem um eine grundsätzliche Frage:

Während Voggenhuber und Müller den Krieg in der Ukraine als einen Konflikt zwischen den USA und Russland als Folge amerikanischen Großmachtstrebens sehen, in dem die USA die Europäer zu Vasallen degradieren, sehe ich ihn als grundlegenden Kampf zwischen der EU und Russland über die Zukunft Europas. Die USA spielen hier nur eine Nebenrolle und haben kaum Interessen in der Ukraine, sagte ich.

Voggenhuber und Müller reagierten auf diese Aussage mit (echter oder gespielter) Empörung, und auch viele Zuhörer waren offenbar erstaunt. Ich versuche deshalb jetzt an dieser Stelle, an der ich mich nicht gegen persönliche Angriffe zweier Kampfrhetoriker wehren muss, die Gründe für diese Ansicht darzulegen.

Interessen einer Supermacht

Eine Supermacht wie die USA hat in der ganzen Welt Interessen, aber nicht im gleichen Ausmaß. Aus realpolitischer Sicht sind ihre Hauptziele die eigene Sicherheit, wirtschaftliche Vorteile, Sicherung notwendiger Ressourcen und der Schutz der engen Verbündeten. Dazu kommt das von Werten und Ideologie getriebene Ziel, die eigene liberaldemokratische Ordnung in möglichst vielen Ländern der Welt zu verankern.

Wenn es um die nationale Sicherheit geht, schauen die USA vor allem in die islamische Welt, wo Fundamentalismus und das iranische Atomprogramm als Gefahr betrachtet werden, und in den Pazifikraum. Dort geht es um die Rivalität mit China und den Schutz der dortigen Verbündeten Japan, Südkorea und Philippinen.

Da Westeuropa militärisch kaum bedroht ist, sind Amerikas Interessen in Richtung EU vor allem auf den Erhalt eines offenen Wirtschaftsraums gerichtet. Die Absicherung der Ölversorgung, die einst für die USA eine zentrale Rolle spielte, hat durch die wachsende Energieautarkie massiv an Bedeutung verloren.

Region mit geringer Bedeutung

Welche Interessen könnten die USA daher in der Ukraine haben? Die Region ist sicherheitspolitisch keine Bedrohung, sie bietet keine wirtschaftlichen Chancen, und Öl und Gas benötigen die USA von dort auch nicht mehr. Daher meine Aussage, dass die USA keine wesentlichen Interessen haben.

Das spiegelt sich auch in kritischen Kommentaren führender US-Politikwissenschaftler wie John Mearsheimer wider, die empfehlen, dass die USA aus Eigeninteresse mit Russland gute Beziehungen pflegen sollen, statt sich zum Retter der Ukraine aufzuspielen.

Dass das nicht passiert, hat zwei Gründe. Washington anerkennt die zentrale Bedeutung dieser osteuropäischen Region für die EU und empfindet die russische Politik als Angriff auf seine europäische Verbündeten. Für Deutschland, Polen und die restliche EU stehen sehr wohl bedeutende sicherheitspolitische und ökonomische Interessen auf dem Spiel.

Selbstbild als "Weltpolizei"

Und amerikanische Politiker, egal ob Republikaner oder Demokraten, können oder wollen nicht tatenlos zusehen, wenn westliche Werte, internationale Ordnungsprinzipien und demokratische Bewegungen von einer aggressiven, repressiven Macht angegriffen werden. Dafür fühlen sich die USA zu sehr als "Weltpolizei". Das hat aber vor allem kulturelle und psychologische Gründe.

All das erklärt das Interesse Amerikas an den Vorgängen in der Ukraine. Doch die realpolitischen Interessen liegen anderswo. Und deshalb ist es vor allem eine Sache für und von Europa, ob die Ukraine eine souveräne und demokratische Zukunft hat. (Eric Frey, derStandard.at, 25.11.2014)